Süddeutsche Zeitung

Jörg Thadeusz:"Ich habe nur keinen Bock auf die Wehleidigkeit"

  • Jörg Thadeusz hat im RBB eine neue Sendung übernommen: Talk aus Berlin.
  • Er kokettiert mit der Rolle des bekannten Unbekannten und zeigt in Interviews ein aufrichtiges Interesse an seinem Gegenüber.

Von Hans Hoff

Als Jörg Thadeusz kürzlich in Berlin über den Markt ging, hielt er sich einen Moment lang für berühmt. Weil ihn eine Frau ansprach und sagte: "Ich komme bald wieder." Er nahm das als charmantes Versprechen, dass sie demnächst zum wiederholten Male eine seiner Talksendungen ansehen werde. Die Frau aber kam nicht wieder, zumindest nicht zu ihm, sie hatte ihn schlicht verwechselt. Mit ihrem Urologen. Das passiert Thadeusz häufiger. Dass er nicht als der erkannt wird, der er wirklich ist. Dann sind sich wildfremde Menschen sicher, dass sie ihn doch kennen von, na ja, jetzt sagen Sie schon, von diesem Versicherungskongress, Moment mal, in Dingsda. Thadeusz hat aus dieser Not inzwischen eine Tugend gemacht. Wenn er mal wieder eine Veranstaltung moderiert, spielt er gern mit seiner Rolle als bekannter Unbekannter. "Ich bin ein berühmter Fernsehmoderator. Deshalb muss ich Ihnen meinen Namen sagen", erklärt er dann gleich zu Beginn. Alte Fernsehregel: Sprich aus, was die anderen über dich denken, bevor sie es tun.

Gerade hat er wieder eine neue Sendung übernommen. Dreimal die Woche bespricht er bei seinem Haussender Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) die halbe Stunde vor Mitternacht. Talk aus Berlin heißt die Sendung schlicht, und sie unterscheidet sich vom Format Thadeusz, das bis Ende 2017 im RBB lief, vor allem durch die auf den ersten Blick schlichtere Anmutung. Kein Schreibtisch mehr zwischen Frager und Gast, keine prunkvolle Lichtsetzung mehr. Zwei Stühle auf einem Teppich, der Gastgeber ganz nah dem Objekt seines Interesses.

Er strahlt ehrliche Freude aus und vor allem aufrichtiges Interesse an seinem Gegenüber

Schaut man sich ein paar der Sendungen an, merkt man, dass Thadeusz ein sehr geneigter Gastgeber ist. Er strahlt ehrliche Freude aus und vor allem aufrichtiges Interesse an seinem Gegenüber. Dem überreicht er einen Blumenstrauß aus Komplimenten und Superlativen, um dann in die Freude und Verlegenheit des solcherart Geehrten einzutauchen mit seinen Fragen. Dabei kommt ihm zugute, dass er eigentlich so ein Verwechselbarer ist, so ein nichts Böses transpirierendes Bärchen. Früher hat er sich mal selbst einen gewissen Heiratsschwindlercharme attestiert, was schon andeutet, dass sich der 50-Jährige gern ein bisschen altmodisch gibt, denn wer macht sich heute als Schwindler schon noch die Mühe, Heiratsversprechen zu geben vor dem Betrug, wo man das alles doch auf diversen Datingportalen viel günstiger haben kann.

Thadeusz ist immer ein bisschen altmodisch. Wenn er da so sitzt in seiner Sendung, adrett im Anzug mit Schlips und dezentem Einstecktuch, signalisiert er eine gewisse Harmlosigkeit, die es ihm leichter macht, die Menschen aufzuschließen, das faszinierende Handwerk der Fragerei auszuüben, wie er das gern nennt. Er kreiert eine vertrauensvolle Atmosphäre, man kommt ins Plaudern, dann ins Reden, und schwups ist die halbe Stunde vorbei.

Wie gut er das kann, demonstriert Thadeusz auch beim Treffen in einem Essener Oma-Café. Hier, unweit seines Geburtsortes Dortmund, soll er am Abend eine Veranstaltung der Lit.Ruhr moderieren mit den Gästen Maria Schrader und Ulrich Noethen. Leichtes Spiel für einen wie Thadeusz, der gefühlt schon unendlich viele Galas moderiert hat und eine Zeit lang als der Mann galt, der immer dann randarf, wenn Barbara Schöneberger nicht kann. Zum Gespräch erscheint der Plauderprofi in Cordhose und blauen Hosenträgern über schwarzem T-Shirt. Der Anzug hängt noch im Hotel, aber die typische Art, ein Gespräch zu eröffnen, hat er trotzdem dabei. Ehe man sich versieht, hat man als sein Gegenüber eine halbe Stunde von sich erzählt und noch nicht eine Frage gestellt. Das mag daran liegen, dass Thadeusz instinktiv weiß, welche Knöpfe er drücken muss, um den Menschen das Wort zu entlocken.

Lässt man ihn dann doch eine Weile erzählen, kommt man am Eindruck nicht vorbei, dass er in der Politik und im Fernsehen fast jeden kennt. Das liegt an der großen Zahl der Sendungen, die er prägt. Aktuell hat er ja nicht nur den Talk aus Berlin am Start, er moderiert auch die monatliche Journalistenrunde Thadeusz und die Beobachter und viermal die Woche einen Radiotalk bei WDR 2. Zwei Talks am Tag sind da oft die Regel. Manchmal muss er dann von einem Studio zum nächsten hechten.

