Irak-Krieg:Der nackte Tod im Netz

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Die Macht der Bilder übt heute vor allem das Internet aus. Seit jeder Soldat ein Fotohandy oder Digitalkameras besitzt, gibt es auch die Kriegspornographie. Ein Frontbericht.

Willi Winkler

Wer die Seite www.nowthatsfuckedup.com (auf Deutsch ungefähr: Das ist wirklich dumm gelaufen, aber auch: bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt) anklickt, wird vom Sheriff Grady Judd von Polk County in Florida begrüßt. Der Sheriff ist ein ernster Mann und versteht keinen Spaß. Deshalb hat er im Herbst 2005 gegen den Betreiber der Seite, den damals 27-jährigen Christopher Wilson, eine Untersuchung wegen "Unzüchtigkeit" angestrengt. Seit 2006 wird die Seite vom Sheriff verwaltet.

Angriff AmeriKa: Szene aus Black Hawk Down (2001): Ridley Scotts Kriegsfilm erinnert an das blutige Debakel der US-Militärs 1993 in Mogadischu. (Foto: ag.ap)

Ehe der Staat eingriff, konnten sich die Nutzer der genannten Seite an Fotos der Frauen und Freundinnen ergötzen, die andere auf der Seite vorzeigten. Die stolz präsentierten Frauen mussten aber wenigstens eine Brust ("mit Nippel") freilegen, damit es auch etwas zu sehen gab, genug jedenfalls, was die zehn Dollar Ansichtsgebühr für drei Monate lohnte.

Leichenbilder mit triumphalischen Kommentaren

Bald stellte sich heraus, dass die im Irak und in Afghanistan stationierten Soldaten zwar ebenfalls gern einen Blick auf die Frauen ihrer Landsmänner geworfen hätten, aber ihre Kreditkarten für den Auslandseinsatz von den Banken nicht autorisiert wurden. Wilson, der den Krieg im Irak unterstützte und auch sonst ein Herz für die Jungs an der Front zeigte, erlaubte ihnen daher kostenlosen Zugang. Als Nachweis wünschte er sich ein Bild, das die Stationierung der Soldaten im Kriegsgebiet belegte. Es kamen: Bilder von lachenden Männern mit Sonnenbrille vor Panzern, Bilder von lachenden Männern, die vor zerschossenen Häusern posierten, Bilder von lachenden siegreichen Amerikanern. Wilson stellte sie alle online, und den Soldaten eröffnete sich der versprochene Blick in fremde Schlafzimmer.

Der Andrang auf der über einen Server in Amsterdam betriebenen Seite nahm jetzt zu, doch richtig populär wurde sie erst, als die Nutzer aus den umkämpften Gebieten noch andere Bilder schickten. Sie stammten ebenfalls von guten Amerikanern, aber es lachte niemand mehr. Da lagen Leichen in ihrem Blut, der Kopf fehlte, sie waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, zerstückelt, aber immer mit triumphalistischen Zeilen beschriftet. Gern wurden auch abgetrennte Gliedmaßen feilgeboten und der Kamerad oder Zivilist draußen an den Bildschirmen wurde gefragt, ob er unter den Leichenteilen der getöteten Feinde einen Arm, ein Bein oder wenigstens eine Hand erkennen könne.

Der Krieg hat noch niemanden zum besseren Menschen gemacht. In der klassischen Erzählung Homers durchbohrt der Grieche Achilles seinem getöteten Gegner Hektor die Sehnen "zwischen Knöchel und Ferse, durchzog sie mit rindernen Riemen, band am Wagen sie fest, dass der Kopf am Boden ihm schleifte, stieg dann selbst auf den Wagen hinauf mit der prächtigen Rüstung, trieb mit geschwungener Geißel die Rosse, die willig entflogen".

Diese körperliche Brutalität wird heute durch eine klinisch saubere Kriegführung weitgehend verdeckt, aber es ist immer noch Krieg, und je zäher er verläuft, desto wichtiger wird Erfolgsnachweis. Der amerikanische Literaturwissenschaftler David Schmid von der Universität Buffalo (Natural Born Celebrities) weist darauf hin, dass Soldaten schon immer mit Souvenirs nach Hause gekommen sind. Es hat sich nur die Form verändert. "Heute haben sie die Möglichkeit, ihre Trophäen in mediale Ereignisse zu übersetzen."

Das Eingreifen der Staatsmacht im Fall Chris Wilson hat nicht verhindert, dass weitere Bilder vom Krieg angeboten werden. Dafür hat sich im Amerikanischen der Begriff "war porn" herausgeprägt, also Kriegspornographie. Er bezeichnet das eigentliche Vergnügen an diesen Bildern: Es macht einigen offenbar nicht bloß einen Heidenspaß, zu töten, es macht noch viel mehr Spaß, sich die Opfer anzuschauen, den Triumph nachzuschmecken.

