Journalismus in Film und Fernsehen:Die Relevanz der Brüste

Film "Crazy Heart"

Was hätte Maggie Gyllenhall als Journalistin in Crazy Heart denn tun sollen? Ihre Arbeit? Buh, langweilig!

(Foto: 2009 Twentieth Century Fox)
  • Ob in Crazy Heart, House of Cards oder Thank you for Smoking: Die Rolle der Journalistin in Film und Fernsehen ist auffälllig oft die der Verführerin.
  • Das in Film und Fernsehen strapazierte Bild ist nicht ungefährlich - und wirkt sich auf den Alltag von Journalistinnen und die Glaubwürdikgeit ihrer Arbeit aus.

Von Theresa Hein

Er wollte ja nur, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Das sagt Clint Eastwood in einem Werbeclip zu seinem neuen Film Richard Jewell , der vom Bombenattentat während der Olympischen Spiele 1996 in Atlanta handelt. Eastwoods Stimme erhebt sich ehrfürchtig über Filmausschnitte und dramatische Klaviermusik, während er davon erzählt, wie das Leben des fälschlich als Drahtzieher des Attentats verdächtigten Titelhelden durch eine mediale Hetzkampagne zerstört wurde.

Tatsächlich wäre die Suche nach der Wahrheit gepaart mit Medienkritik eine gute Motivation, um einen Film zu drehen mit dem Prädikat "Based on a true story", basierend auf einer wahren Geschichte. Wenn da nicht die Sache mit der Journalistin wäre.

Denn die Art und Weise, wie Eastwood die Journalistin Cathy Scruggs in seinem neuen Film Richard Jewell darstellt, wird von Filmkritikerinnen und -kritikern gerade kontrovers diskutiert. Die echte Cathy Scruggs war die Frau, die 1996 als Erste darüber berichtete, dass der Wachmann Richard Jewell von den amerikanischen Sicherheitsbehörden verdächtigt wurde. Die Reporterin, im Film gespielt von Olivia Wilde, wird dabei gezeigt, wie sie einen FBI-Agenten (gespielt von Jon Hamm) im Austausch für Informationen verführt. Zwar gibt es keine konkrete Sexszene, aber es wird doch eindeutig impliziert: Diese Frau hat im Austausch für Informationen alles gegeben.

Eigentlich könnte man ja meinen, die von Drehbuchautoren geschaffene Figur der Journalistin ohne ethische Grenzen - deren Geschichte streng genommen mindestens zurückreicht bis zu Lois Lane in Superman - habe sich im Jahr 2019 langsam mal überlebt. Zumal die Wirklichkeit ja womöglich origineller ist. Die Szene mit Cathy Scruggs ist so jedenfalls nie passiert, zumindest gibt es dafür keine Belege, und dennoch ist sie irgendwie an Informationen gelangt. Scruggs selbst kann man nicht mehr dazu befragen, sie ist 2001 gestorben.

Fehlt dem Drehbuch noch was? Achja, die "verführerische Journalistin"

Auf die Ankündigung von Eastwoods Inszenierung folgte ein Shitstorm, medial und in sozialen Netzwerken, der Guardian, die Washington Post, die New York Times empörten sich über Eastwoods Fantasien. Die Zeitung, für die die Reporterin Cathy Scruggs in den Neunzigern über den Fall Richard Jewell berichtete, die Atlanta Journal-Constitution, kritisierte in einem offenen Brief die Darstellung der Reporterin und drohte mit einer Klage. Das Filmstudio Warner Brothers veröffentlichte daraufhin ein Statement, in dem es hieß, es sei "maximal ironisch", dass ausgerechnet die Zeitung, an der Richard Jewell Medienkritik übe, nun das Drehbuch kritisiere. Nicht weniger ironisch ist es allerdings, dass ein Film, der Wahrheitsfindung als Marketinggag vor sich herträgt, für eine der abgebildeten Charaktere rufschädigendes Verhalten erfindet, einfach weil es "gut ins Drehbuch" passt. Im von Warner Brothers veröffentlichten Statement heißt es, dass es einzig darum gehe, den "guten Ruf" des Protagonisten, des falsch verdächtigten Richard Jewell, wieder herzustellen. Dass das dann auf Kosten des Rufs anderer passiert? Geschenkt.

Die Diskussion um Richard Jewell stellt nicht nur wiedermal die Frage, wie viel Dichtung und wie viel Wahrheit ein fiktionales Werk verträgt, das auf wahren Begebenheiten basieren soll. Sondern auch eine andere: Warum muss die Figur der "verführerischen Journalistin" in gefühlt jeder zweiten Serie und jedem zweiten Film die sein, die einem Drehbuch hinzugefügt wird wie ein schales Gewürz? Eine, die nur dazu da ist, die Charakterentwicklung eines männlichen Gegenübers voranzubringen oder einen langweiligen Plot mit einer Sexszene aufzumotzen? Und was bedeutet das für ein ganzes Berufsbild?

Klar, es ist doch bloß ein Film. Wer im Fernsehen allerdings solche stereotypen Darstellungen von Frauen in bestimmten Rollen sieht, immer und immer wieder, der verinnerlicht sie irgendwann. "Kultivierungshypothese" nennen Kommunikationswissenschaftler wie Sabrina Heike Kessler von der Universität Zürich diesen Vorgang. Sie sagt: "Wenn Menschen jeden Tag einem bestimmten Rollenbild begegnen, dann kann es sich einpflanzen und wird teilweise unreflektiert übernommen. Daraus bilden sich Stereotype und es entstehen in einer Gesellschaft unterschwellig die Prototypen einer Frau oder eben einer Journalistin." Die Wirkung von "wiederkehrenden und stabilen Fernsehbotschaften" dürfe man nicht unterschätzen, sagt die Wissenschaftlerin.

