Redaktionen in der Corona-Krise:Eine Branche zwischen Rekordzahlen und Kurzarbeit

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Die Verluste an Einnahmen durch Anzeigen und Veranstaltungen in der Corona-Krise kann selbst die derzeit geradezu explodierende Nachfrage nach gutem Journalismus nicht ausgleichen. Illustration: Stefan Dimitrov

Nie waren Nachrichtenportale, Zeitungen und Magazine so gefragt wie in diesen Tagen. Dennoch bringt die Corona-Krise auch sie in Bedrängnis.

Von Laura Hertreiter

Was der Mensch wirklich braucht, das hat sich in der Coronakrise schlagartig verändert. Und damit auch, was er herstellt und welche Jobs gefragt sind. Die einen arbeiten deshalb in diesen Tagen bis zum Umfallen. Krankenpfleger, Ärztinnen, Kassierer. Die anderen weniger oder gar nicht mehr. Autobauer, Kinderbetreuerinnen, Kellner.

Und dann sind da noch Medienhäuser, in denen die simple Gleichung von Nachfrage und Angebot nicht so einfach aufgeht. Denn nie zuvor waren seriöse Nachrichtenportale, Zeitungen und Magazine so gefragt wie in diesen Tagen. Und zugleich leidet die Branche so massiv unter den Folgen der Pandemie, dass in nahezu jedem Medienhaus im Land über Spar- und Hilfsprogramme nachgedacht wird, viele Magazine und Zeitungen ein paar Seiten dünner werden oder ganz verschwinden.

Wer sich in diesen Tagen nach der Lage in deutschen Redaktionen erkundigt, erfährt gleichzeitig von großen Erfolgen und tiefer Verunsicherung. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung präsentiert Jubelzahlen: "Eine vergleichbare Steigerung der Zugriffe auf das digitale Angebot in so kurzer Zeit" habe es "noch nie gegeben", im Vergleich zum Vormonat seien diese um 80 Prozent gestiegen, auch die Zahl der verkauften Abos wachse. Knallende Champagnerkorken? Von wegen: Man plane "derzeit keine Kurzarbeit, jedoch ist der Verlauf der nächsten Wochen nicht absehbar."

Auch bei der Zeit verkündet Rainer Esser, Geschäftsführer der Zeit-Verlagsgruppe, eine "Abo-Auflage auf Rekordniveau". Im Vergleich zu einem Durchschnittsmonat im Vorjahr habe sich die Nachfrage nach Abos der Wochenzeitung verdoppelt, auch die Kiosk-Auflage der drei aktuellsten Ausgaben lag 50 Prozent über dem Vorjahr. Aber: "Wir planen in Bereichen, in denen derzeit Arbeit wegfällt, Kurzarbeit". Auch in den Redaktionen? "Wenn die Krise länger anhält, müssen wir sehen, welchen solidarischen Beitrag alle leisten, damit wir ordentlich über die Runden kommen." Die Funke Mediengruppe hat die Kurzarbeitshilfen der Bundesagentur für Arbeit beantragt und angekündigt, künftig neben Zeitungen auch Brötchen auszuliefern. Auch die SWMH, zu der die Süddeutsche Zeitung gehört, hat Kurzarbeit für einzelne Unternehmensbereiche angemeldet. Ob die SZ-Redaktion davon betroffen sein wird, wird sich wohl in den nächsten Tagen entscheiden.

Die Main-Post in Würzburg schickt als eine der ersten Zeitungen ihre Redaktion in Kurzarbeit. Chefredakteur Michael Reinhard schrieb in der Lokalzeitung, für die Belegschaft sei Arbeit weggefallen, weil Veranstaltungen nicht mehr stattfinden, weil das Kultur- und Sportgeschehen brachliegen. Laut Bericht hätten Werbeverluste von 80 Prozent zu der Entscheidung geführt. Überhaupt sind kleinere Lokalzeitungen am stärksten betroffen. Die Neue Rottweiler Zeitung musste schon vor Wochen ihre Druckausgabe einstellen.

