Süddeutsche Zeitung

Joachim H. Luger:"Jetzt ist gut"

Lesezeit: 4 min

Knapp 33 Jahre lang spielte er den Hans Beimer in der "Lindenstraße", am Sonntag stirbt seine Figur. Ein Gespräch über Deutschlands erste Seifenoper und die große Angst vor dem Fernsehtod.

Interview von Carolin Gasteiger

Manche Szenen aus der Lindenstraße bleiben unvergessen. Dazu zählt unbedingt die vorweihnachtliche Hausmusik bei Familie Beimer. Mutter Helga und Tochter Marion an der Flöte, Vater Hans begleitet auf der Gitarre, Sohn Benny spielt Cello. Die Beimers waren in der ersten Seifenoper des Landes drei Jahre lang die deutsche Paradespießerfamilie - bis Vater Beimer seine Frau und die drei Kinder 1988 wegen der Nachbarin verließ. Knapp 33 Jahre lang spielte Joachim Hermann Luger in der WDR-Serie diesen Hans Beimer, so lang hat kaum eine andere Serienfigur überlebt. Er war Vater, Sozialpädagoge, später aber auch mal Hotelconcierge und arbeitslos. Im Mai gab der 75-Jährige dann seinen Ausstieg aus der Serie bekannt. Vorsicht, Spoiler: In der Folge von Sonntag wird Hans Beimer bei einem Ausflug sterben.

SZ: Herr Luger, wenn man sich Hans Beimers Schicksal in der Lindenstraße ansieht, kommt einiges zusammen: Ehebruch, Suff, Tod von Angehörigen, Missbrauch, Arbeitslosigkeit und schlussendlich Parkinson. Erstaunlich, dass der Mann erst jetzt stirbt.

Joachim H. Luger: Allerdings, da kommt ganz schön viel zusammen. Wenn ich das, was Hans Beimer in seinem Leben alles durchgemacht hat, selbst hätte erleben müssen, müsste ich eigentlich einmal die Woche beim Psychiater auf der Couch sitzen. Mindestens.

Sie sind auf eigenen Wunsch nach knapp 33 Jahren ausgestiegen. Weil Sie noch mal etwas Neues im Leben ausprobieren wollen, weiter Theater spielen, segeln.

Ja, das waren die Gründe. Da Hans Beimer ja ein sehr problembeladenes Leben hatte, habe ich immer versucht, einen Kontrapunkt dazu zu setzen, indem ich parallel zur Lindenstraße möglichst oft Boulevardtheater gespielt habe. Jetzt war ich an einem Punkt, an dem das nicht mehr reichte.

Inwiefern?

Hans Beimer leidet seit drei Jahren an Parkinson. Und wenn man einen Parkinson-Kranken dauerhaft spielt, werden alle Ausdrucksmöglichkeiten, die einen Schauspieler ausmachen, wie etwa Mimik, Gestik und Sprache doch deutlich reduziert. Und so reduziert zu spielen ist nicht nur eine große Herausforderung, sie schränkt einen Schauspieler eben auch sehr ein. Auf Dauer hat mich das ziemlich mitgenommen. Und es war ein weiterer Grund, um zu sagen, jetzt ist gut.

Aber sterbend wollten Sie sich nicht aus der Serie verabschieden.

Ich hatte den Produzenten Hans W. und Hana Geißendörfer tatsächlich einen anderen Ausstieg vorgeschlagen, ein leises Verschwinden. Unter Schauspielern gibt es den Aberglauben, wenn man vor der Kamera stirbt, passiert einem auch im richtigen Leben bald was. Manche Kollegen, die virtuell gestorben sind, haben das in der Realität selbst nicht lange überlebt.

Und daran glauben Sie?

Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin nicht ganz frei davon.

Haben Sie sich mit Ihrem Serientod letztendlich versöhnt?