Dass er sich trotzdem noch beinahe kindlich begeistern lässt für jeden einzelnen Gast, zeugt von ehrlichem Engagement. Beim Treffen in Essen erzählt er begeistert davon, dass ihm Katarina Witt nach der Sendung gezeigt hat, wie der auch "Königssprung" genannte dreifache Axel beim Eiskunstlauf funktioniert. Katarina die Große hat es dem kleinen Jörg erklärt und vorgeführt. Oder wenn er vom Deutschen Fernsehpreis berichtet, wo er schon mehrfach folgenlos nominiert war, wo ihn beim letzten Mal aber Thomas Gottschalk zur Seite genommen und ausdrücklich gelobt hat. Das hat ihn für den ausgebliebenen Preis mehr als entschädigt. "Gottschalk", sagt Thadeusz und lässt eine kleine Pause: "Das war ein Ding."

Und wenn er schon einmal beim Schwärmen ist, packt er auch gleich noch seine Erinnerungen an WM Kwartira aus, jenes Late-Night-Format im Ersten, bei dem er im Sommer Fußball gucken und hinterher mit seinem Kumpel Micky Beisenherz und ein paar Gästen drüber reden durfte. Da war er seiner Vorstellung vom Himmel sehr nah.

Aber das mit der Himmelsnähe kennt Thadeusz ganz gut. Er hat schon öfter mal diesen Steilflug ganz nach oben erlebt, aber eben auch die Schussfahrt in die Gegenrichtung. Beim ZDF sollte er 2013 eine lustige Show moderieren. Durchgedreht hieß die - und war es auch. Komödianten sollten zu aktuellen Nachrichten improvisieren. Es war eine Vollkatastrophe. Man erkannte Thadeusz nicht wieder. Das sollte der Typ sein, der ein paar schöne Bücher geschrieben hat, der in der WDR-Hörfunk-Kaderschmiede Eins Live sein Handwerk gelernt hat, der beim Satiremagazin Extra 3 Moderator war und beim WG-Spielshowtalk Zimmer frei als sehr witziger Außenreporter einen Grimme-Preis bekam?

Seine Rettung war vielleicht, dass im selben Jahr Thadeusz und die Beobachter an den Start ging, eine RBB-Sendung, in der sich Hauptstadtjournalisten wie Elisabeth Niejahr von der Wirtschaftswoche oder Claudius Seidl von der FAS mit aktuellen politischen Themen auseinandersetzen, dabei aber stets nach der etwas anderen Perspektive suchen. Die Sendung liegt dem Gastgeber bis heute sehr am Herzen. "Da bin ich stolz drauf", sagt Thadeusz, weil es eben keine Rechthabershow ist, weil sich Journalisten auch mal irren dürfen oder überzeugt werden vom besseren Argument. "So geht Politik: Wettstreit von Meinungen", sagt er und sieht sich damit konform mit dem Auftrag seines Senders: "Öffentlich-rechtlicheres Fernsehen kannst du nicht machen."

Liegt es an seiner vornehmen Zurückhaltung, dass er keine Samstagabendshow moderiert?

Mit klugem Gespür achtet Thadeusz darauf, Distanz zu halten nach allen Seiten. Gern wird ihm, der früher mal bei den Grünen war, vorgeworfen, er sei inzwischen ein konservativer Knochen. Damit kann er nichts anfangen. Er sei in sozialen Fragen keineswegs konservativ, sagt er. "Ich habe nur keinen Bock auf die Wehleidigkeit, auf dieses Gejammer." Thadeusz bezeichnet sich selbst als "im angelsächsischen Sinne liberal".

Und natürlich ist er ein Pflichterfüller. Auf Thadeusz kann man sich verlassen. Er kennt seinen Platz, und er weiß um die Anforderungen. "Ich kann das alles, weil es kein Hexenwerk ist", sagt er. Er weiß auch, dass seine Chancen, noch mal groß im Ersten auftrumpfen zu können, gar am Samstagabend, minimal sind. "Ich war nie hübsch genug", diagnostiziert er und attestiert sich eine gewisse Struppigkeit.

Vielleicht liegt es aber auch an seiner vornehmen Zurückhaltung, dass er es nie in die oberste Umlaufbahn des Talkgewerbes geschafft hat. Er ist halt ein Mann fürs Dritte, einer, dem man vertraut, der weiß, was er tut, bei dem man aber vor lauter Vertrauen irgendwann vergisst, sich den Namen zu merken. Dann ist er halt der Urologe oder der vom Versicherungskongress. Hauptsache, es geht weiter mit ihm, und da hat Jörg Thadeusz großes Vertrauen ins öffentlich-rechtliche System. "Ich kenne die Verantwortlichen. Auf die verlasse ich mich", sagt er. Und die Verantwortlichen kennen ihn. Im Gegensatz zu manchen Frauen auf Berliner Wochenmärkten.

Thadeusz und die Beobachter, Dienstag, Talk aus Berlin, Mittwoch, Donnerstag, RBB, 23.30 Uhr.

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SZ vom 30.10.2018/jlag
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