Japan: Atom-Experten im deutschen Fernsehen:Die Gesichter des GAUs

Ausgelagerte Kompetenz: Im öffentlich-rechtlichen wie kommerziellen Fernsehen schlägt nach dem Atom-Unglück in Japan die Stunde der Experten. Wer sind die Männer, die im TV die Katastrophe einordnen? Für welche Positionen und Institute stehen sie? Ein Fragebogen.

Barbara Gärtner und Kathrin Hartmann

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Quelle: AFP

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Seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima steht die Kernkraft auf der öffentlichen Agenda an erster Stelle. Das Fernsehen berichtet in Sondersendungen, Talkshows und in den klassischen Tages- wie Spätnachrichten. Kompetenz in der Beurteilung des sehr komplexen Themas holen sich die Sender von außen. Fachleute sollen erklären, was genau passiert ist, was passieren kann und wie schnell die Deutschen aus der Atomkraft aussteigen können. Warum jeder der Experten eine bestimmte Auffassung vertritt, ist oft unklar. Die Institute, für die sie arbeiten, sind nicht sehr bekannt und von den wenigsten einzuschätzen.

Michael Sailer

Quelle: dpa

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Michael Sailer, Öko-Institut

Sailer, 57, wurde bisher von Sat1, Pro Sieben, RTL, der ARD und dem ZDF befragt. Er war in Talkshows und trat in Nachrichtensendungen auf.

Für wen spricht er?

Sailer: "Das Öko-Institut in Berlin ist ein unabhängiges wissenschaftliches Forschungsinstitut, das zu vielen Fragen der Nachhaltigkeit und zur Sicherheit von technischen Anlagen arbeitet. Finanziert wird es durch Forschungsaufträge durch ein breites Spektrum an Auftraggebern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft."

Wie beurteilt er die Nachrichtenlage?

"Die Informationen aus Japan kamen für Experten verständlich an. Die deutschen Medien haben versucht, dies möglichst für die Allgemeinheit verständlich aufzubereiten. Die Vorgänge in den Reaktoren und in den Brennelementlagerbecken entsprechen genau dem, was in vielen Studien der vergangenen 20 Jahre für den Ausfall der Kühlung vorausberechnet war. Auf dieser Grundlage sind also wissenschaftliche Aussagen möglich."

Die Gretchenfrage: Ist ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie möglich?

"Wir haben vergangene Woche noch einmal mit unseren Stromversorgungs- und Strommarktmodellen nachgerechnet: Ein sofortiger Ausstieg aus den 17 deutschen Atomkraftwerken ist möglich, ohne Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit und ohne nennenswerte Strompreissteigerung."

Wolfgang Renneberg

Quelle: dpa

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Wolfgang Renneberg, Büro für Atomsicherheit

Renneberg, 60, wurde von ARD, ZDF, RTL, Sat1, N24, ORF, Reuter TV und sämtlichen Dritten interviewt

Wie finanziert sich das Büro für Atomsicherheit aus Alfter?

Renneberg: "Durch Aufträge von Umweltorganisationen, Parteien, Parlamentsfraktionen, Länderregierungen, auch aus dem Ausland."

Kann man aufgrund der Nachrichtenlage überhaupt seriöse Aussagen treffen?

"Ja, wenn man sich von Spekulationen freihält. Es gibt jedoch physikalische Zusammenhänge, die eine gewisse Deutung auch bei unklarer Informationslage erlauben."

Wie bewertet er das Kernenergie-Wissen der deutschen Bevölkerung?

"Im internationalen Vergleich relativ hoch. Über die tatsächlichen Zusammenhänge und die alltägliche Praxis der Kernenergie ist jedoch wenig bekannt, weil Betreiber und Aufsichtsbehörden Atomenergie immer noch als eine Geheimsache von Experten betrachten, in die die Öffentlichkeit nach Möglichkeit nicht hineingelassen werden soll."

Ist ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie seiner Meinung nach möglich?

Die ältesten Reaktoren sowie Krümmel (insgesamt acht) könnten sofort vom Netz gehen. Die Laufzeit der neueren könnte gegenüber dem Kernenergie-Beendigungsgesetz von April 2002 verkürzt werden.

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Quelle: SZ

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Peter Jacob, Institut für Strahlenschutz am Helmholtz Zentrum

Jacob, 60, ist beim BR, bei RTL, n-tv, RTL, 3sat und der ARD aufgetreten.

