Journalist Jaafar Abdul Karim:Für ihn gibt es kein Tabuthema

Geflüchtet und angekommen?

Spricht gern mit anderen - aber nicht über sich selbst: Jaafar Abdul Karim, 34, Fernsehmoderator und Journalist.

(Foto: Gundula Krause/RBB)

Jaafar Abdul Karim moderiert den bei jungen Arabern beliebten "Shababtalk" der Deutschen Welle. Einer seiner größten Quotenerfolge war eine Sendung über Homosexualität in muslimischen Gesellschaften.

Porträt von Thorsten Schmitz

Ein Samstagnachmittag im Schminkraum des Berliner Fernsehgebäudes der Deutschen Welle. Jaafar Abdul Karim bekommt das Gesicht gepudert für seine Sendung Shababtalk (Jugendtalk). Gleich beginnt die Aufzeichnung. Im selben Raum sitzen auch seine Gäste. Eine deutsche Mutter, die einen syrischen Flüchtling bei sich aufgenommen hat, eine deutsche Rentnerin, die sich um einen minderjährigen Flüchtling aus Syrien kümmert, und eine syrische Studentin, die Flüchtlingen in Berlin WG-Zimmer vermittelt.

Jaafar Abdul Karim braucht keinen eigenen Schminkraum, er ist ein Star, aber einer ohne Kult. Während er gepudert wird, fragt er die Gäste Fakten ab, aber nicht zu viele. "Ich will neugierig bleiben für die Sendung", sagt er. Thema an diesem Nachmittag: Wie können Flüchtling in die deutsche Gesellschaft integriert werden? Zwei Wochen später beherrscht der Mord an der Freiburger Studentin Maria die Nachrichten. Dringend tatverdächtig ist ein junger, unbegleiteter afghanischer Flüchtling.

Kurz vor der Sendung wirkt Abdul Karim wie unter Strom, während der Sendung ist er die Gelassenheit in Person. Er trägt ein weißes Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, und wenn er mit seinen Gästen redet, gestikuliert er wie ein Dirigent mit den Armen. In deutschen Talkshows schielen Moderatoren oft auf Karteikarten, um sich zu erinnern, was sie fragen wollen. Bei Shababtalk wirkt es, als habe sich in Abdul Karims Wohnzimmer gerade eine heiße Debatte unter Freunden entspannt.

Abdul Karim ist Moderator und Journalist. Als Paris von islamistischen Attentaten heimgesucht wurde, fuhr er ins belgische Molenbeek, wo ein Terrorist Unterschlupf gefunden hatte. Nach dem Brexit-Votum sprach er mit Migranten in London über ihre Angst vor Rassismus. Richtig berühmt geworden aber ist der 34-jährige Deutsch-Araber mit Shababtalk: Mehr als 8,5 Millionen Araber in aller Welt schauen sich die Talkshow der Deutschen Welle online oder via Satellit an und auch immer mehr Flüchtlinge in Deutschland.

Keine Scheu

Für manche Sendung reist Abdul Karim nach Bagdad, Beirut oder nach Tunis. Dort wird er von Fans umzingelt, und er wird mitunter von Zensoren gebeten, ein Thema abzuschwächen. Abdul Karim droht in solchen Fällen, die komplette Sendung abzusagen - und darf dann doch senden. Für ihn gibt es kein Tabuthema. Über alles wird in seiner Sendung geredet und, vor allem, gestritten.

Er selbst sieht einen Grund für seine Beliebtheit auch darin: "Ich verurteile meine Gäste nicht. Die Zuschauer sollen sich ihre Meinung selbst bilden." Abdul Karims unschlagbarer Vorteil ist, dass er Arabisch spricht, seine Talkgäste vertrauen ihm. "Aber im Denken, Fühlen, Respektieren", betont er, "bin ich ein Deutscher."

Einer seiner größten Quotenerfolge war die Sendung über Homosexualität in muslimischen Gesellschaften. Jaafar Abdul Karim hatte einen Pariser Imam eingeladen, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt. Der Imam, Ludovig Mohamed Zahed, erzählte, dass er Männer begehre und der Islam Ehen zwischen Mann und Mann nicht verbiete. Zugeschaltet war ein bekannter Islam-Rapper aus Marokko, der Homosexualität verdammte. Jaafar Abdul Karim ließ die Kontrahenten hitzig weiterdiskutieren. Ein junger Schwuler aus Ägypten im Studio versuchte zu schlichten: "Kommt, Leute, wir leben im 21. Jahrhundert!" Die Sendung ist bis heute millionenfach angeklickt worden.

