Süddeutsche Zeitung

Tageszeitung "Neues Deutschland":Betongold

  • Die Redaktion der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland, ehemaliges Zentralorgan der SED, sitzt in einem Gebäude am Berliner Ostbahnhof.
  • Die Zeitung gehört zur Hälfte einer Beteiligungsgenossenschaft namens communio eG und zu 50 Prozent der Fevac, der Vermögensgesellschaft der Linkspartei.
  • Diese soll besonders an der Immobilie interessiert sein, die auf dem boomenden Berliner Immobilienmarkt mehrere Millionen wert wäre.

Von Verena Mayer, Berlin

Man kann nicht sagen, dass der Sozialismus in Europa tot ist. Zumindest nicht hinter dem Berliner Ostbahnhof. Hier läuft man an einem Stand vorbei, an dem "Original DDR-Softeis" verkauft wird, an einem Restaurant mit dem Namen "Volkskammer" und steht schließlich vor der Redaktion des Neuen Deutschland , des früheren Zentralorgans der SED. Allein das Gebäude: ein grauer Riegel, sieben Stockwerke hoch und einen Häuserblock breit, mit einem Zitat von Karl Marx an der Fassade. Ein Bollwerk des Sozialismus gewissermaßen.

Schon lange ist man allerdings nicht mehr "die stärkste Waffe der Partei", in der stand, was von oben diktiert wurde, mit einer Million Auflage, weil alle das Blatt kauften, ob sie wollten oder nicht. Die "sozialistische Tageszeitung", wie sich das Neue Deutschland noch immer nennt, ist heute redaktionell unabhängig und kommt ziemlich modern daher. Es gibt das Internetportal Supernova, das sich mit Beiträgen zu Sex, Sport oder Mode ("Ich bin links und schminke mich - kommt damit klar!") an ein junges Publikum wendet. Und seit einem Monat erscheint am Samstag nd - Die Woche, eine umfangreiche Wochenendausgabe, schick gelayoutet, mit Schwerpunktthemen und groß bebilderten Strecken.

Die täglichen Ausgaben wurden deswegen etwas reduziert, sagt Eva Roth, die in der Chefredaktion für die Wochenendausgabe zuständig ist, die Redaktion soll Zeit haben für die großen Stücke am Samstag. Darin wird über die Grünen und die soziale Marktwirtschaft genauso nachgedacht wie über Frauenfußball und den Hang zur Selbstoptimierung in Zeiten der sozialen Medien. Selbst über Craft Beer gibt es einen Artikel.

Ob die sozialistische Tageszeitung überlebt, ist wie so oft eine Frage des Geldes

Was nicht heißt, dass es mit dem Neuen Deutschland so läuft, wie Erich Honecker sich das einst für den Sozialismus wünschte: vorwärts immer, rückwärts nimmer. Im Gegenteil. Die Auflage geht von Jahr zu Jahr zurück, gerade beträgt sie noch 25 000 Stück. Die Werbeeinnahmen machen gerade mal sieben bis zehn Prozent des Umsatzes aus. Zwei große Entlassungswellen gab es seit den Neunzigerjahren, der Chefredakteur Tom Strohschneider, der 2012 mit großen Hoffnungen von der taz geholt wurde, warf Ende 2017 hin.

Vor einem Jahr war die Lage des Neuen Deutschland dann so desolat, dass es offenbar kurz vor der Insolvenz stand. Ob die sozialistische Tageszeitung überlebt, ist wie so oft eine Frage des Geldes. Nur ist sie in diesem Fall delikater als bei anderen Medienunternehmen. Denn die Zeitung gehört zur Hälfte einer Beteiligungsgenossenschaft namens communio eG und zu 50 Prozent der Fevac, der Vermögensgesellschaft der Linkspartei. Die soll Kritikern zufolge allerdings besonders an der Immobilie interessiert sein, in der das Neue Deutschland sitzt. Im angesagten Bezirk Friedrichshain gelegen und Tausende Quadratmeter groß, wäre sie auf dem boomenden Berliner Immobilienmarkt mehrere Millionen wert, Betongold. Aber weil die Immobilie im Fall einer Insolvenz der Zeitung in die Konkursmasse einfließen würde, sollen die Gesellschafter überlegen, dem Verlag die Anteile an der Gesellschaft zu entziehen, die das Grundstück bewirtschaftet. Die Immobilie würde dann nur der Communio eG und der Fevac gehören.

Diese Befürchtung wurde jedenfalls im April publik, durch einen Brief, den Mitarbeiter des Neuen Deutschland an den Vorstand der Linkspartei schrieben. Darin forderten sie ihn auf, als Gesellschafterin "Verantwortung für die Beschäftigten und die Zeitung" zu übernehmen. Zumal die Redakteure ohnehin schon wenig verdienen, nach zehn Jahren Betriebszugehörigkeit kommt man auf 1700 Euro netto monatlich. Dass die Linkspartei demnach ausgerechnet bei einer sozialistischen Tageszeitung kapitalistisch denken soll, stößt vielen auf. Thomas Nord, bis zum Sommer Bundesschatzmeister der Linkspartei, hält in einer Mail dagegen, es gebe keine Pläne, "etwas an der Unternehmenstätigkeit beziehungsweise den bisher verfolgten Zielen der Grundstücksgesellschaft zu ändern". Es werde "zur Zeit durch die Eigentümer diskutiert und geprüft", wie "dies weiterhin gewährleistet werden kann".

