Süddeutsche Zeitung

Journalist Robert Ménard:Stellungswechsel eines Unbequemen

"Die Einwanderung von Muslimen muss beendet werden": Robert Ménard gründete die Organisation "Reporter ohne Grenzen" und galt lange als links. Jetzt sympathisiert er offen mit dem rechten Front National.

Von Rudolph Chimelli

Er ist für die Freiheit der Meinungen, jeder Meinung: Um dieser Freiheit eine Bresche zu schlagen, hat Robert Ménard 1985 die Organisation "Reporters sans frontières (RSF)" - Reporter ohne Grenzen (ROG) - gegründet und sie fast ein Vierteljahrhundert lang geleitet. Wo immer auf der Welt ein Journalist eingesperrt oder entführt wurde, setzte er von Paris aus seinen Apparat in Bewegung und stieg selber ins nächste Flugzeug, um dem Unglücklichen zu helfen.

Die Journalistin Florence Aubenas, heute bei der Wochenzeitung Nouvel Observateur, erinnert sich an einen solchen Fall, in dem Ménard ihrer damaligen Redaktion, der linksliberalen Tageszeitung Libération, keine Ruhe ließ, um die Kampagne zur Befreiung eines gerade Entführten in Gang zu bringen: "Das Telefon läutete, es war Ménard. Fünf Minuten später, wieder Ménard. Zehn Minuten danach, noch einmal Ménard." Als sie selber im Jahre 2005 im Irak als Geisel genommen wurde, wusste sie in ihrem Kerker, dass er nun das gleiche für sie tun würde. So war es. Florence Aubenas kam frei, nach sechs Monaten. RSF hatte so viel Lärm um sie gemacht, dass Frankreichs Regierung gar nicht anders konnte, als stillschweigend die Lösegeldforderung von zehn Millionen Dollar zu erfüllen.

Doch nicht nur die Nöte von verfolgten Kollegen brachten ihn in Harnisch. Er nutzte jede Gelegenheit, um die öffentliche Meinung gegen Diktatoren persönlich und gegen tyrannische Systeme zu mobilisieren. Als Syriens Präsident Baschar al-Assad am 14. Juli 2008 auf der Tribüne neben dem französischen Staatschef Nicolas Sarkozy saß, um die Parade zum Nationalfeiertag abzunehmen, protestierte er auf den Champs Elysées sichtbar gegen die Präsenz des im Westen damals wohlgelittenen Despoten. Vor den Olympischen Spielen in Peking kletterte er mit einigen Genossen nachts auf die Estrade von Notre Dame, um ein Banner zu entrollen, auf dem die fünf Ringe durch Handschellen ersetzt waren. Bei der Eröffnungszeremonie in der chinesischen Hauptstadt rief er nahe dem Podium: "Freiheit für China, Freiheit für Tibet!" Kuba, Tunesien, die Türkei und andere Staaten verboten dem Provokateur die Einreise.

"Erfreut" über FN-Sympathien

Jetzt hat sich der bald 60 Jahre alte Ménard in sämtliche politischen Brennesseln Frankreichs gesetzt: Er kandidiert in seinem südfranzösischen Heimatort Béziers für die Bürgermeisterwahl des kommenden Frühlings - mit Unterstützung des rechtsextremen Front National (FN).

Mitglied der Partei von Marine Le Pen ist er nicht geworden, wie man ihm eilfertig unterstellte; er erklärt sich als "unabhängig". Aber auf seiner Fraktionsliste wird der Front als Gegenleistung prominente Plätze einnehmen, und er sei "erfreut" über die Sympathien der Front-Chefin. Bei Wahlen stimmen in Béziers regelmäßig 20 bis 25 Prozent der Berechtigten für den FN. "Sie wollen mir doch nicht sagen, dass das alles Faschisten sind? Bestimmt nicht", erwidert er Kritikern. Im übrigen teile er nicht alle programmatischen Ideen des Front, schon gar nicht deren Europa-Skepsis.

