Süddeutsche Zeitung

Journalismus-Projekt Krautreporter:Substanz statt Husch-Husch

Das Online-Magazin Krautreporter sollen viele Unterstützer statt eines Verlags finanzieren - dafür dürfen sie mitreden. Eine Hoffnung für den Journalismus? Eher noch unklar.

Von David Denk

Pioniergeist ist für Krautreporter Pflicht. "Ich glaube, es ist höchste Zeit, dass wir jetzt was Neues ausprobieren", sagt Peer Schader. Wer genug habe "von ab und zu mal einem Hype und Me-too-Journalismus, wenn ihr wirklich Analyse haben wollt, Recherche, wenn ihr wissen wollt, was wirklich abgeht, dann solltet ihr genau dieses Projekt unterstützen", ergänzt Jens Weinreich.

In dem Werbevideo positionieren einige der 25 Krautreporter das Online-Magazin-Projekt arg selbstbewusst als die Zukunft. "Der Online-Journalismus ist kaputt", steht auf der Website. "Wir kriegen das wieder hin."

Die Botschaft ist klar: Fürchtet euch nicht, der Erlöser ist da. Ja, wirklich? Ist es endlich so weit?

Bis zum 13. Juni, 23.59 Uhr, wollen die Krautreporter 15 000 Unterstützer gefunden haben, die für ein Jahres-Abo mindestens 60 Euro zahlen - das ist ihr eigenes Ultimatum. Am Freitagnachmittag waren knapp 3500 erreicht. Nur wenn minimum 900 000 Euro zusammenkommen, startet im September das werbefreie Onlinemagazin, das "Geschichten hinter den Nachrichten" bieten will. Mit der Summe wäre der Betrieb für ein Jahr gesichert. 2000 bis 2500 Euro soll jeder Autor im Monat verdienen - für mindestens einen Text pro Woche. Kritiker monierten schon, die Krautreporter seien zu weiß, zu deutsch, zu männlich und die Kritiker der Kritiker fanden diese Kritik typisch deutsch. Was dann wiederum von anderen als typisch deutsch gebrandmarkt wurde. Dieser Netz-Diskurs passt jedenfalls so gut zu dem Gemüse, auf das der Name anspielt, wie sonst nur fränkische Bratwurst.

Paywall vor der Community

Die Krautreporter behaupten, dass Unterstützer mit ihrem Geld Einfluss kaufen können - Teilhabe als Geschäftsmodell. Jeder kann Artikel lesen, verlinken und verschicken, aber kommentieren und mitdiskutieren können nur Abonnenten. Die Paywall ist vor der Community hochgezogen. Ein ungewöhnlicher Ansatz - auch er wurde kritisiert, weil er die Kostenlos-Mentalität im Netz befeuere. Anders als beim niederländischen Pendant De Correspondent, sollten Krautreporter-Geschichten frei zugänglich sein, sagt Herausgeber Sebastian Esser.

Wiebke Loosen, Journalismusforscherin am Hans-Bredow-Institut der Uni Hamburg, ist selber gleich Mitglied geworden und beschreibt, "wie ich sofort eine ganz andere Nähe zu dem Medium hatte": Sie habe den grünen Balken mit der Mitgliederzahl regelmäßig verfolgt und sich dafür interessiert, wer wohl die anderen Mitglieder sind. Der Frauenmangel unter den Autoren habe sie zu einem kritischen Twitter-Tweet animiert: "Jetzt bin ich Mitglied, jetzt darf ich mich auch einmischen."

Loosens Institutskollege Jan-Hinrik Schmidt sieht in der Paywall vor der Community "einen interessanten Ansatz, um Trolle und Pöbler abzuschrecken, die Moderation der Kommentare zu erleichtern."

Es ist Teil des Konzepts, dass Leser die Krautreporter zu Recherchen anregen - für Autorin Theresa Bäuerlein liegt der Reiz gerade darin, "rauszukommen aus dem journalistischen Brutkasten, wo man manchmal bestenfalls raten kann, was die Leute interessiert." Zu den Autoren zählen junge, eher unbekannte, aber auch etablierte Schreiber wie Stefan Niggemeier, Thomas Wiegold oder Weinreich. Zumindest letztere könnten wohl auch so von ihren Texten leben. Von "Verzweiflung über die Zustände" spricht Esser, was die Krautreporter wie ein redefreudiges Protestbündnis, sozusagen als AfD für Internetauskenner erscheinen lässt. "Das alte Geschäftsmodell hängt den Verlegern wie ein Klotz am Bein", behauptet Esser, der ja als Neuverleger auch in der Branche Geld verdienen will. "Wir bringen die Netzkultur des Dialogs und des Zweifels als Innovation in den Journalismus ein und glauben, dass man die Leser bitten kann, ob sie dafür nicht bezahlen wollen."

