Süddeutsche Zeitung

ARD-Serie "Das Begräbnis":Improvisier mir das Lied vom Tod

Der Patriarch ist gestorben, die Erben rücken an: Wie aus einem Standardplot in der ARD großartiges Stegreif-Fernsehen wird.

Von Christine Dössel

Erst schaut mal wieder alles nach einem Krimi aus. Ein Mann ist tot, und an seinem Grab versammeln sich jede Menge deutscher Fernsehschauspieler von Rang und Namen, darunter etliche ehemalige oder amtierende Tatort-, Polizeiruf- und sonstige Kommissare, etwa Charly Hübner, Devid Striesow, Martin Brambach, Uwe Preuss, Claudia Michelsen. Mit von der Partie sind auch die schauspielerischen Ost-Urgesteine Thomas Thieme und Jörg Gudzuhn. Ob sie eine "Soko Lassahn" bilden (so heißt der Ort in Mecklenburg-Vorpommern, an dem gedreht wurde) und gemeinsam auf Verbrecherjagd gehen? Nein, sie können gottlob auch anders - und Anderes: nämlich Impro-Komödie.

Die sechsteilige ARD-Miniserie Das Begräbnis von Regisseur und Grimme-Preisträger Jan Georg Schütte ist ein gänzlich improvisiertes Format. Die Mitwirkenden spielen ohne Textvorgabe, agieren und reagieren in dem, was sie sagen und tun, allein auf Basis ihrer Rollenprofile. Genau das ist der Reiz der Geschichte, die ein paar amüsante Haken und aus den Niederungen der Normalität Funken schlägt.

Die ehemalige DDR schlägt sich in den Biografien, den Seelen und sehr konkret auch im Interieur nieder

Die Rahmenhandlung ist eine im realen wie fiktionalen Leben äußerst beliebte Setzung: Ein Vater vom Typ Patriarch ist gestorben - hier der Provinzfirmenchef Wolff-Dieter Meurer von "Sanitär Meurer". Die Familie kommt zusammen - hier zwei Ehefrauen, vier Kinder, eine Ziehtochter, plus jeweils der Beziehungs- und Problemanhang. Es geht um das Erbe, um alte Geheimnisse und offene Rechnungen, hier auch um den innerdeutschen Ost-West-Konflikt. Das Ganze spielt schließlich auf dem Boden der ehemaligen DDR, die in den Seelen und Biografien und sehr konkret auch im Interieur des Meurerschen Anwesens ihre Spuren hinterlassen hat. Im dazugehörigen Gasthof gibt es sogar eine Vitrine mit Grenzflucht-Utensilien, und der Wirtshaussaal für den Leichenschmaus würde gut zu einer Theaterinszenierung von Christoph Marthaler passen. Provinz-Influencerin Jackie (Luise von Finck) aus der Enkelgeneration hält für ihre Follower mit der Handykamera drauf: "Das ist so ein cooles Museum bei uns ... äh, Nazi oder Stasi."

Gedreht wurde an nur zwei Tagen auf einem großen Hof mit 15 verschiedenen Sets, die parallel bespielt werden konnten. 56 Kameras, 17 Akteure, die Handlung durchimprovisiert in sechs Stunden. Ein gewaltiger technischer und logistischer Aufwand. Erstaunlich, wie gut das aufgeht und mit welch leichter Hand der Impro-Profi Schütte an seinem Regiepult alle Szenen und Stränge zusammenführt. Die Pointe ist, dass das Geschehen in jeder Folge aus der Sicht einer anderen Hauptfigur erzählt wird. So wiederholen sich die einzelnen Vorgänge zwar, aber immer mit leichten Perspektivänderungen und neuen Details.

In den ersten zwei Episoden stehen die ungleichen Zwillingsbrüder Mario und Thorsten im Mittelpunkt, der eine (Charly Hübner) ein treuherziger Teddybär, der immer nur für den Familienbetrieb gelebt hat, der andere (Devid Striesow) ein hoch verschuldeter Hallodri, der 25 Jahre lang weg war und dringend Geld braucht, nicht zuletzt weil ein schwäbelnder Geldeintreiber (Aleksandar Jovanovic) hinter ihm her ist. Die Testamentseröffnung ist ein harter Schlag: Alles geht an Vattis zweite Frau Gaby (Catrin Striebeck), die im Pünktchenkleid auf Pretty Woman macht. Düpiert sind auch Mutti Meurer (Christine Schorn) und die früh in den Westen gegangene Tochter Sabine (Claudia Michelsen) sowie das einfach gestrickte Nachbarspaar Hell, das sich schon aus dem Hartz-IV-Prekariat aufsteigen sah (herrlich: Anja Kling und Martin Brambach). Anlass für jede Menge Chaos und Streit.

Es wird an diesem Beerdigungstag sehr viel geschimpft, geraucht, geflucht und gesoffen, einmal auch geschossen. Enno Trebs führt als Stiefsohn Kevin eine wilde Kloschüssel-Kunstperformance auf; anderen gelingen kleine Kabinettstückchen. Das hängt schon auch mal durch, ist meistens aber ein beiläufiger Spaß, unterhaltsam auch deshalb, weil man mit voyeuristischer Neugier wissen möchte, wie die Schauspieler den Impro-Parcours meistern. Es sei verraten: Sie schlagen sich - weitgehend - großartig.

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