Tabuthemen gibt es nicht

Heftige Reaktionen hat auch eine Sendung ausgelöst mit dem für deutsche Ohren banal klingenden Thema: Sex vor der Ehe. Eine ägyptische Regisseurin hatte gesagt: "Man muss nicht verheiratet sein, um Sex zu haben." In ägyptischen sozialen Medien hatten daraufhin empörte Männer gefordert, die Frau gehöre ausgepeitscht.

Abdul Karim weiß, dass seine Sendungen in den arabischen Ländern eine große Wucht entwickeln können, er ist ständig in Kontakt mit seinen Zuschauern auf Twitter und Facebook. "Manche schreiben mir, meine Sendungen hätten ihr Leben verändert und dass sie jetzt offener und respektvoller denken", sagt er.

Kurz vor Beginn der Aufzeichnung an diesem Samstagnachmittag trifft er einen Kollegen im Regieraum, der ihn fragt: "Was hast du denn mit dem Film Willkommen bei den Hartmanns zu tun? Dein Name steht im Abspann." Karim ist überrascht - und erzählt vom Treffen mit dem Regisseur der Flüchtlingskomödie, Simon Verhoeven, der wissen wollte, was er, der Migrantenexperte, von der Geschichte halte.

Es ist kein Zufall, dass Jaafar Abdul Karim von Berlin aus für die arabische Welt produziert, fern von Autokraten und Zensoren. In manchen Staaten stünde seine Sendung längst auf dem Index. Die Idee entstand nach dem Arabischen Frühling. Bei der Deutschen Welle waren sie sicher, es gebe großen Diskussionsbedarf unter der Jugend des Nahen Ostens. Mehr als 60 Prozent dort sind jünger als 25 Jahre. Und sie sollten sich nicht irren. Jaafar Abdul Karim hat der Sendung sein Lebensmotto übergestülpt: "Jeder hat das Recht, so zu sein, wie er ist." Das kommt an bei jenen, die in Ländern leben, in denen Frauen nicht Auto fahren und Männer nicht schwul sein dürfen.

Sendung mit Integrationspotenzial

Immer mehr Flüchtlinge in Deutschland entdecken Shababtalk. Eine Sendung wurde eigens in eine Berliner Flüchtlingsunterkunft verlegt. Die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner war eingeladen und mehr als zwanzig Flüchtlinge. Thema: Was Deutsche und Flüchtlinge voneinander erwarten. Jaafar Abdul Karim fragte eine Kopftuch tragende Syrerin, ob sie einem deutschen Mann die Hand geben würde. Nein, natürlich nicht, der Islam verbiete das, erwiderte die Frau. Abdul Karim ließ nicht locker. Sie sei aber doch jetzt in einem Land, in dem so etwas ganz üblich sei. Mag sein, sagte die Frau, sie erwarte aber, dass Deutschland ihre Haltung respektiere. Abdul Karim wendete sich an den Ehemann. Ob er Frau Klöckner die Hand geben würde, fragte Abdul Karim. Klar, sagte der Mann, "ich bin eben schon integriert."

Jaafar Abdul Karim ist gut darin, andere Menschen auszufragen. Über sich selbst möchte er noch nicht einmal preisgeben, welche Musik er hört oder wo er Urlaub macht. "Das ist mir zu privat", sagt er, und macht klar: Nachbohren zwecklos. Er ist nur bereit, die Vita-Details herunterzurattern, die in jedem Artikel über ihn stehen. Als Sohn libanesischer Eltern ist er in Liberia geboren und in der Schweiz und in Libanon aufgewachsen, studiert hat er Medieninformatik in Dresden und in Lyon, in London zusätzlich einen Regiekurs absolviert.

Seit fünf Jahren macht er Shababtalk, außerdem schreibt er noch für Zeit Online, und dreht Reportagen für Spiegel Online. Wo er lebt, was er in seiner Freizeit macht, mit wem er zusammen ist, all das sind Fragen, die unbeantwortet bleiben. "Mein Privatleben", sagt er, "hat in der Öffentlichkeit nichts zu suchen." Wir lebten in Zeiten, "in denen man Menschen einordnen möchte, aber das macht mich eben auch aus, dass ich keine Stellungnahme abgebe".

Sein Traum? Er bleibt beim Beruflichen. Sagt, dass er gern eine Talkshow auf Deutsch führen möchte. Er habe schon Angebote bekommen, aber das Passende sei noch nicht dabei gewesen. Diesen Mittwoch geht er mit Dunja Hayali für ZDF Neo der Frage nach: Wie sexistisch sind wir? Von sich selbst ist Jaafar Abdul Karim sehr überzeugt: "Jemand wie ich würde den deutschen Medien guttun."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: