Jan Böhmermann im "Zeit"-Interview:"Was Satire darf und was nicht, entscheidet immer noch die Bundeskanzlerin persönlich"

Jan Böhmermann

Will am 12. Mai ins Fernsehen zurückkehren: Jan Böhmermann.

(Foto: dpa)

Satiriker Jan Böhmermann äußert sich erstmals selbst zur Affäre um sein Erdoğan-Schmähgedicht. Die Lust am provokanten Witz ist ihm nicht vergangen.

Das Interview beginnt mit einem Witz - und einer Enttäuschung. Jan Böhmermann, untergetauchter Satiriker und wegen seines Erdoğan-Schmähgedichts Politikum bis nach Brüssel, hat den Zeit-Journalisten Matthias Kalle und Moritz von Uslar zwar Fragen beantwortet. Aber nur schriftlich. Warum? "Weil ich gerne der Erste in Deutschland sein möchte, der in einem Zeit-Interview Emojis unterbringt." Am Ende dieses Satzes steht im Original tatsächlich ein Emoticon, ein zwinkerndes Grinsegesicht. Es gibt noch weitere, zum Beispiel Herzen hinter dem Namen von Böhmermanns Freund und Kollegen Olli Schulz. Eines sucht man in dem Interview allerdings vergeblich: spontane Reaktionen. Manche Antwort wirkt so gewollt lustig wie das gefälschte Böhmermann-Interview von Bild-Herausgeber Kai Diekmann vor einigen Wochen.

Am 14. April war Böhmermann das letzte Mal in seiner Sendung Neo Magazin Royale zu sehen, danach zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück. Erst am 12. Mai will er ins deutsche Fernsehen zurückkehren (unklar ist, ob er einen angekündigten Termin in einer US-Late-Night-Show wahrnehmen wird). Zu gewaltig war das, was nach seinem Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan über Böhmermann hereinbrach: Die Türkei verlangte von der Bundesregierung eine Strafverfolgung nach Paragraf 103, zusätzlich zeigte der Privatmann Erdoğan Böhmermann an; die Kanzlerin äußerte sich; Böhmermann wurde unter Polizeischutz gestellt.

"Wurde Ihre Familie bedroht? Haben Sie Todesdrohungen erhalten?", wollen die Zeit-Journalisten wissen. Böhmermann antwortet ausweichend-abwiegelnd: "Als Privatperson waren die letzten Wochen für mich und mein Umfeld (...), ohne da näher ins Detail gehen zu wollen, ein wenig turbulent." Kurz darauf schreibt er von "dramatischen Konsequenzen" - um noch später wieder einzuschränken: "Ich neige nicht zu Selbstmitleid. Augen auf bei der Berufswahl!" Näher geht der 35-Jährige nicht auf sein persönliches Befinden ein.

Böhmermann wehrt sich gegen Rassismus-Vorwurf

Dafür verteidigt Böhmermann einmal mehr sein "humoristisches Proseminar 'Schmähkritik'". Er habe seinen Zuschauern erklären wollen, "was eine freiheitliche und offene Demokratie von einer autoritären, repressiven De-facto-Autokratie unterscheidet, die sich nicht um Kunst- und Meinungsfreiheit schert".

In der Diskussion nach Ausstrahlung der Neo-Magazin-Royale-Sendung war auch der Vorwurf laut geworden, das Gedicht beleidige nicht allein Erdoğan, sondern sei rassistisch gegenüber allen Türken. Dagegen verwehrt sich Böhmermann ausdrücklich: Es sei eine schmerzhafte Vorstellung für ihn, "dass mich jemand wegen dieser Nummer ernsthaft für einen Rassisten oder Türkenfeind halten könnte. Es geht um die Grenzen der Freiheit in Deutschland."

In diesem Zusammenhang greift der Satiriker Kanzlerin Angela Merkel mit scharfen Worten an: Diese habe "das freie Arbeiten eines deutschen Künstlers nicht verteidigt", sondern dessen Arbeit "gegenüber einem Wannabe-Diktator zur Verhandlungsmasse erklärt". Merkel hatte in einem ersten Statement das Erdoğan-Schmähgedicht als "bewusst verletzend" bezeichnet. Später entschuldigte sie sich für diese Aussage, die den Eindruck erweckt habe, ihr seien Meinungs- und Pressefreiheit nicht mehr wichtig.

"Mein Team und ich wollen den Humorstandort Deutschland nach vorne ficken"

Obwohl Böhmermann in der Sache ernst ist - ohne ein Witzchen kommt fast keine seiner Antworten aus. "Mein Team und ich wollen den Humorstandort Deutschland nach vorne ficken", schreibt er an einer Stelle.

Auch Merkels Parteikollege und Kanzleramtsminister Peter Altmaier bekommt sein Fett weg - mal mehr, mal weniger humorig intoniert. Böhmermann bestätigt, dass er Altmaier via Twitter um Unterstützung gebeten habe: "Diese Nachricht habe ich nicht ohne Not und sicher nicht in einer Situation geschrieben, wo Sie noch daran denken, was jetzt besonders cool rüberkommt. Ich ahnte, dass mein kleiner Pupswitz eine echte diplomatische Krise auslösen könnte." Allerdings habe er keine Antwort von Altmaier erhalten.

Ein letzter Seitenhieb gegen die Kanzlerin

Nicht zuletzt Böhmermanns Arbeitgeber, das ZDF, muss sich Spott gefallen lassen. Ob er sein Gedicht im Nachhinein als gelungen empfinde, wird Böhmermann gefragt. Seine Antwort: "Ja, denn es reimt sich ganz toll. Nur in der letzten Zeile habe ich kleinere Unregelmäßigkeiten mit dem Versmaß festgestellt. Ich wünschte, man könnte es mal irgendwo komplett ansehen." Das ZDF hatte den Beitrag mit Verweis auf die Qualitätsansprüche des Senders aus der Mediathek entfernt.

Zum Schluss erlaubt sich der Satiriker dann einen allerletzten Seitenhieb auf Angela Merkel. Was hierzulande in Sachen Satire erlaubt sei, das bestimme weder Tucholsky, noch "irgendein dahergelaufener magenkranker Osteuropäer". "Was Satire darf und was nicht - das ist nach der ganzen Nummer hier wohl klar -, entscheidet immer noch die Bundeskanzlerin persönlich."

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