Eklat um Dante-Artikel:"Der unglaubliche Angriff einer deutschen Zeitung"

Eklat um Dante-Artikel: "In der Mitte unseres Lebensweges kam ich zu mir in einem dunklen Wald. Der rechte Weg war da verfehlt." - Dante auf der Piazza Santa Croce in Florenz.

"In der Mitte unseres Lebensweges kam ich zu mir in einem dunklen Wald. Der rechte Weg war da verfehlt." - Dante auf der Piazza Santa Croce in Florenz.

(Foto: Vincenzo Pinto/AFP)

Ein Artikel in der "Frankfurter Rundschau" versetzt Italien in Aufruhr, mitten im Dante-Jahr. Dabei hätte nur mal jemand lesen müssen.

Von Oliver Meiler

Auf Dante? Darf nichts kommen, nie. Die Italiener sehen in Dante Alighieri den größten Dichter aller Zeiten - den "Sommo Poeta" also, mit zwei Großbuchstaben. Erfinder Italiens und des Italienischen. Da nun gerade in einem großen Reigen von Veranstaltungen und Hommagen das Jahr seines 700. Todestages begangen wird, ist Italien besonders dünnhäutig. Mitten in der Pandemie dann noch, die so viele Sicherheiten nimmt. Die Größe des Größten lässt man sich nicht nehmen. Und so brachte es nun ein Artikel aus der Frankfurter Rundschau zu Prominenz, der ebendiese nicht wirklich verdient hätte. Nicht so jedenfalls, nicht in diesem Maße.

Geschrieben hat ihn der Journalist Arno Widmann, 74 Jahre alt, Mitbegründer der taz, später bei der Berliner Zeitung zuständig für die Meinungsseite. Widmann hat einige große Italiener ins Deutsche übersetzt: Umberto Eco und Curzio Malaparte zum Beispiel. Ganz unbedarft ist er also nicht zu Werke gegangen. In seinem langen Text zu Dante und dem Gedenkjahr blendet er ins Mittelalter und kontextualisiert das Schaffen des Florentiners. Für die "Göttliche Komödie", schreibt er, habe sich der Dichter von den provenzalischen Troubadouren jener Zeit inspirieren lassen. Und vielleicht auch von den mystischen Schriften eines arabischen Dichters über die Himmelsreise des Propheten Mohammed. Dazu von einem seiner Lehrer, Brunetto Latini.

Dem Blick der ausländischen Presse wird in Italien übermäßig viel Bedeutung zugemessen

Widmann schließt mit einem Vergleich. William Shakespeares realistische Amoralität erscheine einem um "Lichtjahre moderner als Dantes Bemühen, zu allem eine Meinung zu haben, alles vor den Richterstuhl seiner Moral zu ziehen". Es gehe Dante am Ende darum, die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen zu schieben. Aus dem Bild von Töpfchen und Kröpfchen wurde die Überschrift.

Nun ist es ja nicht so - mit Verlaub! -, dass die Frankfurter Rundschau eine Weltreferenz wäre, sagen wir mal, wie es die New York Times ist. Doch so läuft das immer in Italien: Dem Blick der ausländischen Presse aufs Land wird übermäßig viel und eine oft völlig verschrobene, allgemeingültige Bedeutung zugemessen. Irgendwie fiel die Widmann'sche Verortung Dantes der linksliberalen römischen Zeitung La Repubblica auf. Und die machte, was normalerweise Blätter und Politiker aus dem eher ressentimentgetriebenen, rechtspopulistischen Biotop machen: Sie zwirnte daraus eine latent antideutsche Reflexgeschichte mit dem catchy Titel: "Dante, der unglaubliche Angriff einer deutschen Zeitung". Der "Sommo Poeta" werde in dem Artikel als "Plagiator" und als "Emporkömmling" verunglimpft, "Lichtjahre hinter Shakespeare zurück". Online hieß es im Titel verknappt, der Angriff komme "aus Deutschland".

Die Empörung war groß, und sie nährte sich ganz aus den paar Schlagwörtern "Plagiator", "Emporkömmling", "kein Grund zum Feiern". Diese Begriffe standen zwar nirgendwo in Widmanns Text. Auch war sein Artikel kein "Angriff gegen Dante, Italien und die dantesken Feierlichkeiten", wie La Repubblica behauptet. Aber da tobte der Sturm schon, im Netz vor allem, dann auch in den rechten Zeitungen.

Matteo Salvini von der Lega und Giorgia Meloni von den Postfaschisten sahen das Vaterland beschimpft, und dafür braucht es nie viel. Doch auch der linke Kulturminister des Landes, Dario Franceschini, fühlte sich gedrängt, auf die herbeigedichtete Tirade mit einem Tweet zu reagieren - etwas feiner, mit einem Vers aus dem III. Gesang der Hölle: "Non ragionam di lor, ma guarda e passa." Paraphrasiert: Halten wir uns nicht auf mit ihrer Niederträchtigkeit.

Dann nimmt Roberto Saviano sich der Sache an

Aus Franceschinis Ministerium gab es auch Stimmen, die fanden, die deutschen Amtskollegen sollten sich für das Unerhörte entschuldigen. Wie gesagt: Man hängt hier der irrigen, wenn nicht irrwitzigen Meinung nach, dass das, was in einer deutschen Zeitung steht, gewissermaßen aus dem Bundeskanzleramt kommt. Diese Teutonen wieder! Und schon läuft das alte Derby, Klischees fliegen wie Bälle hin und her. Wegen Dante.

Auch Roberto Saviano hat sich der Sache angenommen, der Autor des Bestsellers "Gomorrha" und seit einiger Zeit Italiens Rundumintellektueller. Saviano schreibt jetzt für den Corriere della Sera, das Konkurrenzblatt der Repubblica, und das ist in diesem Zusammenhang nicht ganz unwesentlich. Als besonderer Kenner Dantes ist er nicht bekannt, wobei das natürlich unfair ist: Jeder Italiener ist Kenner Dantes, jeder hat seinen liebsten Gesang aus der "Divina Commedia", und jeder kann zumindest den ersten Vers auswendig.

Saviano also schreibt, dass die ganze Polemik ein "Betrug" sei, beim Lesen des Artikeloriginals falle die Debatte in sich zusammen. Aber niemand habe sich die Mühe gemacht, das Original zu lesen, nicht einmal der Minister. Saviano hat auch Widmann interviewt. Und der sagt, er habe Dante immer geliebt. In der Jugend war es vor allem der XXVI. Gesang, jener von Odysseus. Und im Alter seien es nun eher die Seiten aus dem Paradies.

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