Jahresrückblick bei Illner:"Das Jahr 2016 war der maximale Warnschuss"

Sineb al Masrar Journalistin Autorin Thomas Gottschalk Entertainer und Moderator Maybrit Illner

Die Gäste der letzten Maybrit-lllner-Sendung 2016: Sineb al Masrar, Thomas Gottschalk, Dr. Sylke Tempel, Sascha Lobo, Franziska Giffey

(Foto: imago/Metodi Popow)

Was war das für ein irres Jahr? Maybrit Illner freut sich sichtlich auf die Weihnachtspause. Ihre Gäste spielen die Elite, die sich vom Volk entfernt hat.

TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Allerlei Ungemach hat die Welt in diesem Jahr ereilt - je nach Sichtweise: Für die einen machen weltweit Witzfiguren mit Rechtsruck-Potenzial auf sich aufmerksam und dürfen auch noch allerhöchste politische Ämter bekleiden beziehungsweise missbrauchen (Trump, Erdoğan, Putin, Brexit). Für die anderen wird jetzt endlich mal aufgeräumt mit dem ganzen Political-Correctness-Quatsch . Als gäbe es dazwischen keine Meinungen, wird alle paar Tage eine Talkshow zu diesem oder jenem Thema dafür verwendet, diese beiden Gegensätze zu beleuchten.

Maybrit Illner macht das meistens nicht so dumm, ergo könnte man meinen, dass ihre letzte Sendung in diesem Jahr als eine Art politischer Rückblick mit weit gefasster Perspektive gut funktionieren könnte. Aber entweder ist das nicht gewollt - oder es wird schlicht nicht gekonnt.

Vielleicht liegt es auch nur daran, dass die Moderatorin sich sichtlich auf die Weihnachtspause freut und schnell noch die letzte Show wegmoderieren möchte. Jedenfalls ist Thomas Gottschalk noch einer der besseren Gäste an diesem Donnerstagabend, der unter dem Motto "Wut, Werte, Wahrheit - wie hat uns 2016 verändert?" steht. Und das will was heißen.

Gottschalk gelingt es immerhin, eine Sowohl-als-auch-Sichtweise auf die Trump-Wahl zu entwickeln: Die Deutschen auf der Wahl-Party in Gottschalks Wahl-Heimat USA hätten sich angesichts des abzeichnenden Ergebnisses furchtbar erschreckt. Viele Amerikaner dagegen seien locker damit umgegangen - weil sie viel mehr daran gewöhnt seien, extreme Äußerungen in der Öffentlichkeit zu dulden. Und zu wissen, dass am Ende nichts so heiß gegessen wie gekocht werde. In Deutschland sei das anders.

Der "Ziegenficker" und die "große süße Maus"

Da ist was dran. Aus guten Gründen zwar. Dennoch hat Gottschalk nicht unrecht, wenn er erklärt: Viele Menschen verstünden hierzulande nicht mehr, wie ein Böhmermann, der einen Staatspräsidenten "Ziegenficker" nennt, als Hüter der Meinungsfreiheit gefeiert wird, während die Aussage "große süße Maus" über eine Politikerin zum Problem gemacht wird. Das heißt nicht, dass die Menschen, die das nicht verstehen, im Recht sind. Viele verstehen es aber trotzdem nicht.

Blogger Sascha Lobo sieht das naturgemäß ganz anders und warnt vor einer Trump'schen Horror-Regierung inklusive Horror-Ministern. Ins gleiche Horn stößt Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift Internationale Politik, die sich immer wieder über den "Hass" beschwert, der auch ihr entgegenschlage und schlicht inakzeptabel sei. Beide sind gute Talkgäste, weil sie schmissige Thesen klar und deutlich formulieren und sich nicht scheuen, ihre Meinung mutig zu vertreten. Das Problem ist nur: Damit sind sie Teil des Problems.

Gibt es noch Argumente außer "Hass" und Horror"?

Viele Menschen vor den Bildschirmen und in den sozialen Medien fühlen sich von diesen schmissigen Thesen à la "Hass" und "Horror", die extra so fürs Fernsehen und seine Gesetzmäßigkeiten formuliert werden, eben nicht mehr abgeholt und auch nicht gemeint.

Ein Netz-Nerd, der sich zum Weltenerklärer gemausert hat - und sei er in Teilen noch so scharfsinnig - und eine Journalistin, die Merkels "Internet ist Neuland"-Spruch verteidigt, und sei sie noch so kritisch; eine in Hannover geborene Autorin mit marokkanischem Namen (Sineb al Masrar), die Deutschsein nicht mehr als Frage der Ethnie sieht, und eine junge Bezirksbürgermeisterin von Neukölln (Franziska Giffey) mit ostentativ großem Verständnis für die ältere Generation; dazu ein ehemaliger "Wetten, dass..?"-Moderator - das ist die Elite, die hier über den wundersamen Willen des Volkes diskutiert. Welches sich erwartungsgemäß in den sozialen Netzwerken über die Sendung mannigfaltig beschwert. "Da sind Leute zu Gast - die haben mit dem wahren Leben nix zu tun" ist noch die freundlichste Formulierung auf Facebook.

Lobo konstatiert völlig richtig, dass mit dem Superreichen Trump einer der "schlechtesten Außenseiter-Darsteller" der Welt zum neuen US-Präsidenten gewählt wurde - eben weil er so tut, als trete er gegen das Establishment an: "Das Jahr 2016 war der maximale Warnschuss vor den Bug der Eliten", zu denen die Medien im weiteren Sinne eben auch gehörten. 2017 werde weitere Überraschungen bereithalten.

Überraschungen, die dann aber eigentlich keine echten Überraschungen mehr sein können. Zumindest, wenn man nicht ganz dem Schwarzweißdenken verfallen ist, das das Fernsehen so gerne befördert.

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