Julianna Margulies im Interview:"Wir leben vom Schmerz anderer Leute"

Lesezeit: 4 min

Als betrogene Ehefrau eines Staatsanwalts brilliert Julianna Margulies in der Serie "The Good Wife". Warum die Emmy-Gewinnerin nicht auf ihre Arbeit verzichten kann, was Macht mit Menschen anstellt und wie Bill Clinton sie begeisterte.

Patrick Roth

SZ: Frau Margulies, im September gewannen Sie den Emmy als beste Hauptdarstellerin einer amerikanischen Drama-Serie: The Good Wife war gleich neunmal nominiert.

Julianna Margulies spielt in The Good Wife eine Anwältin, die von ihrem Mann betrogen wird - und wieder anfängt, zu arbeiten. (Foto: AP)

Julianna Margulies: Noch während die Leute applaudierten, musste ich an meinen Vater denken. Mir fiel ein, was er damals sagte, als meine Karriere begann. Ich war 25, hatte ab und zu auf einer Provinzbühne in Sarasota, Florida, gestanden und gerade einen Rollenvertrag für Emergency Room unterschrieben. "Überleg dir gut, was du machst, wenn der Applaus einmal endet", sagte er. Ein guter Rat. Preise können mein Ziel nicht sein.

SZ: Was dann?

Margulies: Ich hab' mal in einem Off-Broadway Stück gespielt, das nur fünf Leute gesehen haben. Schauspielerisch: meine beste Leistung. Ich war erfüllt.

SZ: In Amerika ist die dritte Staffel von The Good Wife gerade angelaufen. Was passiert mit Ihrer Figur Alicia Florrick, die von "ihrem" Mann, einem wegen Veruntreuung inhaftierten Staatsanwalt, betrogen wurde und wieder als Anwältin arbeiten geht?

Margulies: Alicia sucht in ihrem alten Beruf Sicherheit, eine neue Unabhängigkeit. Das gelingt ihr. Doch ein erneuter Rückschlag - Verrat durch eine Freundin - zwingt sie, sich zu öffnen, sich neuen Erfahrungen zu stellen.

SZ: Neue Erfahrungen? Sie meinen die Affäre mit "ihrem" Kollegen und Boss Will Gardner (Josh Charles)?

Margulies: Allerdings. Alicia wird explorieren - sexuell. In der Hinsicht schien sie mir bisher eher verklemmt. Bisher lebte sie in einer Phantasiewelt: eine 50er-Jahre-Welt quasi, in der sie die gute Frau war, The Good Wife. Ich bezweifle, dass zwischen ihr und Peter im Bett viel lief. Er trieb es ja ständig mit anderen Frauen. Nun stellt Will Gardner, ihr Lover, die Frage: "Sollte ich nicht auch mal deine Kinder kennenlernen?" Und sie antwortet: "Nein. Keinesfalls." Interessant. Einerseits bleibt sie also ein Good Girl, andererseits versucht sie doch ständig, aus der alten Rolle auszubrechen.

SZ: Sie sprechen über Alicia, als hätten Sie keinerlei Einfluss auf den Handlungsverlauf der Serie.

Margulies: Jedes Mal, wenn ich glaube, eine tolle Idee für einen neuen Erzählstrang zu haben, stelle ich fest, dass Robert und Rochelle King ( die Autoren und Produzenten) bessere, komplexere Ideen haben. Sie drehen mit unheimlichem Raffinement an den verschiedenen Spannungsbögen ihrer Figuren. Der Spaß der Rolle besteht auch darin, kein wirkliches Vorauswissen zu besitzen, immer wieder blind navigieren zu müssen. Das heißt: Ich muss mich jeden Tag neu auf die Rolle einstellen.

Emmy-Verleihung 2011
:Großes Kino im Fernsehen

Die Emmy-Verleihung hatte stolze Gewinner: Dazu gehörte die bereits mehrfach ausgezeichnete Serie Mad Men, aber auch Kate Winslet und Martin Scorsese - die sonst eher in Leinwand-Produktionen für Furore sorgen.