Für Wolfgang Hübner bleibt die Zukunft "ein Auf und Ab", wie auch die vergangenen Jahrzehnte schon. Er ist der aktuelle Chefredakteur, legt aber Wert darauf, das nur vorübergehend zu sein. Wenn es wieder ruhiger werde, wolle man nach einer jüngeren Führungskraft suchen.

Seit 1985 ist er beim Neuen Deutschland, die alten Zeiten hat er noch miterlebt. Er hat am sogenannten "Roten Kloster" in Leipzig Journalismus studiert und war beim Neuen Deutschland bis zur Wende Redakteur im Ressort "Volksbildung". Vor allem die Meinungsfindung sei damals "interessant" gewesen, erzählt er heute. Auf den Fluren und Redaktionskonferenzen habe man die unterschiedlichsten Dinge gehört, mitunter auch sehr kritische. Nichts davon fand sich in der Zeitung wieder, "die wich keinen Millimeter von der Parteilinie ab".

Und wie macht man heute eine sozialistische Tageszeitung? Hübner zitiert einen früheren Chefredakteur: "Wir schreiben nicht über Krieg, sondern gegen Krieg, nicht über Missstände, sondern gegen Missstände." Beschwerden gebe es dennoch oft, wenn es etwa gegen Putin gehe oder die Zustände auf Kuba. Was auch mit den Lesern zu tun habe. Die sind durchschnittlich sechzig Jahre alt, kommen aus Berlin oder Ostdeutschland und haben oft sehr klassische Vorstellungen von einer sozialistischen Zeitung. "Wenn wir einmal Honeckers Geburtstag auslassen oder den Tag der Nationalen Volksarmee, kommen gleich Leserbriefe", sagt Wolfgang Hübner.

Er führt durch das Gebäude. Über lange Flure, in denen Paternoster auf und ab fahren, vorbei am Archiv, in dem Jahrzehnte DDR-Geschichte lagern. Ein Autogramm des Kosmonauten Sigmund Jähn etwa, des ersten Deutschen im All, oder das Schreiben eines tschechischen Dissidenten von 1968, es wurde in der Schublade "Briefe, die nicht beantwortet werden" abgelegt. Ein riesiges Gebäude, in dem 500 Leute arbeiteten und es nicht nur eine Druckerei gab, sondern auch eine Ambulanz, eine Zahnarztpraxis und eine Sauna.

Zur Wendezeit fürchtete die Redaktion, die Zeitung werde geschlossen. Ist es jetzt soweit?

Die Immobilie, in den Siebzigerjahren als Antwort auf das Axel-Springer-Hochhaus im Berliner Westen gebaut, hat immer schon Begehrlichkeiten geweckt. Bei der Deutschen Bahn etwa. Das Grundstück, auf dem das Gebäude steht, hatte früher der Reichsbahn gehört, 1995 kam es deswegen zum Rechtsstreit zwischen der Deutschen Bahn und dem Verlag. Das Neue Deutschland gewann ihn am Ende, zog bis dahin aber aus seinem Verlagshaus aus. Das Gebäude stand zehn Jahre lang leer, über diese Zeit gibt es einen Dokumentarfilm der Filmemacherin Sandra Prechtel. Man sieht, wie Künstler, Hipster und Freiberufler das vor sich hin bröckelnde Gebäude zur Zwischennutzung in Beschlag nehmen, und dazwischen geht ein alter Mitarbeiter des Verlags hin und her und teilt Ausgaben des Neuen Deutschland aus. Er macht das heute noch, jeden Abend, alle nennen ihn nur die "Rote Hose".

Chefredakteur Wolfgang Hübner kann sich noch gut an die Zeit der Wende in der Redaktion erinnern. "Eine Kollegin saß mit gepackten Koffern da und sagte: Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder wir werden gestürmt, dann hauen wir mit den Taschen von hinten durch die Druckerei ab. Oder es wird eines Tages die Bude zugemacht." Derzeit sieht es so aus, als würde irgendwann Letzteres eintreten. Zwei Jahre soll das Neue Deutschland noch Zeit haben, die Kurve zu bekommen, will die Redaktion erfahren haben. Der frühere Linken-Schatzmeister Thomas Nord mailt dazu, dass es keine Pläne gebe, das Blatt abzuwickeln, es werde lediglich über die Zukunft der Zeitung diskutiert und wie man diese sichere.

Und die Mitglieder der Linkspartei? Zwei von ihnen haben zuletzt eine Initiative gestartet. Die Frage, wie man mit dem Neuen Deutschland umgehe, "berührt die Glaubwürdigkeit der Politik der Linken insgesamt", schreiben sie. Die beiden rufen "alle Genossinnen und Genossen, Gliederungen der Partei sowie Abgeordnetenbüros in Bund und Ländern" dazu auf, das Neue Deutschland zu kaufen. Fast wie früher, im Sozialismus. Vielleicht bringt die Zeitungen ja die "Rote Hose" vorbei.

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SZ vom 27.11.2018/doer
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