Investigative Journalisten tagen in Rio:Eine Familie, die wächst

Sie bringen Mörderbanden zur Strecke oder legen sich mit Despoten in Bananenrepubliken an: Investigative Journalisten unternehmen viel für eine bessere Welt, auch wenn sie dabei Leib und Leben riskieren. Und sie werden mehr, wie sich auf einer Konferenz in Rio de Janeiro zeigte.

Von Thomas Schuler, Rio de Janeiro

Reportern sieht man ihren Mut nicht an. Nicht die Mühen, nicht die Hartnäckigkeit. Stephan Hofstatter wirkt klein und zurückhaltend, wie er da auf der Bühne des Auditoriums der päpstlichen Universität in Rio de Janeiro mit dem Mikro hantiert und in einer Power-Point-Präsentation sein methodisches Vorgehen darlegt.

Er könnte als Priester, Lehrer oder Wissenschaftler durchgehen, berichtete er nicht davon, wie er mit zwei Kollegen und einer Portion Todesmut mehr als ein Jahr eine Mörderbande jagte - und zur Strecke brachte.

Es war ein Tabuthema in Südafrika, die Killer gelten da als "die Guten", wie der Reporter der Sunday Times sagt. Er enthüllte, wie eine Polizeieinheit drauflos mordete und die Taten stets als Notwehr ausgab. Die Opfer waren Taxifahrer, die einem Konkurrenten im Weg standen. Er wirft Bilder regelrechter Hinrichtungen an die Wand. Ausgangspunkt der Recherche war ein Hinweis eines Polizisten. Brisant war die Nähe zur Macht, weil die Opfer offenbar einem Taxi-Unternehmer mit guten Kontakten zum Präsidenten im Weg standen.

Bis Hofstatter mit seinen Kollegen "Cato Manor: Inside a South African Police Death Squad" 2011 in der Sunday Times veröffentlichte, war es ein langer, mühsamer Weg. Ein ganzes Jahr sammelten sie Belege und trafen trotz Überwachung Informanten. Sie erfuhren, dass vier Mörder auf sie angesetzt seien und mussten Bodyguards anheuern. Ihre Recherchen lösten Ermittlungen aus, 30 Polizisten wurden angeklagt, einige wegen Mordes. Nach der Präsentation herrscht respektvolle Stille.

Dann berichtet Khadija Ismayilova, wie sie für das Organized Crime and Corruption Reporting Project, Radio Free Europe und dem Czech Center for Investigative Journalism über Korruption in Aserbaidschan recherchierte. Weil sie die Familie des Präsidenten ins Visier nahm, wurde ihr hart zugesetzt.

Die Feigheit der etablierten Medien

Ein anonymer Brief enthielt intime Bilder von ihr, aufgenommen mit versteckter Kamera in ihrem Schlafzimmer, dazu eine Warnung, sich zurückzuhalten oder bloßgestellt zu werden. Doch sie gab nicht auf, machte den Angriff öffentlich und spricht in Rio davon, dass ihr zu Hause Haft drohe, sie aber trotz der Gefahr für ihr Leben weiter Missstände aufdecken will. Kollegen applaudieren.

Vier Tage lang trafen sich in Rio de Janeiro inmitten exotischer Urwaldbäume in Hörsälen und Seminarräumen Hunderte investigativer Journalisten aus aller Welt, um über ihre Recherchen zu sprechen, über handwerkliches Vorgehen und kommende gemeinsame Projekte. Um Kontakte, Visitenkarten und Quellen zu tauschen, und um in Workshops über Datenjournalismus, über Suchstrategien im Netz und halbwegs sichere Wege der Kommunikation zu lernen.

Die Teilnehmer lauschten dem Reporter Glenn Greenwald, der über seine NSA-Enthüllungen sprach und etablierten Medien vorwarf, dass Angst und Feigheit zu ihrer Identität gehörten. Dass am Tag danach angekündigt wurde, Greenwald arbeite bald für eine von Ebay-Gründer Pierre Omidyar gestiftete digitale Plattform, scheint da nur folgerichtig.