Er wirbt damit, dass er seine Stadt sicherer, sauberer und wohlhabender machen möchte, indem er im Falle seiner Wahl die Stärke der Polizei verdoppeln würde: "Nach 23 Uhr unternimmt die Polizei keine Streifen mehr. Aber die Kriminalität hört nicht um 23 Uhr auf." Auch werde er wildes Plakatieren nicht zulassen: "Die Stadt ist schon so schmutzig genug."

Ménards Zusammengehen mit dem Front war konsequent, denn er ritt schon seit Jahren gegen die Windmühlen der politischen Korrektheit an. Nachdem er 2005 den Vorsitz von RSF niedergelegt hatte, ging der nach Katar, um dort im Auftrag des Emirs ein "Zentrum für Informationsfreiheit" aufzubauen. Bald merkte er, dass ihn ein Neffe des Herrschers überwachte und dass die Verdienste des Senders al-Dschasira nicht umfassende Freiheiten für alle bedeuteten. Er verabschiedete sich. In immer schnellerem Tempo schritt Ménard nun nach rechts, um dort Clubs und Websites zu seinen Ausdrucksmitteln zu machen.

Als Paris ankündigte, die Stadt werde sich um die "Gay Games" von 2018 bewerben, fragte er polemisch, ob Frankreichs Hauptstadt auch Wettbewerbe für "Fetischisten und Sado-Masos" ausrichten wolle. "Ich möchte nicht, dass es in meinem Land so viele Moscheen wie Kirchen gibt. Die Einwanderung von Muslimen muss beendet werden", predigte Ménard. Mit politischen Pamphleten wie "Vive Le Pen!" und "Vive l'Algérie française!" schoss er über das Ziel hinaus - absichtlich, um zu schockieren, wie es seine Gewohnheit ist.

Der Erfolg war durchschlagend. RSF distanzierte sich von seinem ehemaligen Vorsitzenden. Ménards politische Stellungnahmen beträfen die Organisation in keiner Weise, erklärten vergangene Woche der jetzige Präsident, Dominique Gerbaud, und der Internationale Sekretär, Christophe Deloire. In einem offenen Brief an Libération betonten aktive und ehemalige Mitglieder: "Sein Weg hat sich endgültig von dem unseren getrennt." Vorbei die Zeit, da Ménard den Sacharow-Preis erhielt, da man ihm den Henri-Nannen-Preis verlieh, da er zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen wurde.

Die Stadt, die er als Bürgermeister mit Hilfe der Front auf den rechten Weg bringen will, ist Ménards zweite Heimat. Geboren wurde er in der algerischen Küstenstadt Oran. Seine katholisch-konservative Familie, die dort seit 1850 gelebt hatte, verabscheute Kommunisten wie Gaullisten. Sein Vater engagierte sich in der rechten Untergrundorganisation "Geheim-Armee OAS", die gegen die Gewährung der Unabhängigkeit an Algerien durch General Charles de Gaulle rebellierte.

"Ist das wirklich das Élysée von Deutschland?"

In seiner Jugend dachte Ménard daran, Priester zu werden, aber seine Mutter stellte sich in den Weg. Seine Sympathien für die Front könnten somit tiefe Wurzeln in seiner nordafrikanischen Jugend haben. Bis sie ausschlugen, ging Ménard indessen linke bis linksextreme Umwege. Noch als Schüler erzwang er während der Studentenunruhen von 1968 die Schließung seines Collège. Danach näherte er sich erst anarchistischen Grüppchen, in der Folge den Trotzkisten. Sechs Jahre lang war er Mitglied der trotzkistischen "Kommunistisch-revolutionären Liga", dann trat er in die Sozialistische Partei ein und wurde Parteitags-Delegierter von deren linkem CERES-Flügel.

Auf einer Medien-Tagung im Berliner Schloss Bellevue war Ménard einst tief beeindruckt, dass Bundespräsident Richard von Weizsäcker sich unzeremoniös an einen Tisch setzte, mit Journalisten diskutierte und die Versammlung ebenso formlos wieder verließ, ohne dass irgendjemand sich respektvoll erhoben hätte. An den Pariser Pomp mit livrierten Dienern und protokollarischen Regeln im Umgang mit dem Staatschef gewöhnt, fragte Ménard staunend: "Ist das wirklich das Élysée von Deutschland?"

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SZ vom 11.06.2013
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