65 Jahre Süddeutsche Zeitung:Heilige Handlung in zerbombten Hallen

Am Anfang eine Feuertaufe: Der Bleisatz für "Mein Kampf" wurde eingeschmolzen und US-Presseoffiziere feierten Reeducation. So wurde vor 65 Jahren die "Süddeutsche Zeitung" begonnen.

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Günther Jauch, DE: | Guenther Jauch

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Was heißt schon Alter bei einem Medium, das vor mehr als 400 Jahren entstand? Was bedeutet ein Geburtstagsgruß bei einem Objekt, das Städte, Länder und Kontinente spiegelt? Schließlich ist dort, "wo eine Zeitung entsteht, der Mittelpunkt der Welt", befand bereits der niederländische Schriftstelller Cees Nooteboom.

Die Süddeutsche Zeitung also ist 65 Jahre alt geworden, erfreut sich einer robusten Konstitution und von Altersheim kann sowieso keine Rede sein. Das sieht der immerjunge, augenzwinkernde TV-Moderator Günther Jauch, 54, genauso und wünscht der SZ: "Dass ich ihr die nächsten 35 Jahre als Abonnent erhalten bleibe. Die Chancen stehen ziemlich gut!"

Ulrich Wilhelm, 49, ehemaliger Regierungssprecher und künftiger Intendant des Bayerischen Rundfunks, hofft, dass die Jubilarin "ihren hohen Anspruch an sich selbst, ihre Eigenständigkeit und das gewisse Münchnerische bewahrt". Ganz auf sozialdemokratische Programmatik konzentriert ist der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck. "Rente mit 67, das darf und kann es für die SZ nicht geben!", fordert er: "Denn mit wem sollten wir sonst durch den Alltag streifen? Wer erhellt uns zuverlässig die manchmal auch dunklen Tage? Wer bringt uns Licht in das tägliche Nachrichtenwirrwarr, provoziert, argumentiert, lässt uns Schmunzeln?"

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Maria Furtwaengler, 2002

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Direkt an die Redaktion wendet sich die Schauspielerin und Verlegerfrau Maria Furtwängler, 44: "Mit 65 Jahren hört für viele die Arbeit auf. Gut, dass ihr auch darüber anders denkt!"

Thronverzicht König Ludwig III., 1918

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Ein altes Blatt aus der Stadt an der Isar: Von 1848 (dem Paulskirchenjahr) bis 1945 (dem Jahr des Kriegsendes) erschienen die Münchner Neuesten Nachrichten, zum Schluss geschunden in der Zeit der Nazis. Die Publikation taucht noch im Untertitel der Süddeutschen Zeitung auf, die sich als Nachfolger der Münchner Neuesten Nachrichten versteht.

Dieses Bild zeigt eine Ausgabe von 1918, die vom Thronverzicht des bayerischen Königs Ludwig III, kündet. Majestät verzichtete auf den Thron und entband Beamte, Offiziere und Soldaten ihres Treueeides. Der Ministerrat des Volksstaates Bayern unter Vorsitz von Kurt Eisner nahm das zur Kenntnis.

65stes Jubiläum der Süddeutschen Zeitung

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Der Sitzungssaal im Alten Rathaus war notdürftig repariert, eine feierlich gestimmte Runde wohnte dem Start einer neuen Zeitung bei, die nach dem Willen der US-Besatzungsarmee so etwas wie die "deutsche New York Times" werden sollte. Arthur F. Gerecke, Chef der 'Press Branch' für Bayern, redet vor der Übergabe der Lizenz für die Süddeutsche Zeitung an jenem denkwürdigen 6. Oktober 1945. Offiziell wichtiger an dem Tag war Colonel Barney B. McMahon, der Chef der amerikanischen Nachrichtenkontrolle in Bayern.

Der Start der SZ war wochenlang in Bürgervillen in Nymphenburg-Neuhausen vorbereitet worden. Eine entscheidende Rolle spielte der US-Presseoffizier Ernst Langendorf, einst beim sozialdemokratischen Echo in Hamburg aktiv, der vor Adolf Hitlers Kamarilla in die USA geflohen und ausgebürgert worden war. Er war 1945 der erste Amerikaner auf dem Marienplatz gewesen. 