Anfangs habe ich gezögert. Aber wir haben meine letzte Folge dann ziemlich aufwendig gedreht, mit vielen Außenaufnahmen, die aus Kostengründen ungewöhnlich sind für die Lindenstraße. Das war schon aufregend. Außerdem wurde die Filmmusik zu dieser Folge vom Funkhausorchester des Westdeutschen Rundfunks zeitgleich zur Ausstrahlung eingespielt. Ein großes Ereignis, das ich mit meinen Kollegen und vielen Freunden genießen werde. Mit dieser Abschiedsfolge bin ich also vollends versöhnt.

Hans war immer der coolere Part des Ehepaars Beimer, eine Art Rebell, der dann schon nach drei Jahren - also vor mehr als 25 Jahren - seine Familie wegen Anna Ziegler verließ. War das damals nicht schon fast ein revolutionärer Akt?

Allerdings, die Zuschauer waren ziemlich gespalten. Viele wollten, dass ich zurückgehe zu meiner "Taube", wie ich Helga Beimer immer genannt habe. Aber diese heilige Einigkeit war Mutter Beimer nicht gegönnt. Auf die Frage, warum ich denn nicht zurückgehe, habe ich immer erwidert: Soll ich etwa meine junge Frau Anna, mit der ich ja bald auch Kinder hatte, alleine lassen? Dann ist mir der Rest der Nation ja auch noch böse.

Die Lindenstraße war - zumindest in den Anfangsjahren - sehr politisch, zugleich aber auch der Inbegriff deutschen Kleinbürgertums.

Früher waren die brisanten Themen - Ehebruch, Kindesmisshandlung, erster Kuss von Homosexuellen - tatsächlich das Alleinstellungsmerkmal der Lindenstraße. Als uns der CSU-Politiker Peter Gauweiler 1988 wegen Beleidigung verklagte, weil eine Serienfigur ihn als "Faschisten" bezeichnet hatte. Oder dass man 1989 dem damaligen Umweltminister Klaus Töpfer ein Atommeilermodell vors Haus gestellt hat, das zur gleichen Zeit in der Serie auftauchte. Das war revolutionär. Diese Art von Revolutionärem hat die Serie heute zwar nicht mehr, aber dafür thematisiert sie andere aktuelle gesellschaftlich relevante Themen wie Transgender, die Ankündigung des Baus einer Moschee in der Lindenstraße oder den illegalen Anbau und Verkauf von Hanf für Parkinsonkranke.

Hatten Sie das Gefühl, mit Ihrem Engagement zur bundesdeutschen Aufklärung beigetragen zu haben?

Auf jeden Fall. Wir hatten mit meinem Filmsohn die erste Figur mit Down-Syndrom in der Serie. Und sehr viel früher noch, als Helga und Hans Beimer noch zusammen waren, trat ein spastisch Gelähmter in der Serie auf. Auch bei gesellschaftlich heiklen Themen wie Demenz, Bipolarität, Aids - da hatte die Lindenstraße früh aufklärerische Wirkung. Ich fand das gut, dass diese Serie so gegen den Strich gebürstet war, gegen die allgemeine Gefühlsduselei. Das war spannend. Und das Publikum hat das ja anders als die Pressestimmen stets goutiert.

Ihnen selbst war die Lindenstraße anfangs ja zu spießig.

Zumindest die Kulissen. Als ich ans Set kam, war ich erschlagen von dieser Wohnung, die spießiger nicht hätte sein können. Die Wohnzimmerwand in Eiche rustikal ging ja noch, aber diese gerafften Vorhänge mit Kordeln! Hans Beimer hatte ja Sozialpädagogik studiert und war linksgerichtet, ein bisschen war er irgendwie doch ein 68er. "Der wohnt niemals in so einer Wohnung", meinte ich. Und daraufhin haben die Bühnenbildner die Kulisse tatsächlich ein bisschen abgeschwächt.

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Quelle:
SZ vom 31.08.2018
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