Journalisten in Berlin:Du kommst hier nicht rein

Cocktail Prolonge zum Emmy Award

Schauspieler Mario Adorf (l) und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit bei der Vorauswahl des internationalen TV-Preises Emmy Award am Dienstagabend in Berlin. Die Party ist gut - aber wo bleibt der Inhalt?

(Foto: dpa)

Der Trend in der Berliner Blitzlichtszene geht zur VIP-VIP-Party. Gastgeber laden zu illustren Veranstaltungen, doch die wirklich wichtigen Gäste werden irgendwann separiert. Das hat Auswirkungen auf die Berichterstattung. Sie verflacht.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Schon klar, dass Liv Tyler irgendwann auch gerne mal ihre Ruhe hätte. Ob allerdings ausgerechnet ein PR-Termin, bei dem sie das Testimonial spielt, und für den sie extra nach Berlin gereist ist, dafür der richtige Zeitpunkt ist, darf zumindest in Frage gestellt werden. Immerhin sind auch eine Menge deutschsprachiger Journalisten extra angereist, um mit ihr zu sprechen.

So geschehen vor ein paar Wochen, als sich Medienvertreter aller Couleur in einem Luxusrestaurant in Mitte tummelten - nicht etwa, um die Marke zu bewerben, für die Tyler ihre sinnlichen Lippen in einem Kurzfilm in die Kamera hielt, oder um von dem Eis zu kosten, für das die Schauspielerin nun wirbt. Sondern, um Tyler, die einst durch ein Musikvideo bekannt wurde, danach ein paar durchaus vorzeigbare Filme gedreht und eine Weile lang den Eindruck eines elfengleichen Wesens auf der Leinwand hinterlassen hatte, mal aus der Nähe zu sehen. Mal ein paar Takte mit ihr zu sprechen. Und den Lesern, Usern, Zuschauern oder Hörern ein paar Eindrücke davon oder auch tiefere Erkenntnisse darüber zu vermitteln. Vielleicht auch nur, um sie nach zukünftigen Projekten zumindest mal zu befragen.

Allein: Es war nicht möglich. Der Zeitplan sah Interviews oder Gespräche an diesem Abend nicht vor. Die Journalisten wurden darüber mit abendfüllendem Speis und Trank hinweggetröstet, man könnte auch sagen: abgelenkt. Denn sobald die Ankunft und das dazugehörige Blitzlichtgewitter abgehakt, das Programm des Abends inklusive generöser Bewirtung durchgetaktet war, hieß es: Bitte keine Interviews. Und auch keine Einzelfragen. Nachgefragt: Ob das für einen Termin, zu dem berichterstattende Presse ausdrücklich geladen erwünscht war, denn angebracht sei. Dass weder der Film, um den es gehe, gezeigt, noch die Schauspielerin, die anwesend war, interviewt werden könne. Doch sowohl ihre amerikanische Aufpasserin als auch die deutsche Pressebetreuung wurden so ausdrücklich nervös, dass klar wurde: Alles weitere zwecklos.

Sie sehen doch, wer da sitzt

Der Termin hatte keinen anderen Sinn als ein paar hübsche Fotos unters Volk zu bringen und gute Stimmung zu verbreiten - fernab von Inhalten, die berichtenswert wären. Dafür gibt es ja dann Pressekonferenzen.

Ähnliches Bild vor zwei Wochen bei Bertelsmann: Der Verlag lädt in sein stattliches Anwesen Unter den Linden. Wie jedes Jahr im Sommer. Es ist der erste schöne Sommerabend in Berlin, dementsprechend gut gefüllt ist die Terrasse am Abend, das ganze Haus quillt über vor Prominenz, Politikern, Medienvertretern und Lobbyisten, die übliche Hauptstadt-Mischung. Die Stimmung ist ob der Herrschaftlichkeit des Anwesens, der Qualität der phantasievollen Speisen, die sich von Stockwerk zu Stockwerk überbieten, und der Fülle an prominenten Persönlichkeiten, die sich natürlich untereinander alle kennen, weil sie sich ständig auf solchen Terminen treffen, nahezu ausgezeichnet.

Doch wer hier unbedarft durchs Haus schwirrt, wird bald eines Besseren belehrt, und von einem Ordner eindringlich davon abgehalten, die Bar im ersten Stock zu betreten. Wiederum nachgefragt, was da los sei, lautet die Antwort: Man sehe doch, wer da sitze, geschlossene Veranstaltung. Wie bitte? Eine geschlossene Veranstaltung auf einer geschlossenen Veranstaltung? Worüber soll man denn dann berichten, wenn nicht über die Leute, die sich auf den Veranstaltungen bewegen - wenn kein anderer Anlass geboten ist außer der illustren Mischung an Menschen?