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Schmucklos: Die Einladung zur Lizenzübergabe durch die amerikanische Besatzungsmacht an die Verleger Edmund Goldschagg, Franz Josef Schöningh und August Schwingenstein. Eine Dreiviertelstunde war für die Reden im Rathaus reserviert, dann ging es zum zerbombten Verlagsstandort am Münchner Färbergraben, bis 2008 Sitz der Süddeutschen Zeitung

Hier, im einstigen Verlagshauses von Knorr & Hirth, wurde demonstrativ jener Bleisatz in den Ofen geworfen, mit dem jahrelang die Matern für Hitlers Mein Kampf geprägt worden waren. Es sei "uns zumute gewesen, als ob wir einer heiligen Handlung beiwohnten, einem frommen Akt der Gerechtigkeit, der gleichsam einen Schlussstrich bildet unter einem zwölf Jahre hindurch vergewaltigten Pseudojournalismus", schrieb der damalige SZ-Lokalchef Werner Friedmann.

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Es war gewissermaßen eine Lizenz zum Gelddrucken für die drei Lizenzträger der Süddeutschen Zeitung. Aber das war in jenen ersten Tagen bestenfalls zu erahnen gewesen. Hier sind Schwingenstein, Goldschagg und Schöningh (v.l.) bei einer Besprechung im Herbst 1945 zu sehen. 

Goldschagg hatte in einem Fragebogen des alliierten Oberkommandos zur Rolle der zukünftigen deutschen Presse geantwortet: Ihre Aufgabe sei "vor allem die Erziehung des deutschen Volkes zu einer demokratischen Weltanschauung, zur Abkehr von jeder Machtpolitik im Inneren und nach außen". Es ging dem Sozialdemokraten um eine "Bekämpfung des militaristischen Geistes, wie er im deutschen Volke tief verwurzelt ist und von dem Nationalsozialismus noch besonders groß gezogen wurde".

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Und das ist die Titelseite der ersten Ausgabe vom 6. Oktober 1945. Vorgestellt wurde die neue bayerische Regierung unter dem Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner (ja, es war nicht die CSU) sowie der Abschied des US-Generals Patton aus Bayern. In einem Geleitwort bekannten sich "Schriftleitung und Verlag" zur Selbstsicht als "Sprachrohr für alle Deutschen, die sich einig sind in der Liebe zur Freiheit, im Hass gegen den totalen Staat, im Abscheu gegen alles, was nationalsozialistisch ist".

Ein kräftiges Wort zum Standort schmückte die Positionsbeschreibung. Die SZ werde aus dem "süddeutschen, insbesondere bayerischen Geschichtsbewusstsein leben" und einen "öden, undeutschen Zentralismus" ablehnen, hieß es da.  

Die Startnummer hatte nur acht Seiten. Aufgrund des großen Papiermangels erschien die Zeitung noch jahrelang mit vergleichsweise geringem Umfang.

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Die Bevölkerung sehnte sich nach freier, aktueller Information. Hier informiert sich 1946 eine Gruppe von Menschen in der Süddeutschen Zeitung über die Urteilsverkündung im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. 

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Als das Internet noch eine Fiktion war: Maschinensetzer sitzen in den sechziger Jahren an Setzmaschinen. 

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Und so arbeiteten die Setzer in den dreißiger Jahren. 

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"Schreib's auf!" Eine Redakteurin an ihrem Schreibtisch (1998). Die Süddeutsche Zeitung hat eine Reihe profilierter Journalisten hervorgebracht. Manche blieben wie der legendäre außenpolitische Spezialist Immanuel Birnbaum, der Chefkorrespondent Hans Ulrich Kempski, der Autor Claus Heinrich Meyer, der Universal-Feuilletonist Joachim Kaiser und der Rechtsexperte Ernst Müller-Meiningen, manche gingen wie der Kolumnist Siegfried Sommer (zur Abendzeitung) oder Erich Kuby, manche kamen wieder wie der Reporter Herbert Riehl-Heyse.

Druck der Süddeutschen Zeitung

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Ein Bild aus alter Zeit vom Druck der Süddeutschen Zeitung: Hier wird die Korrekturfahne geprüft. 

Gebäude des Süddeutschen Verlages

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Sendlinger Straße 8, jahrzehntelang die Redaktionsadresse im Herzen Münchens, zwischen Marienplatz und Sendlinger Tor. Unten spielten Straßenmusiker für eine Handvoll Münzen mehr oder weniger geschickt, aber immer laut, ihre Musik, oben sannen Chefredaktion und Ressortleiter über die Schlagzeilen des nächsten Tages.

Redaktion der Süddeutschen Zeitung, 1946

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So sah es in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung im Jahr 1946 aus. Die Journalisten arbeiteten in einem noch vom Krieg gezeichneten Raum. Im Vordergrund (v. l.): Alfred Dahlmann und Joseph Kirmaier. Erst im September 1949 konnte die SZ sechsmal wöchentlich erscheinen, erst dann wurde sie zur "richtigen" Tageszeitung. 

