Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik:In jedem Satz bimmelt es wie bekloppt

Jan Böhmermann startet mit seiner Show im ZDF-Hauptprogramm und knallt Pointen raus, als sei Schlussverkauf. Er nimmt sich das große Thema Verschwörung vor.

Von Hilmar Klute

Ist es nicht fast altertümlich rührend, dass eine Sendung einen neuen Schuss Weihwasser abbekommen soll, nur weil sie jetzt im Hauptprogramm des Zweiten Deutschen Fernsehens, ja darf man das überhaupt noch sagen: ausgestrahlt wird? Als sei es nicht eigentlich egal, wo etwas läuft im Zeitalter der zahllosen Kanäle, das Maulwürfe und Blindfische am Fließband produziert, und das Fließband läuft zuverlässig dorthin, wo der kabarettistische Metzgermeister alter Schule sitzt.

Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale kommt also jetzt zwischen heute-show und Aspekte zu stehen, eine Art sanfter Übergang also von der öden Lalla-Witz-Satire zur lässig präsentierten Kultureinblendung am späten Abend. Und es geht los mit ein paar lustigen Einspielungen von verkleideten und echten Feinden, die gespielt vergiftete (Jan Fleischhauer) oder unmaskiert vergiftete (Alexander Gauland) Glückwünsche an den neuen Abendunterhalter des Öffentlich-Rechtlichen richten.

An Böhmermann also, der "nach den schadhaften Stellen in der Demokratie" fragen wird - dies sei, sagt Böhmermann, ein Zitat von Gerhard Löwenthal, der im kalten Krieg das sehr konservative ZDF-Magazin zum Bollwerk gegen alle Linken von Brandt bis Böll erklärt hatte.

Ist Michael Wendler wirklich ein Gegner?

Und man sieht die Social-Media-Gemeinde schon reihenweise "Löwenthal" in die Wikipedia-Suchleiste eintippen. Aber die Gegner sitzen natürlich, ja wo zur Hölle, sitzen die? In den Chefetagen der Großkonzerne wie eh und je. Die Quandts, die Klattens und Porsches, alle werden sie eingeblendet, denn die Einblendung von Gesichtern für eine Galerie der Gewissenlosen, das geht immer und lässt hinter jeder witzigen Kapriole die Anklage sichtbar werden. Nazi-Opa, Zwangsarbeiter und das große Geld auf dem Rücken der Schwachen. Stimmt weitgehend, aber man muss auch sagen: Böhmermann ist entschieden jünger als der Zorn darüber. Man weiß das alles und die Geschichte liegt auch nicht im unzugänglichen Dunkel.

Böhmermanns großes Thema des Abends lautet aber: Verschwörung. Jeder weiß, was damit gemeint ist in unseren Tagen und wer nicht, der kriegt die Blödmänner und Blödfrauen noch einmal eingespielt. Der Schlagersänger Michael Wendler lässt seinen tristen Unsinn los, ja, klar, man schüttelt bei jedem seiner Worte den Kopf und denkt doch leider auch: Himmel, ist das wirklich ein Gegner?

Die ersten fünf Minuten, und das macht einen ein bisschen dulle im Kopp, knallt Böhmermann die Pointen raus, als sei Schlussverkauf. Seine für den Abend gewählte Garderobe ist die des komplett Überdrehten, des vom Irrsinn der medialen Überblendungen und der verlogenen Haltungen ganz kirre gewordenen großen Jungen, und Böhmermanns rasante wie rustikale Pimmel-Geilomat-Sprache ist zumindest sportlich in ihrer Hochfrequenz.

Eine Nummer kleiner und cooler geht es auch

Es ist Pandemie, die Kollegen sind im Memory-Modus per Bildschirm zugeschaltet, und die alte Flauschfigur Spencer aus "Hallo Spencer" ist jetzt vom seriösen Journalisten zum Verschwörungstheoretiker geworden und muss seinen Ruf einbüßen. Ganz lustig, die Gespräche mit der irren haarigen Puppe, aber irgendwie denkt man, eh man sich zur Ordnung ruft, kurz daran, wie Harald Schmidt einmal sehr lange, quälende Scham-Minuten lang Ernst Jandl seine Alt-Wiener Futoper rezitieren ließ.

In Michael Maars grandiosem Buch über den literarischen Stil kommt kurz Andersens Märchen "Die chinesiche Nachtigall" vor, wo an jeder Blume im kaiserlichen Garten ein Glöckchen hängt. So ist es ein bisschen bei Böhmermann: in jedem Satz bimmelt es wie bekloppt, eine Pointe haut der nächsten auf den Dez, und natürlich ist Böhmermanns Sprache auch Wirklichkeitsparodie. Er weiß ja, dass wir alle in einer Welt der unablässigen Befeuerung mit Fakten, Meinungen und, sehr schlimm: Haltungen leben.

Der ganze Irrsinn stülpt sich als Dunstglocke über die ewige Wahrheit, dass die Welt ungerecht ist: "Die ungleiche Verteilung von Geld und Gütern in der Welt ist das größte Menschheitsproblem der Gegenwart." Der Satz steht ziemlich am Schluss der ersten Sendung, und was soll man dazu sagen, außer: Ja, sicher. Aber das haben die in der heute-show ja auch immer schon gesagt. Am Schluss singt der erstaunlich jung gebliebene Scooter gemeinsam mit dem im Home Office spielenden Tanzorchester Ehrenfeld die Zeilen "We don't give a penny, fuck twenny-twenny." Eine Nummer kleiner und cooler also, und so geht es eben auch.

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