Was macht sein Institut aus München?

Jacob: "Es führt Grundlagenforschung zur schnellen und zuverlässigen Bestimmung von Expositionen (dem Ausgesetztse in, d.R.) von ionisierender Strahlung, zum Verständnis der Wirkmechanismen und zu resultierenden Gesundheitsrisiken durch. Schwerpunkte liegen bei der Berechnung von Strahlenexpositionen bei Flugreisen, Entwicklung von Verfahren zur Messung von individuellen Dosen mit elektronischen Komponenten von Handys oder MP3-Playern im Falle von unvorhergesehenen Strahlenexpositionen (z.B. durch einen terroristischen Akt), Untersuchung der Folgen des Tschernobyl-Unfalls und der Plutonium-Produktion im Südural, Analysen von Strahlenrisiken."

Über den Informationsstand der Bevölkerung sagt Jacob: "Den Informationsstand zur Kernenergie kann ich nicht beurteilen. Allerdings besteht in der Öffentlichkeit (und leider auch bei vielen Politikern) ein völlig falsches Bild über die Höhe der gesundheitlichen Wirkungen von Strahlenexpositionen. Ohne quantitative Angaben zu berücksichtigen, werden unnötige Ängste geschürt."

Ist ein sofortiger Ausstieg möglich?

"Der Ausstieg aus der Kernenergie gehört nicht zu den Untersuchungsthemen unseres Instituts."

Leute-News: Ranga Yogeshwar

Quelle: ddp

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Ranga Yogeshwar,Wissenschaftsjournalist

Yogeshwar, 51, war bisher nicht nur im Ersten zu sehen, sondern auch beim WDR, NDR, Kabel1 und Phoenix.

Wie ist die Nachrichtenlage?

Yogeshwar: "Diffus, doch man muss auf die Zahlen schauen, daran lässt sich zumindest einiges ablesen, an allen Werten können sie nicht pfuschen. Dadurch kann man zumindest den Status interpretieren. Zwar hat man dann noch lange nicht den Durchblick, aber eine präzisere Kontur dessen, was vor Ort abläuft."

Wie beurteilt er das Kernergie-Wissen der Deutschen?

"Eher gering. Das merkt man an der Einordnung von Ortsdosisleistungen oder an sehr vielen Fragen und Unsicherheiten in Bezug auf die Strahlung und Prozesse in einem Kernreaktor. Diese Kenntnisse haben sich auch seit Tschernobyl nicht unbedingt vertieft. Wichtig ist für mich daher der Versuch einer Vermittlung und die Einordnung dieser zugegeben komplexen Zusammenhänge."

Die Gretchenfrage: Wäre ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie möglich?

"Oh ja! Es gibt hierzu Berechnungen: Im Moment können Sie etwa acht Gigawatt einsparen, also die alten Meiler, die jetzt vom Netz sind, das funktioniert. Im zweiten Schritt können Sie bis 2015 fünf weitere Gigawatt einsparen, und bis 2020 wäre dann kein Reaktor in Deutschland mehr am Netz. Dieses bedeutet jedoch eine fundamentale Wende."

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Quelle: SZ

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Sven Dokter, Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit (GRS)

Dokter, 38, war bisher vor allem bei ARD und ZDF zu sehen.

Wofür steht die GRS aus Köln?

Dokter: "Die GRS ist eine gemeinnützige Organisation, die sich mit der Sicherheit kerntechnischer Anlagen, der Entsorgung radioaktiver und chemisch-toxischer Abfälle und mit Fragen des Strahlenschutzes befasst. In diesen Bereichen sind unsere Fachleute sowohl forschend als auch als Gutachter des Bundesumweltministeriums tätig. Die GRS gehört überwiegend der öffentlichen Hand und finanziert sich in Deutschland ausschließlich über öffentliche Forschungsförderung und über Aufträge von Behörden."

Wie bewertet er die Nachrichtenlage?

"Schwierig. Es gibt immer wieder längere Zeiträume, in denen wenig oder keine verlässlichen Informationen verfügbar sind."

Wäre ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie möglich?

Die GRS beschäftigt sich nicht mit energiewirtschaftlichen Fragen, und ich selbst bin natürlich auch kein Experte in diesem Bereich. Deswegen geht es mir da genauso wie vermutlich vielen anderen Menschen: Ich nehme wahr, dass diese Frage unter Fachleuten unterschiedlich beantwortet wird.

© SZ vom 26.03.11/fort
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