Wichtiger Weg zur Förderung der Demokratie

Die systematische Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg ist ein neues Phänomen. Lange Zeit waren es vor allem Amerikaner und Skandinavier, die sich regelmäßig trafen und über Recherche sprachen. 2001 und 2003 fanden die ersten Weltkonferenzen in Kopenhagen statt, damals trafen sich 300 Journalisten. Nach Rio kamen 1300, darunter 400 Nachwuchsjournalisten.

2015 wird die Konferenz zum zweiten mal in Norwegen stattfinden; ein Grund dafür ist die finanzielle Unterstützung Norwegens. Das Land betrachtet investigativen Journalismus als wichtigen Weg, Demokratie zu fördern. Aus dem gleichen Grund engagieren sich Unesco, Transparency International, Stiftungen wie die Ford und Open Society Foundation sowie Omidyar Network. Auch Google Ideas und Al-Jazeera gaben Geld.

Das deutsche Netzwerk Recherche war eines der Gründungsmitglieder des Welttreffens, aber erstmals war diesmal eine größere Zahl von deutschen Journalisten vor Ort, die Stern, Spiegel, den Springer-Verlag, die Funke-Gruppe und die ARD vertraten. Wenn die Kollegen aus China, der ehemaligen Sowjetunion und Afrika von Drohungen und Angriffen berichteten, kamen sie sich klein vor mit ihren Sorgen über die langen Wartezeiten der Informationsfreiheitsgesetze.

Global sei die Veröffentlichung großer Datenpakete der neue Trend, sagt David Leigh, der für jahrzehntelange Arbeit als investigativer Journalist des Guardian für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Gleich geblieben sei, dass man Missstände aufdecke und Täter zur Verantwortung ziehe.

Beiträge aus Südafrika und Aserbaidschan wurden mit dem Shining Light Award ausgezeichnet. Die hohe Qualität der 65 eingereichten Beiträge aus 28 Ländern zeige, wie sehr sich investigativer Journalismus in aller Welt verbreitet habe, sagt David E. Kaplan, der Direktor des Global Investigative Journalism Network, das die Konferenz organisierte.

Wahr ist aber auch, dass in China oder arabischen Ländern Zensur und Behinderungen zugenommen haben und Pressefreiheit weiter eingeschränkt wurde. "Es wird schlimmer, bevor es besser wird", sagt Yuen Ying Chan, Journalismus-Professorin in Hongkong, über die Lage in China. So könnte man Berichte aus vielen Schwellenländern zusammenfassen. Hoffnung setzt sie in die massenhafte Verbreitung von Smartphones, die der Masse Zugang zu Informationen ermöglichten.

Reporterglück lässt sich erzwingen

Mark Lee Hunter, ein in Paris lebender Amerikaner, hat seinen Anteil an der Verbreitung des investigativen Journalismus. Sein Lehrbuch Storybased Inquiry ist seit 2009 in acht Sprachen erschienen (auch auf Arabisch, Chinesisch und Russisch). Weil das Ebook von der Unesco finanziert wurde und kostenlos abgerufen werden kann, avancierte es zum wahrscheinlich am weitesten verbreiteten Lehrbuch.

Hunter rät dazu, Thesen zu bilden, öffentlich zugängliche Quellen anzuzapfen und nach Belegen zu suchen. Ziel sei, eine aktive Rolle einzunehmen und nicht auf den Tipp eines geheimnisvollen Informanten oder einen Zufall angewiesen zu sein. Die Botschaft: Reporterglück lässt sich erzwingen. Irgendwann tauchten auch Insider und Whistleblower auf. Oder man stoße von selbst auf das Geheimnis.

Es klingt so einfach, was tatsächlich sehr aufwendig, kompliziert, frustrierend und zeitraubend sein kann. "Investigativer Journalismus ist ein Beruf und eine Reihe von Fertigkeiten", sagt Mark Lee Hunter. "Es ist außerdem eine Familie, die wächst."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: