Journalismus in Russland:Aus Liebe zur Heimat

Russlands Präsident Putin und die Medien

Der Präsident und die Medien: Unter Wladimir Putin ist in den vergangenen Jahren eine Reihe von Gesetzen erlassen worden, die die von der russischen Verfassung garantierte Pressefreiheit einschränken.

(Foto: AFP)

Für die größte russische Nachrichtenagentur Ria Novosti hätte 2014 mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi ein Höhepunkt werden können. Doch dann ließ sie Präsident Putin auflösen. Derzeit wird sie zu einem Propaganda-Dienst umgebaut.

Von Julian Hans

Der Ria-Karikaturist Sergej Jolkin hat sich nicht bemüht, seine Botschaft zu verschlüsseln. Auf der Zeichnung, mit der er das vergangene Jahr zusammenfasste, steht neben dem Papst, Edward Snowden und dem Greenpeace-Eisbrecher Arctic Sunrise die Nachrichtenagentur selbst im Mittelpunkt. Ein glatzköpfiger Mann ist auf das Dach der Zentrale geklettert und übermalt einen Regenbogen mit grauer Farbe. Aus dem Himmel stürzt ein Meteorit auf das Gebäude zu.

Woher die Bedrohung für Russlands größte Nachrichtenagentur kommt, ist ebenso klar wie die Identität des Glatzkopfs. Im Dezember hat Präsident Wladimir Putin überraschend per Erlass verfügt, Ria Novosti aufzulösen und in der mit dem gleichen Ukas ins Leben gerufenen Agentur Rossija Segodnja ("Russland heute") aufgehen zu lassen. Zum Direktor des Ganzen ernannte Putin den Fernsehjournalisten Dmitrij Kisseljow, der für seine homophoben und antiwestlichen Äußerungen bekannt ist.

Kisseljow hat inzwischen ein Büro im Ria-Gebäude Moskauer Subowskij Boulevard Nummer 4 bezogen. Seitdem warten die Mitarbeiter auf den Einschlag des Meteoriten, Beobachter befürchten, dass danach kein Stein mehr auf dem anderen bleiben wird. In ihrer fast 73-jährigen Geschichte hat die Agentur eine Entwicklung von einem Propaganda-Instrument zu einer modernen und professionellen Nachrichtenagentur gemacht. Nun sieht es so aus, als solle das Rad wieder zurückgedreht werden.

Vor die schwere Aufgabe gestellt, die eigene Auflösung zu verkünden, konnten sich die Redakteure eine kommentierende Einordnung nicht verkneifen. Sie sei "der jüngste Schritt in einer Reihe von Umbauten in Russlands Medienlandschaft, die alle ein Ziel haben: Die staatliche Kontrolle der ohnehin stark regulierten Medien weiter zu verschärfen", meldete der englischsprachige Dienst.

In den vergangenen Jahren ist eine Reihe von Gesetzen erlassen worden, die die von der russischen Verfassung garantierte Pressefreiheit einschränken. Der Straftatbestand der Verleumdung wurde wieder eingeführt, es ist verboten, Schimpfwörter zu gebrauchen, ein Verbot von separatistischen Äußerungen ist auf dem Weg. Die Meinung, das rohstoffreiche Sibirien könnte ohne Moskau besser auskommen oder Russland hätte weniger Probleme, wenn der Nordkaukasus in die Unabhängigkeit entlassen würde, darf nicht mehr öffentlich geäußert werden. Eine Initiative, auch Zeitungen, Sendern und Internetseiten das Etikett "ausländischer Agent" anzuheften, wenn sie aus dem Ausland finanziert werden, wurde in der vergangenen Woche vorerst gestoppt.

