Journalismus in Großbritannien:Insellösung

Journalismus in Großbritannien: Auch britische Tageszeitungen sind auf der Suche nach Alternativen zum eingebrochenen Printgeschäft.

Auch britische Tageszeitungen sind auf der Suche nach Alternativen zum eingebrochenen Printgeschäft.

(Foto: SZ-Collage)

Der "Guardian" gründet einen Club, beim "Daily Telegraph" will man Zeitung wie am Buffet und der Boulevard tendiert zu einer Rückkehr zum Krawall. Die Briten suchen Wege in die digitale Zukunft.

Von Christian Zaschke

Der Daily Telegraph hat in dieser Woche in der britischen Medienszene mal wieder für die größte Aufmerksamkeit gesorgt. Ungewöhnlich ist, dass das diesmal nicht daran lag, dass der amerikanische Chefredakteur Jason Seiken erneut ein paar Leute vor die Tür gesetzt hat, sondern daran, dass er eine radikale Neuausrichtung des konservativen Traditionsblattes plant. Künftig sollen sämtliche für die Online-Ausgaben der Marke produzierten Inhalte als "Buffet" dienen - von dem sich dann eine kleine Mannschaft von Tischredakteuren für die Zeitung bedient.

Die britischen Zeitungshäuser gehen auf sehr unterschiedliche Arten und Weisen mit den digitalen Herausforderungen um. Der Guardian stellt sämtliche Texte des gedruckten Blattes kostenfrei ins Netz und produziert darüber hinaus große Mengen an hochwertigen Inhalten, die nur auf der Website zu finden sind. Das Blatt ist, Print- und Onlineleser zusammengerechnet, die meistgelesene Qualitätszeitung auf der Insel, macht allerdings mehr als 30 Millionen Pfund Verlust im Jahr. Einen genau entgegengesetzten Ansatz verfolgt die Times: Sie hat sich 2010 vollständig hinter einer Bezahlschranke eingerichtet, was bedeutet, dass das Blatt rund 90 Prozent seiner Online-Leser verloren hat. Dafür, teilt der Verlag mit, sei man mit der Paywall "auf dem Weg zur Profitabilität", und verloren habe man nicht wirkliche Leser, sondern nur Leute, die auf einem Streifzug durchs Internet für einen oder zwei Artikel vorbeigeschaut hätten.

Der "Telegraph" gilt als Hauszeitung der Tories

Unter den Boulevardblättern sind die Strategien ebenso gegensätzlich. Die Sun, die wie die Times zum Imperium des Medienunternehmers Rupert Murdoch gehört, hat 2013 ebenfalls eine Paywall errichtet und anschließend 60 Prozent ihrer Online-Leser verloren. Ganz anders als die große Konkurrentin Daily Mail, die mit der New Yor k Times zu den weltweit meistbesuchten Zeitungsseiten im Netz gehört - mehr als hundert Millionen Menschen in aller Welt schauen sich die Seite jeden Monat an, was vor allem an den vielen Promi-Bildern liegt. Der Zugriff ist kostenfrei. Der Betreiber von Mail Online und Daily Mail, der Daily Mail and General Trust (DMGT), verdient dennoch Geld. Das Magazin Economist schätzt, dass DMGT 2013 rund 45 Millionen Pfund allein mit der Website eingenommen hat und damit erstmals den Gewinn-Rückgang im Printgeschäft mehr als ausgleichen konnte. Es wird erwartet, dass DMGT bereits 2015 mehr mit seinem Digitalgeschäft verdient als mit den Printausgaben.

Was der Daily Telegraph nun plant, wird in der Branche mit größtem Interesse verfolgt. Chefredakteur Jason Seiken gilt als Digitalspezialist, er war 2013 angeheuert worden, um die Zukunft des Telegraph zu gestalten. Das Blatt hat einen guten Ruf, wiewohl es als Hauszeitung der Konservativen Partei gilt und den schönen Spitznamen Torygraph trägt. Dennoch hat es zum Beispiel 2009 einen großen Spesenskandal im Parlament enthüllt, in dessen Zuge auch viele Tories zurücktreten und sich teils vor Gericht verantworten mussten.

Wie zu hören ist, hat sich die Stimmung im Newsroom unter Seiken kontinuierlich verschlechtert, weil der Chef zum einen gegen den Willen der Redaktion auf einer Online-First-Strategie beharrte und zudem reichlich Personal entließ, darunter angesehene Kommentatoren und Reporter, die seit Jahren und Jahrzehnten den Stil des Telegraph geprägt hatten. Die nun verkündete neue Ausrichtung des Blattes bedeutet einen Wechsel von der Online-First-Strategie, die im Wesentlichen darin bestand, dass für die Zeitung geschriebene Texte vorab auf der Website veröffentlicht wurden, zu einer Herangehensweise namens "online to print". Der Newsroom konzentriert sich ganz auf die Produktion der Website. Der gedruckte Telegraph wird von einem Team bestückt, das sich beim Online-Angebot bedient.