Party satt, Inhalt matt

Auch am Vorabend des Berlin-Besuch des US-Präsidenten ist es wieder soweit. Promis, Politiker (wie immer in Berlin: Bürgermeister Wowereit) und Medienvertreter treffen sich fernab des Obama-Rummels, weit weg von Mitte, in der altehrwürdigen Villa Borsig. "Das ist Berliner Groß-Bourgeoisie", findet Wowereit, wie immer gut gelaunt, ein paar warme Worte über den lauschigen Ort, an dem man sich an diesem lauen Abend zwischen dem Tegeler See, einer Menge Mücken und sanft wehendem Gras unter weißen Sonnenschirmen wie in der After-Eight-Werbung versammelt.

Die Villa dient dem Auswärtigen Amt als Gästehaus. Helmut Kohl wollte den ehemaligen Wohnsitz der Industriellen-Familie Borsig einst zur offiziellen Residenz des Bundeskanzlers herrichten lassen, was Gerhard Schröder nach Amtsantritt zu verhindern wusste; er stieg auf einen bescheideneren Wohnsitz in Dahlem um. Der Öffentlichkeit ist die Villa indes nicht zugängig, wohl aber an diesem Dienstagabend der "Semi-Final Round of Actings" des renommierten TV-Preises International Emmy Award.

Cocktail Prolonge zum Emmy Award

Schauspielerin Eva Habermann trägt ihre Schuhe in der Hand, weil das Gelände rund um die Villa Borsig so weitläufig ist: Pressefoto zum "Cocktail Prolongé" zum Emmy Award in Berlin.

(Foto: dpa)

Schönheit und Anwesenheit

Das klingt spannender als es ist, denn eigentlich treffen sich hier nur diejenigen deutschen Schauspieler, die in der deutschen Sektion der Jury sitzen, die in diesem Jahr unter anderem ausgewählte Mini-Serien aus Afrika, TV-Unterhaltung für Kinder und die "Best Performance by an Actor" zu begutachten haben. Jurys wie diese sind für die Emmys über alle Kontinente verteilt, damit das Emmy-Urteil möglichst ausgewogen ausfällt.

Allein: Weder wird an diesem Abend über die Filme oder die Filmauswahl oder die Bewertungskriterien etwas verraten, noch hat irgendjemand der Anwesenden außer der 15 Jurymitglieder irgendetwas mit dem Emmy zu tun, der im November in New York vergeben wird. Dementsprechend berichten die anwesenden Medienvertreter, erschienen sind vor allem Fotografen, vor allem über die Schönheit der Kleider, Figuren, Frisuren oder die Anwesenheit einzelner Ehrengäste wie Mario Adorf oder Maria Furtwängler.

Zwar tummeln sich hier, anders als bei so manch anderer Veranstaltung, durchaus deutsche Schauspieler, die etwas zu sagen gehabt hätten - unter anderem Samuel Finzi, Claudia Michelsen, Olli Dittrich oder Anna Thalbach. Aber, Überraschung: Nach dem Roten-Teppich-Geblitze und anschließenden Häppchen herrscht Interviewverbot. Und als ob das noch nicht deutlich genug wäre, werden Medienvertreter einzeln darauf angesprochen, ob sie ihren weiteren Teil der Grillparty inklusive Essen bitte vor das Haus verlegen und dann gehen könnten, weil die Herrschaften nun auch mal ein bisschen unter sich sein wollten, das sei doch wohl verständlich.

Verständlich ist es, wenn Prominente einfach mal keine Lust auf Journalisten haben, erst recht an schönen lauen Sommerabenden, und das auch gerne in Berlin. Wenn aber Journalisten erst geladen und dann wieder ferngehalten werden - unter diesen Umständen muss sich wohl niemand mehr darüber wundern, wenn Inhalte zugunsten von Red-Carpet-Berichterstattung zunehmend verschwinden.

Und der Begriff Häppchen-Journalismus avanciert zur Doppeldeutigkeit: Zwischen Blitzlichtgewitter, Häppchen und Rauswurf ist dann eben nur noch Platz für ein paar Häppchen von eigentlich nichtssagenden Halbsätzen.

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