Der Feind ist also klar ausgemacht: die Werbefinanzierung des Online-Journalismus und deren mögliche Auswirkungen auf das Produkt. Durch Klickzahlen- und Suchmaschinen-Optimierung lande man "tendenziell bei Boulevard", kritisiert Esser. Das sei "nicht die Schuld der Journalisten, sondern des Geschäftsmodells." Im Branchenmagazin Horizont lobte FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher die Analyse der Krautreporter: "Was dort über Klick-Journalismus und Google-getriebene Geschichte steht, teile ich zu 100 Prozent."

Autorin Andrea Hanna Hünniger sieht in Krautreporter eine "sehr, sehr befreite Form des Journalismus": "Ich glaube, dass wir unter diesen Bedingungen besser und ehrlicher schreiben können", sagt sie, und wieder hat man das Gefühl, dass hier fest an ein Erlösungsmodell geglaubt wird. Hünniger glaubt: "Wenn man gut und radikal ist, setzt sich das von allein durch."

Krautreporter - ebenso wie die vorab gegründete Crowdfunding-Börse - ist aus dem Geist der Selbstermächtigung geboren: Journalisten nehmen sich, was Verlage ihnen nicht mehr in dem Maße geben wie früher: Geld. Das Onlinemagazin soll die Existenz der freien Autoren dauerhaft und nicht mehr nur projektbezogen sichern. Weil sie den branchenweiten Unmut kanalisieren, aber niemanden direkt angreifen, können sich die Krautreporter der Sympathie und Solidarität ihrer Kollegen gewiss sein. Aber das allein reicht nicht. Herausgeber Esser weiß, dass er nicht nur die Branche erreichen muss, sondern auch seine Eltern.

Ziel: gesellschatliche Veränderungen

In Frankreich sammelt derweil das Crowdfunding-Projekt Hexagones, das die Berichterstattung aus den Regionen in einem Online-Portal bündeln will, 15 000 Euro als Anschubfinanzierung. Der Bezugsrahmen ist national, die Umsetzung regional - Mangelware im zentralistischen Frankreich. Eine erfolgreiche Kampagne brauche zwar "nicht unbedingt einen Gegner", sagt Anna Theil, Geschäftsführerin der Crowdfunding-Community Startnext, dort beobachte man aber, dass Projekte, die "mit dem David-gegen-Goliath-Phänomen spielen oder gesellschaftliche Veränderungen anstreben, besonders erfolgreich sind." Bei Startnext können Kreative ihre Ideen vorstellen und sie mittels möglichst vieler Unterstützer finanzieren. Krautreporter-Herausgeber Esser kann sich als Werbefläche nur das Video auf der Website leisten. Darin sagt er: "Viele Leser fühlen sich nicht mehr gut informiert vom Journalismus im Netz". Belegen kann er diesen "persönlichen Eindruck" nicht.

Außer Autorennamen und dem vagen Bekenntnis zu einer Haltung - Recherche statt Meinung, Substanz statt Husch-Husch - bietet Esser seinen Eltern noch wenig Konkretes: Vier Artikel sollen täglich erscheinen und die Autoren ihre Themen frei wählen - wie die Abonnenten mitmischen können, ist noch unklar.

Für Journalismusforscher Schmidt ist es "ein interessanter Shift", eine Innovation nicht aus einer etablierten Marke heraus zu entwickeln. Journalistische Start-Ups mit einer neuen Idee sind tatsächlich selten. Dagegen wisse jeder Mediennutzer aus Erfahrung, warum sich der Kauf einer bestimmten Zeitung lohne, sagt Loosen. "Die gibt es schon so lange, dass man damit bestimmte Attribute verbinden kann."

Hexagones in Frankreich versuchte das Problem zu lösen, indem man während der Crowdfunding-Phase ein Exklusivinterview mit UMP-Politiker Lionel Tardy veröffentlichte, das Furore machte, weil er darin die Auflösung seiner eigenen Partei prophezeite - gewissermaßen als Amuse-Gueule für künftig zu erwartende Scoops.

Ohne Selbstzweifel

Sind genügend Menschen bereit, in nicht mehr als eine Idee zu investieren, ohne eine Vorstellung vom Ergebnis? Auch die Forscher haben darauf keine klare Antwort. Schmidt: "Das ist die Tücke von Magazin-Neugründungen, dass Leute erst feststellen können, ob das wirklich etwas für sie ist, wenn es auf den Markt kommt." Loosen sagt immerhin: "Unrealistisch scheint mir das Ziel nicht zu sein." Startnext-Geschäftsführerin Theil ist da mutiger: "Die aktuelle Dynamik der Krautreporter-Kampagne deutet stark darauf hin." Wobei das ja nur der Anfang wäre. Krautreporter müsse sich dann gegen andere Medienangebote behaupten - Print wie Online. "Ob ich als Mitglied dabei bleibe", sagt Forscherin Loosen, "steht und fällt mit den Inhalten."

Autorin Bäuerlein ist voll und ganz überzeugt von Krautreporter: "Die Leute sind zu engagiert und talentiert, als dass Schrott dabei rauskommen könnte." An Selbstzweifeln, so viel ist klar, wird Krautreporter nicht scheitern.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2014/mkoh
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