Berichterstattung nach KGB-Muster

Für Ria Novosti hätte 2014 ein Höhepunkt werden können. Sie berichtet als offizielle landesweite Nachrichtenagentur des Gastgeberlandes über die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Dafür wurde in der Zentrale ein neuer Newsroom mit 60 Arbeitsplätzen und modernster Technik eingerichtet. Während der Spiele werden laut Firmenangaben mehr als 300 Korrespondenten, Fotografen und Techniker Berichte, Fotos, Videos, Infografiken und Animationen für das Internet und für Mobilgeräte produzieren. Mehr als zwei Jahre lang hat sich die Agentur auf das Großereignis vorbereitet, nur um kurz zuvor liquidiert zu werden. Dass ein nationaler Medienpartner wenige Wochen vor Beginn der Spiele über Nacht aufgelöst wird, ist in der olympischen Geschichte ohne Beispiel. Dennoch reagierte das IOC wachsweich: Man sei von den Maßnahmen in Kenntnis gesetzt worden und gehe davon aus, dass sie die Berichterstattung nicht beeinträchtigen, sagte ein Sprecher.

Tatsächlich läuft der Betrieb seit Jahresanfang unter dem Dach der neuen Gesellschaft Rossija Segodnja und unter neuer Leitung weiter. Nur dass nun Kisseljow über die umgerechnet 56 Millionen Euro bestimmt, die im russischen Haushalt als Zuschuss für Ria vorgesehen waren. Die Mitarbeiter sind nervös. Nach der Veröffentlichung des Präsidenten-Erlasses hatte sich die Chefredakteurin Swetlana Mironjuk unter Tränen bei ihren Kollegen bedankt. Unter Mironjuks Führung sei Ria "von einem hemdsärmeligen Propaganda-Dienst zu einer modernen und starken Multimedia-Agentur geworden", lobte Galina Timtschenko, die Chefredakteurin der angesehenen Nachrichtenseite lenta.ru. Zahlreiche Dienste wurden gegründet. Der Justiz-Nachrichtendienst Rapsi ist mit einem Preis ausgezeichnet worden, auch für die Berichterstattung über den Prozess gegen den Oppositionellen Alexej Nawalny.

Berichte über Kreml-Gegner dürften unter Generaldirektor Kisseljow und Chefredakteurin Margarita Simonjan bald einen anderen Dreh kriegen. Als Moderator der Sendung Westi Nedeli ("Nachrichten der Woche") porträtierte Kisseljow Oppositionelle als vom Ausland gesteuerte Schädlinge und sprach sich dafür aus, die Herzen von Homosexuellen lieber zu verbrennen statt sie als Spenderorgane zu nutzen. Simonjan leitet bereits den Auslandssender RT, der die Sicht des Kremls in Englisch, Spanisch und Arabisch auf die Bildschirme von Millionen Zuschauern weltweit bringt. Die Berichterstattung folgt dem KGB-Muster: Im Westen ist es auch nicht besser als in Russland; Korruptionsskandale, Guantanamo und NSA-Schnüffeleien werden rauf und runter gespielt.

So könnte es bald auch in den Meldungen der Ria-Dienste zugehen, fürchten viele. Bei seiner Antrittsrede hatte Kisseljow die Belegschaft wissen lassen, dass nicht Objektivität das oberste Gebot des Journalisten sei, sondern Liebe zur Heimat. Seit Kisseljows Antrittsrede allerdings gab es keine offiziellen Ansagen mehr, wie es weiter geht, weder öffentlich noch vor den Mitarbeitern: "Keine Meetings, keine E-Mails, nichts", klagt ein Ria-Journalist, der nicht genannt werden möchte. Die Kollegen erwarteten den großen Schlag nach den Olympischen Spielen, spätestens im März, wenn die Dreimonats-Frist ausläuft, die Putin in seinem Erlass für den Umbau gesetzt hat. Gerade im internationalen Dienst hätten viele gearbeitet, weil sie Mironjuks professionellen Stil schätzten und deshalb keine Probleme damit hatten, für eine staatliche Agentur zu arbeiten: "Einige sind schon gegangen, die anderen warten nur die Abfindung ab."

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