"Unverhältnismäßige Reaktion"

Der Connaisseur kann sich, nicht anders als bei der richtigen Pornographie im Netz, die Kategorie wählen, mit der er sich belustigen will. Statt "asiatisch" oder "interracial" stehen hier die verschiedenen Helikopter, Panzer, Kanonen und Flugzeuge zur Auswahl. Dabei darf er sicher sein, das er immer gewinnt. Damit auch niemand von dieser harten Aufgabe abgelenkt wird, hämmert das Heavy-Metal-Stück "Let the Bodies Hit the Floor" den Takt dazu.

Die Soldaten, die es mit den Taliban und als Zivilisten getarnten Attentätern aufnehmen müssen, nennen ihren Gewalteinsatz stolz "unverhältnismäßige Reaktion", und auf den Videos, die zum Beispiel auf www.gotwarporn.com laufen, wird mit patriotischem Eifer Mann und Maus, Kind und Haus und Lastwagen niedergemacht. Vom klassischen Video-Ballerspiel unterscheidet sich das Bildmaterial vor allem dadurch, dass die technische Qualität miserabel ist. Doch immerhin erinnert die bescheidene Auflösung der Schwarzweiß-Aufnahmen an den Dokumentationsstil der alten Wochenschauen.

In diesen Filmen gibt es nur eine Richtung: nach vorn, und nur eine Schussrichtung: nach unten, und wie im klassischen Roman behält der Erzähler das letzte Wort. Er bleibt unsichtbar, aber immer Herr über die Handlung. Manchmal ist er zu hören, wenn er sich knarzend mit dem Kopiloten verständigt oder einen Tötungsbefehl einholt. Wuselig klein werden die Menschen, die vielleicht bösartige Kombattanten sind, vielleicht Guerilleros, vielleicht Zivilisten. Der Blick aus der Luft, aus dem Apache-Hubschrauber, macht alle gleich. Der Betrachter, was bleibt ihm übrig, schießt mit. Diese Schau- und Zeigelust ist nicht einzudämmen, die weitherzige Auslegung der Informationsfreiheit in den USA erlaubt kaum den als Zensur verdächtigten Eingriff.

Das amerikanische Verteidigungsministerium, das auf eine Anfrage der SZ nicht reagierte, versucht die schlimmsten Bilder aus dem Netz fernzuhalten. Die Internetplattform Youtube, die im Mai einen neuen Rekord von 14,6 Milliarden Zugriffen erzielte, nimmt, so sie denn gemeldet werden, Videos, "die schockieren, die Ekel erregen sollen", aus dem Angebot. Tote werden nur gezeigt, wenn sich die Szene nachrichtlich verstehen lässt, wie vor einem Jahr im Fall der ermordeten iranischen Studentin Neda. Die Szene war mit einem Handy aufgenommen und fand durch das Internet weltweite Verbreitung, dass sogar Barack Obama das Video, das Neda blutüberströmt im Sterben zeigt, als "herzzerreißend" einordnete.

Drastische Bilder nicht gut für Kampfmoral

Die Macht kommt aus den Gewehrläufen, wie Mao Tse-tung, der große Stratege des asymmetrischen Krieges, nur zu genau wusste, und die Fotografie unterstützt diesen einseitigen Kampf, seit es sie überhaupt gibt. Die ernüchternde Erfahrung aus dem Vietnamkrieg, dass drastische Bilder vom Krieg die Kampfmoral nicht unbedingt stärken, hat dafür gesorgt, dass von offizieller Seite möglichst keine abträglichen Bilder nach Hause gelangen.

Als wollte es selber vor dem Krieg und seinen Folgen warnen, zeigt das Department of Defense auf seiner Website Szenen aus den "Warrior Games". Soldaten, Männer und Frauen gemischt, rutschen auf dem Boden herum und versuchen, einen Ball über die Schnur zu schlagen. Erst die Verbrüderung nach dem Siegjubel gibt Aufschluss über dieses seltsame Spiel: es sind allesamt Versehrte, Soldaten, die ein halbes, ein ganzes, vielleicht auch beide Beine eingebüßt haben.

Chris Wilson konnte sich schließlich mit dem Richter auf einen Deal verständigen: Er verpflichtete sich, fünf Jahre lang keine nackten Frauen mehr zu zeigen. Inzwischen ist er wieder im Geschäft und führt sein Gewerbe auf einer anderen Seite fort, mit der er - was sonst? - die "Wirklichkeit dokumentieren" will. Für die Schaulustigen gibt es jetzt nicht bloß Kriegsopfer zu sehen, sondern Tote aus allen Erdteilen, ganz gleich ob sie in einem Bürgerkrieg umkamen oder bei einem Verkehrsunfall. Hauptsache, es sieht schlimm aus. Auf dieser Seite, so erklärt der geläuterte Wilson, gebe es keine Pornographie oder "Präsentation von Nacktheit". Er meint es ernst: "Bitte schicken Sie nichts mit tierischer Grausamkeit oder Bilder, auf denen Tiere gequält werden."

© SZ vom 26.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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