Fall Jolanda Spiess-Hegglin:Politikerin gegen Boulevard

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Die ehemalige Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin wehrt sich seit Langem gegen den Medienkonzern Ringier, hier im Jahr 2019 vor dem Zuger Kantonsgericht. (Foto: URS FLUEELER/picture alliance/KEYSTONE)

Die ehemalige Grünen-Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin kämpft seit Jahren um ihr Persönlichkeitsrecht und gegen die Boulevardzeitung "Blick". Jetzt entschuldigt sich sogar der CEO des Medienkonzerns Ringier.

Von Claudia Tieschky

Das Urteil der I. Zivilabteilung des Obergerichts Zug, das an diesem Montag veröffentlicht wurde, ist 65 Seiten lang. Marc Walder, Chef der prozessbeteiligten Schweizer Ringier AG, verfasste seine Erklärung danach eher im Stil der konzerneigenen Boulevardzeitung Blick: kürzer. "Entschuldigung, Jolanda Spiess-Hegglin", steht über dem Text des Ringier-CEOs - publiziert exakt am Tag, an dem das Urteil der Berufungsinstanz darlegt, dass der Blick keine Entschuldigung mit diesem Wortlaut drucken muss.

Es ist eine neue Wendung in einem der gegenwärtig spektakulärsten Fälle, in denen Opfer von Boulevard-Berichterstattung um ihr Recht kämpfen - und dieser Fall dürfte noch lange nicht beendet sein. Denn Jolanda Spiess-Hegglin will einen Präzedenzfall durchfechten. Seit diesem Montag ist zumindest klar: Nicht einmal der international aktive Medienkonzern selbst bestreitet noch, dass die ehemalige Grünen-Politikerin, heute 39 Jahre, Opfer des Blicks wurde.

Jolanda Spiess-Hegglin hat 2017 Klage gegen Ringier (Jahresumsatz zuletzt knapp eine Milliarde Schweizer Franken) eingereicht, nachdem der Blick an Heiligabend 2014 den Artikel "Sex-Skandal an Zuger Landammann-Feier" brachte, in dem die damalige Grünen-Politikerin mit vollem Namen und Bild als mögliches Opfer einer "Schändung" dargestellt wurde. Eine Schändung ist nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch der Missbrauch einer nicht zum Widerstand fähigen Person. Nach wie vor ungeklärt ist, was tatsächlich geschah bei der Landammann-Feier, einem weihnachtlichen Fest zu Ehren des neu gewählten Regierungspräsidenten des Kantons Zug, nach der Spiess-Hegglin ihren Angaben zufolge am nächsten Morgen zu Hause ohne Erinnerung, aber mit starken Unterleibsschmerzen aufwachte. Sie vermutete, dass sie womöglich unter dem Einfluss von K.-o.-Tropfen missbraucht worden war. Der Fall wurde monatelang reißerisch in verschiedenen Schweizer Medien ausgebreitet, selbst Untersuchungsprotokolle gelangten in die Öffentlichkeit. Ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Personen wurde eingestellt.

Grenzen der Berichterstattung
:Mein Name gehört mir

Jolanda Spiess-Hegglin verteidigt ihre Persönlichkeitsrechte gegen den mächtigen Ringierverlag. Der Schweizer Boulevard-Berichterstattung werden enge Grenzen gesetzt - sie zahlt einen hohen Preis dafür.

Von Isabel Pfaff

"Es war, ist und wird nie unsere Absicht sein, mit unserer Berichterstattung Leid zu verursachen", schreibt Walder. "In der Rückschau auf die vergangenen nunmehr fast sechs Jahre sehen wir aber, dass Jolanda Spiess-Hegglin durch unsere Berichterstattung verletzt wurde." Ihm sei es "ein Anliegen, mich nach dem heutigen Gerichtsentscheid sowohl öffentlich wie auch im persönlichen Gespräch" mit Spiess-Hegglin zu äußern. Er schreibe im Namen der gesamten Ringier AG "und damit auch im Namen des Blicks und dessen Chefredaktor, Christian Dorer".

"Super" finde sie das, sagt Spiess-Hegglin am Montag telefonisch über Walders Entschuldigung und klingt fast fröhlich. "Ich habe mich sehr gefreut und nehme das sehr dankend an. Es ist eine großartige Geste." Sie ist nicht mehr in der Politik aktiv, sondern leitet inzwischen einen gemeinnützigen Verein, der gegen Hass, Rassismus und Diskriminierung im Netz vorgeht und unter anderem mit einer "Ambulanz" Soforthilfe für Opfer anbietet. Mutig sei es von Walder, sich so zu äußern, findet sie, "und auch schlau". Aber das heiße "natürlich nicht, dass jetzt alles erledigt ist".

Spiess-Hegglin will nun "ziemlich bald" auf "Gewinnherausgabe" klagen. "Ich finde nicht, dass ein Millionenkonzern, der Persönlichkeitsrechte verletzt und damit viel Geld verdient, dieses Geld einfach behalten sollte", sagt sie. Die Rechtsgrundlage für eine solche Klage gebe es, das habe nur bisher niemand umgesetzt. Wenn dies gelinge, gebe sie künftigen Medienopfern ein starkes Instrument in die Hand. Das Urteil des Obergerichts Zug sei deshalb "wirklich fantastisch".

Die Einschätzung von Spiess-Hegglin verwundert zunächst

Diese Einschätzung verwundert etwas, denn in dem Urteil hat die Zivilabteilung nicht nur den Abdruck der Entschuldigung durch Ringier abgewiesen, sondern auch die "Genugtuung" von 20 000 Schweizer Franken, die das Kantonsgericht Zug der früheren Politikerin im Mai 2019 zusprach, auf 10 000 verringert. Auch das erwähnt Ringier-Chef Walder in seinem öffentlichen Entschuldigungsschreiben. Beide Parteien waren nach dem Urteil von 2019 in die nächste Instanz gegangen.

Ihren Optimismus zieht Spiess-Hegglin jetzt aus der Tatsache, dass ihr die Berufungsinstanz diese zwar niedrigere Genugtuung ausdrücklich nur für den einen ersten Artikel zuspreche, aber nicht zugleich auch für die Folgen. "Das macht es für mich argumentativ einfacher", sagt sie. Nach der Klage auf Gewinnherausgabe werde sie gegen die Ringier-Medienkampagne als Ganzes klagen. Zweihundert Texte über sich hat sie gesammelt.

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