Zukunft in der Rückkehr zum Krawall

Das hat Folgen für die Arbeitsabläufe. Künftig soll beim Telegraph in zwei vollen Schichten gearbeitet werden. Eine beginnt um sechs Uhr morgens, eine zweite bleibt bis Mitternacht. Inhalte sollen in drei Geschwindigkeiten produziert werden: Eilmeldungen müssen sofort auf die Website, für Kommentare, Feature und Analysen soll es mehr Zeit geben. Die Hauptkonferenz des Blattes wird künftig um acht Uhr morgens stattfinden. Der Guardian zitiert einen Mitarbeiter mit den Worten, dass die Online-Nutzer künftig im Zentrum der Entscheidungen des Newsrooms stünden. Die Leser der Zeitung würden jedoch keinen Unterschied bemerken - die gedruckte Zeitung sei weiterhin ein "Kronjuwel".

Wolfgang Blau, vormals Chefredakteur von Zeit Online und seit 2013 Direktor für digitale Strategie beim Guardian sagt: "Was der Telegraph macht, geht über einen integrierten Newsroom, wie wir ihn haben, weit hinaus. Wir produzieren nicht nur für Online, sondern ganz gezielt auch für die gedruckte Zeitung, die ihre Leserschaft größtenteils in und um London findet." Da der Guardian den Anspruch hat, weltweit gelesen zu werden, muss er sich im Netz von der Printausgabe unterscheiden, er unterhält zudem eigene Redaktionen zum Beispiel in den USA und in Australien.

Die hohen jährlichen Verluste kann das Blatt auffangen, weil es von einer Stiftung getragen wird. Allerdings wird in der Branche seit langem darüber gerätselt, ob nicht auch der Guardian mittelfristig ein Bezahlmodell für Online einführt. Digitalchef Blau sagt dazu: "Natürlich schauen wir uns das an. Aber es ergibt in unserer jetzigen Situation, in der wir weltweit wachsen wollen, überhaupt keinen Sinn. Ich glaube, Verlage sollten prinzipiell nicht darüber nachdenken, wie sie ihre Leser zur Kasse bitten können, sondern wie sie sie als Freunde, Mitglieder und Stifter gewinnen, denen klar ist, dass ohne ihre Unterstützung gewisse Arten von Journalismus sterben."

Der Guardian versucht sich derzeit an genau diesem Ansatz. Er bietet so genannte Mitgliedschaften an. Für 135 Pfund im Jahr können Leser "Partner" werden, dafür erhalten sie etwa Rabatte auf Veranstaltungen des Guardian. Von 2016 an soll zudem der Umbau eines Lagerhauses abgeschlossen sein, das in unmittelbarer Nähe des Londoner Redaktionsgebäudes liegt und als eine Art Klubhaus dienen soll. Für 540 Pfund im Jahr können die Leser patron werden, also Gönner oder Mäzen. Sich als "Freund" zu registrieren ist kostenlos. Blau sagt, dass man beim Guardian hofft, auf diese Weise und mit neuen Werbeformen ausreichend Geld einzunehmen, um den Fortbestand des vielfach preisgekrönten Blattes in all seinen Formen zu sichern.

Boulevard in der Kritik

Das zweite große Thema neben den Umwälzungen beim Telegraph war in der britischen Medienbranche zuletzt der Sunday Mirror. Ein Mitarbeiter des Blattes hatte den konservativen Abgeordneten Brooks Newmark kontaktiert und sich als junger weiblicher Fan ausgegeben. Es gelang dem Mitarbeiter, Newmark dazu zu überreden, ihm ein Bild seines Intimbereichs zu schicken. Das Blatt zog eine Skandalgeschichte auf, Newmark trat zurück. Selbst in anderen Boulevard-Blättern wurde der Sunday Mirror dafür kritisiert, dass er den Abgeordneten schlicht reingelegt hatte, um eine süffige Story drucken zu können.

Solche Methoden des Boulevards waren in die Kritik geraten, nachdem 2011 publik geworden war , dass Mitarbeiter der inzwischen eingestellten News of the World jahrelang Mailboxen von Prominenten und Opfern von Verbrechen abgehört hatten. In der folgenden Aufarbeitung durch einen richterlichen Untersuchungsausschuss gelobten alle Verlagshäuser Besserung. In seiner Eigenwerbung bezeichnet sich der Sunday Mirror als "die intelligente Boulevard-Zeitung". Gut möglich erscheint dennoch, dass das Blatt in der seit 2011 nicht mehr ganz so entfesselten Szene der britischen Revolverblätter seine Zukunftsstrategie in der Rückkehr zum Krawall sieht.

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