Dass in Deutschland in diesen Tagen in nahezu jedem Verlagshaus über Hilfs- und Sparprogramme verhandelt wird, hat mit der Art und Weise zu tun, wie sich journalistische Angebote finanzieren. Das Geld, das von Lesern und Abonnentinnen kommt, macht meist nur eine von zwei bis drei tragenden Säulen aus: Die zweite, das Geschäft mit Anzeigen, bröckelt schon länger und bricht gerade massiv ein, auch bei der SZ. Die Wirtschaftskrise lässt Konzerne reihenweise Anzeigen stornieren. Wann und in welchem Umfang diese wieder zu erwarten sind, ist laut Experten nicht absehbar. Eine dritte Säule hat die Corona-Krise sturmflutartig fortgerissen: Veranstaltungen wie Kongresse, Tagungen, Vorträge.

Wie heftig der Nachrichtensturm gerade durchs Land fegt, zeigt die enorme Zahl an Eilmeldungen

Diese Verluste kann selbst die derzeit geradezu explodierende Nachfrage nach gutem Journalismus nicht ausgleichen, warnen Verlagshäuser, Zeitungs- und Berufsverbände im ganzen Land.

Beim Axel-Springer-Konzern, der Welt und Bild herausgibt, hatte ein Sprecher noch vor zwei Wochen angekündigt, man prüfe die Option von Kurzarbeit, in vielen Bereichen komme dies jedoch nicht in Betracht. Wegen der gestiegenen Zugriffszahlen "vor allem nicht im Journalismus". Aber in der Corona-Krise ändern sich die Dinge rasant. Inzwischen hat Springer Kurzarbeit in einem Bereich angemeldet, der vom Veranstaltungsverbot betroffen ist, und Vorstand Mathias Döpfner klingt in einer Mail an die Belegschaft verhaltener: Auch wenn die Nachfrage nach journalistischen Inhalten "derzeit sehr hoch ist und diese steigenden Traffic auf ihren Webseiten verzeichnen, gibt es starke Rückgänge in den Werbemärkten". Kurzarbeit werde für weitere Bereiche geprüft.

Auch das Online-Angebot des Spiegel ist gerade rekordverdächtig frequentiert, im März wurden zehn Prozent mehr Hefte verkauft als am Jahresanfang, verkündet der Verlag. Und kündigt dann ein Sparprogramm von zehn Millionen Euro an. Man prüfe Kurzarbeit. "Betriebsbedingte Kündigungen" stünden "kurzfristig nicht auf dem Plan", teilt eine Sprecherin mit.

In der täglichen Arbeit von Redakteuren und Reporterinnen hat die Corona-Krise das planbare Tagesgeschäft zwischen Parteitagen, Opernpremieren und Bundesligaspielen fortgefegt. Stattdessen tobt seit Wochen ein Nachrichtensturm von völlig neuem Ausmaß. Ohne Unterlass wirbelt er rund um den Globus Neuigkeiten zur Pandemie auf, dieser großen Menschheitskrise, wahre wie falsche, denn die Corona-Pandemie ist auch die große Zeit der Fake News, die es auszusortieren und richtigzustellen gilt. Nichts bleibt unberührt. Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur, Medien.

Die Windgeschwindigkeit eines solchen Nachrichtensturms lässt sich zum Beispiel in Eilmeldungen messen. Die Deutsche Presse-Agentur, die Redaktionen im ganzen Land mit News versorgt, hat davon im März allein im Basisdienst 241 Stück mit besonderer Dringlichkeit verschickt, rund zwei Drittel zum Thema Corona, insgesamt fast doppelt so viele wie im März 2019.

Diesen Sturm bewältigen die meisten Redaktionen gerade selbst im Ausnahmezustand. Viele haben ihre Belegschaft zum Arbeiten nach Hause geschickt, um die Ansteckungsgefahr gering zu halten. Der dpa-Newsroom in Berlin steht fast leer, die vergangenen drei Spiegel-Ausgaben wurden größtenteils außerhalb des Hamburger Redaktionsgebäudes produziert. Und auch die Süddeutsche Zeitung wird derzeit in Telefon- und Videokonferenzen geplant und entsteht komplett in den Wohn-, Arbeits-, Schlafzimmern und Küchen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

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