Süddeutsche Zeitung

Journalismus als Event:Denn sie wissen, was sie tun

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Beim Campfire-Festival diskutierten in Dortmund etwa 2000 Besucher über Journalismus, trafen sich zu Workshops und verbreiteten Optimismus. Über eine Gegenbewegung zur Krise.

Von Kathrin Hollmer

Am Eingang des Campfire-Festivals auf dem Campus der Technischen Universität Dortmund ist ein futuristischer Holzscheiterhaufen aufgerichtet. Das nach oben gebogene Konstrukt hat der Münchner Künstler Boris Maximowitz aus Holzlatten zusammengezimmert. Es symbolisiert die namensgebende Feuerstelle auf dem Campfire-Festival, deutsch: Lagerfeuer, das vom Institut für Journalistik der TU Dortmund und dem gemeinnützigen Recherchebüro Correctiv in der vergangenen Woche zum ersten Mal organisiert wurde. Angezündet hat man die Holzskulptur zwar nicht. Aber trotzdem hatte die ganze Sache etwas von einer Wärmestelle.

Wenn über Journalismus berichtet wird, dann ist oft von Krisen, Auflagenrückgängen und Stellenstreichungen die Rede, neuerdings auch von "Fake News" und "Lügenpresse". Bei Journalistentreffen und Festivals wie in Dortmund geht es deshalb nicht mehr nur um Inhalte, um Diskussionsrunden, Workshops zu Trends und Handwerk, Kontakteknüpfen. Nein, es geht längst um mehr.

"Wir wollen den Muff ablegen und das Erleben der guten Seiten des Journalismus für jedermann attraktiv und lebendig gestalten", heißt es in der Ankündigung des Festivals. Die Nähe zum Institut für Journalistik lässt das Festival dann an vielen Stellen allerdings mehr zur Berufsinformationsveranstaltung werden. Viele Schüler, Journalistenschüler und Studenten sind gekommen, die später "etwas mit Medien" machen wollen. Auf der großen Bühne diskutiert ZDF-Moderatorin Dunja Hayali über Hate Speech und Bild-Chef Julian Reichelt über die Methoden seiner Zeitung. In etwa 25 Zelten drumherum geht es um Dinge wie Fake News, Datenjournalismus und Programmieren für Anfänger. Und fast überall lassen die Redner und Diskussionsteilnehmer Optimismus durchklingen.

Dunja Hayali nennt es ein Privileg, Journalist in Deutschland zu sein, und die Correctiv-Redakteurin Annika Joeres kann sich in ihrer Fragerunde "Was mit Medien - ein schöner Traum?" keinen schöneren Beruf vorstellen. Nur blöd, ausgerechnet in der Eröffnungsrede, erinnert Constantin Schreiber, Moderator von Tagesschau und ARD- Nachtmagazin, ein wenig zu oft an die guten alten Fernsehzeiten, in denen Sendungen wie Wetten, dass . . ? Millionen vor den Fernseher lockten. "TV ist nicht mehr so stark", sagt Schreiber.

Trotzdem: Das Spenden von Optimismus ist zum wesentlichen Bestandteil von Journalistentreffen geworden. Das Motto des Workshop-Wochenendes der Initiative "Reporter-Forum" im vorigen Jahr lautete "Handwerk, Haltung, Hoffnung". "Viel freigesetzte Endorphine für guten #Journalismus" und "Journalistenmethadon" twitterten die Teilnehmer dazu. Nicht jeder braucht gleich einen Schmerzstiller, aber Journalismus als Event ist so etwas wie die Gegenbewegung zur Krise. "Auch wenn die Festivalstimmung immer nur einen oder ein paar Tage andauert, sind es Tankstellen fürs Herz", sagt Ariel Hauptmeier, Textchef bei Correctiv, der bei Campfire unter anderem einen Workshop zum Thema Sprache und Stil hält.

Wie groß das Bedürfnis nach gegenseitiger Stärkung ist, zeigt die steigende Anzahl von Interessenten und Teilnehmern bei Branchentreffen. Das Workshop-Wochenende des Reporter-Forums etwa ist auf 300 Teilnehmer begrenzt, jedes Jahr gehen laut Isabelle Buckow vom Organisationsteam mehr Anmeldungen dafür ein. Konkrete Zahlen nennt sie nicht, aber fünf Minuten nach Start der Anmeldung seien mehr Anfragen da, als Plätze zur Verfügung stehen. Zur Jahreskonferenz der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche kamen 2017 inklusive Referenten und Helfer etwa 900 Teilnehmer, die Zahl stieg laut Geschäftsführer Günter Bartsch in den vergangenen vier Jahren auch hier. Die Tendenz ist europaweit zu sehen: Beim fünftägigen International Journalism Festival in Perugia in Italien, das im April zum elften Mal stattfand, waren es 2013 noch 450 Sprecher, 2017 bereits knapp 700. Besucherzahlen können die Veranstalter nicht nennen, für die kostenlose Teilnahme muss man sich nicht anmelden. Es müssen Tausende sein. Zur ersten European Investigative Journalism Conference and Dataharvest-Konferenz, den der Journalismfund.eu in Brüssel organisiert, kamen 2011 etwa 30 Journalisten, 2017 fast 400. Für das Campfire-Festival schätzt Hauptorganisator Thorsten Bihegue, im Hauptberuf Theaterregisseur und -autor, insgesamt 2000 Besucher. Journalisten machen nur einen Teil aus. Viele Schüler- und Studentengruppen sind gekommen, auch Senioren, die sich für das Thema Fake News oder für Dunja Hayali interessieren.

Perugia und Dortmund unterscheiden sich von klassischen Journalistentreffen, in beiden Fällen geht es nicht nur um eine interne Imagekampagne für Journalismus - sondern auch um eine externe: Es geht um Transparenz. "In einem Teil der Bevölkerung ist das Misstrauen den klassischen Medien gegenüber gewachsen", sagt Cordt Schnibben, Spiegel-Reporter, Mitgründer von Reporter-Forum und Reporterfabrik, einer gemeinnützigen Journalistenschule für alle. "Wir bemühen uns mehr als in der Vergangenheit darum, den Kontakt zu den Lesern herzustellen und Events für Leser zu organisieren, bei denen wir ihnen zeigen, wie Journalismus entsteht."

Und ob branchenintern oder nicht, längst ist die Imagekampagne für Journalismus vernetzt. "Die Erasmus-Generation ist es gewohnt, Kontakte im Ausland zu haben, das merkt man auch in der neuen Journalistengeneration", das sagt auf dem Festival in Dortmund Tabea Grzeszyk, Mitgründerin von Hostwriter, einer gemeinnützigen Plattform, auf der sich Journalisten aus der ganzen Welt zusammentun. Offenbar strahlt also das Lagerfeuer inzwischen international Wärme ab.

In Dortmund war das auch nötig. Wie es sich für ein ordentliches Festival gehört, gab es reichlich Regen und Matsch.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2017
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