Süddeutsche Zeitung

Moria-Video von Joko & Klaas:"Es war der größte Fehler meines Lebens, dass ich auf diese Insel gekommen bin"

15 Minuten Sendezeit haben die Entertainer Joko & Klaas ihrem Arbeitgeber Pro Sieben in einer Spielshow abgerungen. Sie nutzen sie, um Elend und Leid der Menschen in Moria zu dokumentieren.

Die nun folgenden Bilder seien "am Rande des Erträglichen, wenn man es sich nur anschauen muss", sagt Klaas Heufer-Umlauf in seiner Anmoderation am Mittwochabend. "Es ist aber die Gegenwart und die Realität der Menschen, die dort sein müssen und dort leben müssen." Und dann schickt der Pro-Sieben-Entertainer noch eine Warnung hinterher: Es seien in dem Film viele Kinder zu sehen - "aber nicht mit Kindern angucken". Er tut gut daran.

Am Dienstagabend hatten Heufer-Umlauf und sein Co-Moderator Joko Winterscheidt zum wiederholten Mal ihre Show Joko & Klaas gegen ProSieben gewonnen - und sich 15 Minuten Sendezeit von ihrem Arbeitgeber erspielt. In der Vergangenheit nutzten sie diese Viertelstunde und ihre Reichweite gerade bei jungen Zuschauerinnen und Zuschauern, um über Themen wie Sexismus und Verschwörungsmythen aufzuklären. Am Mittwochabend widmen sie die Viertelstunde zur besten deutschen Sendezeit um 20.15 Uhr den Zuständen im inzwischen abgebrannten griechischen Lager Moria. 1,63 Millionen Zuschauer sahen zu, bei Instagram erreichte das Video 2,9 Millionen Aufrufe.

Die Entscheidung für das Thema sei nach Aufzeichnung der jüngsten Ausgabe von Joko & Klaas gegen ProSieben vor knapp einem Monat gefallen, sagt Heufer-Umlauf, man habe auf die damals noch "vergessenen Schicksale" der Menschen dort aufmerksam machen wollen. Seit dem Feuer sei mediale Aufmerksamkeit nicht mehr das Problem. Aber, so ergänzt Kollege Winterscheidt: "Seit dem Feuer haben sich für die dort untergebrachten 13 000 Menschen die ohnehin schon schrecklichen, unwürdigen Lebensumstände dramatisch verschlechtert."

"Go back, go back"

In "A short story of Moria", einer Art Mini-Doku, schildert dann ein Migrant auf Englisch, unter welch widrigen Bedingungen er auf dem Mittelmeer nach Europa kam und welch unwürdige Zustände er antraf. "Mein Name ist Milad Ebrahimi, ich bin 21 Jahre alt und komme aus Afghanistan", sagt der junge Mann. Er sei seit neun Monaten im Camp auf der griechischen Insel Lesbos. "Es war der größte Fehler meines Lebens, dass ich auf diese Insel gekommen bin."

Dreimal insgesamt habe er versucht, von der Türkei aus nach Griechenland überzusetzen, erzählt Ebrahimi. Beim zweiten Versuch habe die griechische Küstenwache den Motor des Schlauchboots zerstört und das Boot zurück aufs Meer gezogen. Die Beamten hätten "Go back, go back" gerufen, geht zurück, geht zurück. Zu Ebrahimis Erzählungen werden Videosequenzen eingeblendet, die wohl mit einer Handykamera aufgenommen wurden. Darauf zu sehen: zusammengepferchte Menschen in einem Schlauchboot, darunter viele Frauen und Kinder.

Als er es beim dritten Mal schließlich nach Lesbos geschafft habe, hätten er und die anderen Flüchtlinge gehofft, "dass das nun das Ende ist". Doch die Zustände und der Dreck im Camp seien eine Enttäuschung gewesen. Seit Jahren ist Moria völlig überfüllt, laut dem griechischen Migrationsministerium leben dort etwa 12 600 Menschen, andere schätzen die Zahl auf 16 000. Ausgelegt ist das Lager für knapp 2800 Menschen.

Die Wohnsituation in behelfsmäßigen Zelten, die sanitären Anlagen, die mangelnde medizinische und Essensversorgung - "ist das wirklich Europa?", fragt Ebrahimi in die Kamera seines Handys.

Er habe gedacht, Europa sei Freiheit, Gleichberechtigung und stehe für Menschenrechte. Dafür habe er beschlossen, nach Europa zu fliehen. Nun frage er sich, ob das alles ein schlechter Traum sei.

In den folgenden Videofragmenten ist der Brand zu sehen, der das Lager am 9. September nahezu vollständig zerstört hatte. Die Ursache ist noch nicht abschließend geklärt - die griechischen Behörden vermuten Brandstiftung durch Campbewohner, es gab Festnahmen. Ebrahimi sagt: "Es gibt viele Gründe, die ein Feuer entfachen." Viele Menschen hätten bereits drei oder vier Jahre im Camp gelebt, unter den Bedingungen, die dort herrschten. "Sie haben die ganze Welt zum Hinsehen gezwungen."

Authentisch wirken die Aufnahmen allemal

Besonders erschütternd sind die Szenen, die dann folgen: Menschen auf der Flucht aus dem in Flammen stehenden Camp, griechische Behörden, die Straßen sperren und Tränengas in die Menge schießen, so stellt es der Film dar. Eltern sind zu sehen, die ihren weinenden Kindern mit Wasser aus Plastikflaschen die Augen auswaschen. "Wir waren von Europa enttäuscht", sagt Ebrahimi, "wir waren vom Leben enttäuscht."

Hier und da wird die Quelle der gezeigten Aufnahmen eingeblendet - meistens fehlt ein entsprechender Hinweis aber. Ob die Ausschnitte tatsächlich das zeigen, was sie vorgeben zu dokumentieren, lässt sich daher kaum überprüfen. Authentisch wirken sie. Strengen journalistischen Maßstäben genügt der Film nicht - so kommen beispielsweise an keiner Stelle Vertreter der griechischen Behörden zu Wort. Bewusst natürlich. Joko und Klaas kennen journalistische Standards. Wenn sie sie ignorieren, mit den schnellen Schnitten, mit der dramatischen Geigenmusik, geht es ihnen um etwas anderes: Ihre 15 Minuten arbeiten vor allem gegen die kollektive Teilnahmslosigkeit, mit der Nachrichten aus Moria lange aufgenommen wurden und wohl auch immer noch werden. Sie betreiben, wenn man so will, emotionale Aufklärung.

"Vielleicht können diese 15 Minuten ein Stück dazu beitragen, dass zukünftig mehr Menschen Bescheid wissen, wenn man den Begriff 'Moria' hört oder liest", hatte Heufer-Umlauf sich zu Beginn gewünscht.

Mit Material der Agenturen

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5034805
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/dpa/jobr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.