Ein Fox-News-Moderator sagte live, Journalistinnen würden "ständig" mit ihren Quellen schlafen

Stabil ist die Figur der Journalistin, die wirklich alles für ihre Story gibt, in der Tat. Dass das erst jetzt, in den Jahren nach der "Me Too"-Debatte und zu Richard Jewell diskutiert wird, ist beeindruckend, wenn man sich ansieht, wie häufig die Blaupause in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt wurde: Bei Zoe Barnes, gespielt von Kate Mara in der Netflix-Serie House of Cards (Das war die Frau, die als Gegenleistung für Informationen mit dem Kongressabgeordneten Frank Underwood schlief und dann vor die U-Bahn geschubst wurde. In einer Szene in House of Cards sagt eine weitere Journalistin sinngemäß, für einen Knüller würde sie mit allem schlafen, was zwei Beine hat.) Oder bei Heather Holloway, gespielt von Katie Holmes in der PR-Satire Thank you for Smoking. Das war die, die an der "Relevanz" ihrer Brüste gemessen wird, ehe sie das erste Mal auftritt. Und die dann mit dem Protagonisten schläft um ihm - erraten? - Informationen zu entlocken. Da ist Maggie Gyllenhall in Crazy Heart, die mit dem Countrysänger, über den sie schreiben soll, eine Beziehung eingeht. Oder Rene Russo als Nina Romina, eine alles andere als integere Nachrichtensprecherin in Nightcrawler. Und eben Lois Lane, die eigentlich nur über Superman berichten sollte, sich aber in ihn verliebt, schon bevor sie weiß, wer er eigentlich ist. Aber sie ist ja auch Journalistin, was also hätte sie tun sollen? Ihre Arbeit gar? Recherchieren, telefonieren, aufschreiben? Langweilig!

Natürlich ist das alles auch sehr unterhaltsam. Die Journalistin Alyssa Rosenberg überschrieb einen Artikel zur Darstellung der Reporterinnen in House of Cards mit der Überschrift "House of Cards glaubt, alle Politikjournalistinnen sind fiese Schlampen". 2015 veröffentlichte das feministische Magazin The toast den Tagesablauf einer fiktiven Journalistin: "09:17 Uhr: Mit einer Quelle schlafen", "10:00 Uhr: Mit dem Chef schlafen", "10:58 Uhr: Blaues Oxfordhemd finden, dessen letzter Knopf nicht über meinen Brüsten schließt, acht Stück kaufen", "14:27, Sex auf dem Newsdesk".

Nur schwappt einiges davon immer wieder auch mal in die Realität. Vergangene Woche etwa in den USA: Da behauptete der Fox-News-Moderator Jesse Waters angesichts der Kontroverse um Richard Jewell, Journalistinnen würden "ständig" mit ihren Quellen schlafen, dann zitierte er Hollywoodfilme als Belege für seine Behauptung, und wiederholte "es passiere die ganze Zeit".

Die Darstellung wirkt sich auf die Glaubwürdigkeit aus

Sabrina Heike Kessler sagt am Telefon, es sei egal, ob es sich bei der Verbreitung eines falschen Stereotyps um eine Verbreitung in Film oder fiktionalem Fernsehen handelt oder um nicht eingeordnete Berichterstattung von Medien. Wer Medien nutze, orientiere sich auch an medial vermittelten Rollenbildern: "Im schlimmsten Fall denken Menschen dann, dass insbesondere Journalistinnen keine ethischen Grenzen kennen." Das könne sich negativ darauf auswirken, wie Andere die Arbeit von Journalistinnen einschätzen oder für wie glaubwürdig sie sie halten.

Mit anderen Worten: Die gern bemühte Hollywood-Trope der hemmungs- und skrupellosen Journalistin formt eine Vorstellung von Wahrheit. Und nicht gerade eine, die das Vertrauen in die Presse stärkt, ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf den Arbeitsalltag von Journalistinnen. Jede achte Frau wird am Arbeitsplatz sexuell belästigt, unabhängig von ihrer Berufsgruppe, das ergab eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Oktober. Auch die "Me Too"-Debatte brachte eine Menge Übergriffe auf Reporterinnen und Redakteurinnen ans Licht. Ein aktuelles von vielen Beispielen ist das der Reporterin Alex Bozarjian: Sie hatte Anfang Dezember fürs Fernsehen von einem Stadtlauf berichtet, als einer der Läufer ihr während ihrer Aufzeichnung auf den Hintern schlug. Die Journalistin fuhr mit ihrem Bericht fort.

Clint Eastwood selbst hat sich zur Aufregung um die Szene in Richard Jewell nicht weiter geäußert, der Drehbuchautor des Films, Billy Ray, sagte kürzlich im Branchenblatt Deadline, die Zeitung Atlanta Journal-Constitution wolle nur von den eigenen Fehlern ablenken. Außerdem gehe es doch gar nicht um die Journalistin, sondern um das Medienopfer, den Wachmann Richard Jewell.

Das kann man natürlich auch so sehen. Die Aussage ist aber ungefähr so gehaltvoll wie die des Arztes in Georg Büchners Woyzeck gegenüber seinem naiven Patienten: "Moral, das ist, wenn man moralisch ist." Und auf dem Filmposter zu Richard Jewell wird nach wie vor mit dem minimal pathetischen Slogan geworben: "The world will know the truth".

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