SZ: Und das, wie man liest, zehn Monate im Jahr, 16 Stunden täglich. Wie wirkt sich die Rolle auf Sie aus? Träumen Sie von Alicia Florrick?

Margulies: Ehrlich gesagt: Die Herausforderung der Rolle besteht darin, dass ich das genaue Gegenteil von Alica Florrick bin. Ich, zum Beispiel, wollte nie heiraten und dachte, ich würde nie Kinder bekommen.

SZ: Sie sind mit einem Anwalt verheiratet und haben einen dreijährigen Sohn.

Margulies: Okay, jedenfalls hab ich's viele Jahre lang geliebt, als Single in New York zu leben. Ich arbeitete als Theaterschauspielerin, sprach regelmäßig für Rollen vor. Und im Hintergrund stand immer: Ich wollte keine feste Beziehung mit einem Mann eingehen. Ich ging aufs Sarah Lawrence College , wie Barbara Walters und Yoko Ono. Unser Motto war damals: "I am woman, hear me roar." Der Feminismus war mir wichtig, aber Türen sollte mir mein Date dann doch öffnen. Ich komme aus einer geschiedenen Familie und hatte mir früh geschworen, alles für meine Unabhängigkeit zu tun - zum Überleben nie auf den Scheck eines Ex-Mannes angewiesen zu sein. Alicia Florrick schloss als Beste der juristischen Fakultät in Georgetown ab und warf zwei Jahre nach Karrierebeginn alles über den Haufen, um ihren Ehemann zu unterstützen. Das könnte ich nie! Ich liebe mein Kind, aber ich muss jeden Tag zur Arbeit gehen, auch im Bewusstsein, dass ich meine Welt durch diese Arbeit mitpräge.

SZ: In den Grundzügen erinnert Good Wife an den Sexskandal des New Yorker Generalstaatsanwalts Eliot Spitzer. In der dritten Staffel sollen die politischen Bezüge noch stärker in den Vordergrund trete n. Stimmt das?

Margulies: Ja, und das ist gut so. Manchmal drehen wir etwas, das sich dann ein, zwei Wochen später so oder ähnlich in den Medien ereignet. Schwarzenegger, die Sache mit Anthony Wieners intimen Tweets, Dominique Strauss-Kahn - all das kann und wird von unserer Serie verarbeitet und reflektiert werden. Es ist schon seltsam: Letztlich leben wir vom Schmerz anderer Leute. Denn die Geschichten, die wir da erzählen, werden immer wieder real ausagiert: Diese Leute können es einfach nicht lassen. Ich glaube, es liegt an der Sache: Männer und Macht. Politik ist irgendwie sexy - und gleichzeitig ist sie abscheulich. Vor kurzem las ich Jenny Sanfords Buch. Sie erzählt, wie ihr Mann, Mark Sanford - damals Gouverneur von South Carolina - sich zu verändern begann. Vom idealistisch denkenden, vorbildhaften Familienvater, der mal die Welt verändern wollte, zum arrivierten Politiker, nach dessen Pfeife jeder tanzen musste. Sein Weltbild war auf einmal nicht mehr realistisch: Er hielt sich tatsächlich für eine allmächtige Person, für die die üblichen Regeln nicht gelten. Das ist gefährlich - nicht nur für ihn, sondern für alle, die mit einem solchen Mann in Berührung kommen. Man wird die Auswirkungen in der dritten Staffel auch an Alicia zu sehen bekommen. Macht verführt. Und sie kann sexy sein. Viele Politiker strahlen das aus. Alicias Mann erinnert mich immer an Bill Clinton. Ich bin ein riesiger Bill-Clinton-Fan. Ich glaube, Clinton war einer unserer besten Präsidenten, einfach spektakulär. Einmal war ich im selben Raum mit ihm. Er sah mich nur kurz an. So. Und sofort war mir ... ganz anders. Dieser Instant-Clinton-Effekt ist auch ein wichtiger Faktor bei Good Wife.

© SZ vom 18.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: