Investigativer Journalismus:Unter Beweisnot

In London steht ein rumänischer Journalist vor Gericht. Es geht um einen aserbaidschanischen Geschäftsmann - und um einen Bestechungsskandal.

Von Karoline Meta Beisel

Internationale Medien berichteten im Herbst 2017 über ein System aus Geldwäsche- und Bestechungszahlungen an europäische Politiker und Lobbyisten, in die Mitglieder der aserbaidschanischen Oberschicht verwickelt waren. Das sorgte auch außerhalb von Baku für Aufsehen: So mussten 16 Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats das Gremium verlassen. Ihnen wurde vorgeworfen, im Gegenzug für wohlwollende Beurteilungen der Menschenrechtslage im Land Geld angenommen zu haben.

Nun aber könnte das Thema auch für Journalisten ein Nachspiel haben, die mit der Veröffentlichung zu tun hatten: Am Dienstag steht in London ein rumänischer Journalist vor Gericht. Der Kläger ist ein aserbaidschanischer Geschäftsmann und Abgeordneter. Die Artikel, um die es geht, implizieren, dass er möglicherweise Verbindungen hatte zu dem Bestechungsskandal. Der Kläger hat die Vorwürfe zurückgewiesen - und klagt wegen Verleumdung.

Bei welchem Gericht rechnen sich Klienten die besten Erfolgschancen aus?

Der Fall ist bemerkenswert: Auch, weil der beklagte Journalist keinen der Artikel, um die es geht, selbst geschrieben hat. Paul Radu ist einer der Gründer des OCCRP, des "Organized Crime and Corruption Reporting Projects", einer Plattform, in der sich investigative Journalisten zusammengeschlossen haben, die zu Korruption und organisiertem Verbrechen recherchieren. 2017 hatte Radu Zugang zu einer großen Masse Bankdaten erhalten, die er zur weiteren Auswertung über das OCCRP-Netzwerk Journalisten in verschiedenen Ländern zur Verfügung stellte. An den Recherchen und Veröffentlichungen zum sogenannten "Azerbaijani Laundromat" waren damals neben OCCRP selbst unter anderem Le Monde, der Guardian, der Tagesanzeiger, die dänische Zeitung Berlingske und die Süddeutsche Zeitung beteiligt.

Radus Aufgabe dabei war es, die beteiligten Medien auszuwählen und deren Arbeit in der Folge zu koordinieren. Als Autor trat er nicht auf, die zwei Artikel, wegen derer er nun in London vor Gericht steht, haben andere geschrieben: der Amerikaner Drew Sullivan, der zugleich Mitgründer des OCCRP ist, und eine Journalistin aus Bosnien. Warum nun aber ausgerechnet Radu vor Gericht steht? Sullivan glaubt, die Antwort zu kennen: "Sie haben sich Paul ausgesucht, weil er in der EU lebt, sagt er. Nicht-EU-Bürger könnten vor europäischen Gerichten viel schwerer verklagt werden. "Es handelt sich ganz offensichtlich um einen krassen Fall von Forum Shopping. Dieser Fall hätte von dem Gericht nie akzeptiert werden dürfen."

"Forum Shopping" nennt man die bei Anwälten beliebte Praxis, sich unter mehreren möglichen Gerichten jenes auswählen, vor dem sich ihre Klienten die besten Erfolgschancen ausrechnen könnten. Daran ist prinzipiell nichts auszusetzen: Aus Anwaltssicht gehört die Empfehlung, welches Gericht in diesem Sinne das beste ist, zur Beratung dazu.

In Großbritannien gilt: Schreibe nur, was du vor Gericht beweisen kannst

London gilt seit Langem als "Verleumdungshauptstadt", weil dort die Beweislast für Journalisten vor Gericht besonders ungünstig ist. "Schreibe nicht, was die Wahrheit ist. Schreibe, was du vor Gericht beweisen kannst", lautet ein Tipp unter britischen Journalisten. Beobachter glauben, dass die strengere Rechtslage in Großbritannien auch einer der Gründe dafür ist, warum dort im Zuge der MeToo-Debatte weit weniger über Fälle von sexueller Belästigung durch Prominente berichtet wurde, als etwa in den USA. Weil aber auch in London auffiel, dass vor den dortigen Gerichten viele Presserechtsverfahren aufliefen, die mit der dortigen eigentlich gar nichts zu tun hatten, wurde dort 2013 ein Gesetz erlassen, das genauere Vorschriften macht, in welchen Fällen jemand in Großbritannien wegen Verleumdung verklagt werden kann. Seit 2014 dürfen die Gerichte eine Verleumdungsklage nur noch zur Verhandlung annehmen, wenn sie glauben, dass England "offenkundig der geeignetste Ort ist, gegen die Äußerung vorzugehen", wie es im Gesetzestext heißt.

Seitdem sei die Zahl der Verleumdungsklagen vor britischen Gerichten deutlich zurückgegangen, sagt Jodie Ginsberg von der britischen Organisation Index on Censorship, die sich für freie Meinungsäußerung einsetzt. "Der Fall um OCCRP zeigt aber, dass es nicht gelungen ist, Forum Shopping insgesamt zu verhindern", sagt Ginsberg. Es bereite ihr Sorge, dass "Reiche und Korrupte nun versuchen, kritische Berichterstattung auf anderen Wegen zu verhindern", etwa unter Verweis auf angebliche Datenschutzverstöße.

Drew Sullivan glaubt gar, dass ein weiteres Gesetz nötig wäre, um zu unterbinden, dass Klagen zur Einschüchterung erhoben werden: "Solange es so ein Gesetz nicht gibt, sind die britischen Gerichte nicht nur für britische Reporter eine Gefahr, sondern schaden dem Journalismus auf der ganzen Welt."

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