Werner Friedmann,

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Er fand, ein richtiger Journalist müsse die drei Lizenzträger ergänzen: Werner Friedmann, zunächst Lokalchef, später Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung. Als Vierter bekam er am 2. August 1946 Anteile an der neuen Zeitung. Ganz ausgelastet fühlte er sich nicht, schließlich gründete er 1949 die etwas populärer gehaltene Abendzeitung. Dort hielt sich der Meinungsfreudige, der mit SZ-Kollegen im Doppel Tennis spielte, an die Devise. "Was aktuell ist, bestimme ich!"

Im Jahr 1953 stieß dann übrigens noch ein fünfter SZ-Gesellschafter dazu: Hans Dürrmeier. 

Hermann Proebst, Chefredakteuer der SZ (225.02.1904 - 15.07.1970)

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Nachfolger Friedmanns als SZ-Chefredakteur wurde 1960 Hermann Proebst. Er blieb es  bis zu seinem Tode 1970. Zeitungmachen war für ihn "gewissermaßen auch eine Kunst". Deshalb sollten die Verantwortlichen immer Goethes Mahnung im Sinn haben: "Bilde, Künstler, rede nicht." 

Hans Heigert

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Hans Heigert, Chefredakteur von 1970 bis 1984, kam vom Bayerischen Rundfunk, wo er zum Beispiel Report München moderiert hatte. Er stand einem Chefredakteurs-Kollegium vor, dessen Besetzung wechselte. Der engagierte Christ, später auch Präsident des Goethe-Instituts, trat als Grandseigneur auf, und arbeitete daran, die Zeitung als Weltblatt zu positionieren. Die Seite Drei wurde zum Glanzstück der Zeitung. 

DIETER SCHRÖDER

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Auf den liberal-konservativen Heigert folgte der in der Redaktion durchaus streitbare Dieter Schröder, der 1953 schon Hauptstadt-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung war und von 1964 bis 1965 als Spiegel-Mann untreu wurde. Über Stationen in London und an der Spitze des außenpolitischen Ressorts näherte er sich dem Zentrum der Macht.

Hans Werner Kilz, 2005

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Viele Jahre als Spiegel-Redakteur, davon zuletzt als Chefredakteur, schärften den politischen Blick von Hans Werner Kilz, der 1996 nach München kam. Der Chefredakteur scheidet zum Jahresende aus und gibt ein Blatt ab, das mit einer Verkaufsauflage von rund 440.000 Exemplaren an der Spitze der überregionalen Blätter liegt. Ihm zur Seite stand in der Chefredaktion Gernot Sittner.

Kurt Kister, 2008

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Als Nachfolger steht Kurt Kister fest, einst USA-Korrespondent und Hauptstadtbüroleiter der Zeitung und seit 2005 stellvertretender Chefredakteur. Kister wird der sechste Chefredakteur in 65 Jahren Süddeutscher Zeitung sein.  

Süddeutsches Magazin

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Farbanzeigen des SZ Magazins erhöhten die Erlöse, und besondere journalistische Tupfer erweiterten das Redaktionsangebot. Die erste Ausgabe startete 1990. Jeden Freitag liegt das Magazin der Zeitung bei.

Mit anderen Zeitschriften hatte der Verlag in der Vergangenheit wenig Glück, zum Beispiel mit der Münchner Illustrierten, die das Führungspersonal in Kontakt mit Filmstars brachte, oder mit der Süddeutschen Sonntagspost sowie dem Objekt Epoca.

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Eine Idee, die viele Nachahmer fand: Im März 2004 startete die SZ-Bibliothek. Der erste  Band wird vor dem Verlagsgebäude verschenkt. 

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Das Angebot der "neuen Produkte" aus dem Verlagshaus erweiterte sich stetig. Hier sind 2006 Bände der SZ-Jugendbuchbibliothek zu sehen. 

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Seit Herbst 2008 sitzt der Süddeutsche Verlag im Osten Münchens in einem Hochhaus an der Hultschiner Straße. Aus dem alten Zeitungskomplex in der Innenstadt soll eine schicke Kombination aus Ladengalerien, Edel-Büros und Wohnungen werden. Auch der Gesellschafterkreis wechselte. Von den alten Eigentümern ist nur noch die Friedmann-Familie dabei, die Mehrheit hält nunmehr die Südwestdeutsche Medienholding aus Stuttgart.

© sueddeutsche.de/berr
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