Interview mit Werbeforscher:"Der Marlboro-Mann war eine rauchende Alice Schwarzer"

Interview mit Werbeforscher: Eine Werbefigur versinkt im Qualm: der Marlboro-Mann.

Eine Werbefigur versinkt im Qualm: der Marlboro-Mann.

(Foto: dpa)

Werbeforscher Guido Zurstiege erklärt, mit welchen sprachlichen Tricks sich die Tabakindustrie gegen Kritik abschottet.

Interview von Johanna Bruckner

Der Marlboro-Mann ist tot. Es lebe der weibliche Cowboy mit E-Zigarette! So ähnlich titelte im vergangenen Jahr eine große deutsche Boulevardzeitung. Was ist passiert in der Tabakwerbung, deren Motive und Ästhetik lange unverwechselbar waren? Und was hat das mit unserer Gesellschaft zu tun? Guido Zurstiege ist Professor für Medienwissenschaft an der Uni Tübingen und forscht zum Thema Werbung. Ein Gespräch über linguistische Finessen in der Tabakwerbung, Schockfotos auf Zigarettenschachteln - und den Marlboro-Mann als feministische Figur.

SZ.de: Herr Zurstiege, Rauchen ist in vielen Gaststätten verboten, am Bahnsteig müssen sich Raucher in Glaskästen drängen und demnächst prangen schwarze Lungen auf Zigarettenpackungen. Wie passt das noch zur klassischen Tabakwerbung, die doch die große Freiheit verspricht?

Guido Zurstiege: Die Tabakkonzerne haben reagiert - mit einer "Jetzt erst recht"-Rhetorik. Kurze Slogans wie "Ich rauche gern" nehmen die Frage "Warum tust du das?" vorweg, Rechtfertigungsdiskurse werden im Keim erstickt. Oder die Zigarettenmarken arbeiten mit einer Begründungslogik, die auf sich selbst zurückgeht: "Ich bin, wer ich bin", "Ich rauche, weil ich rauche". Diese Begründungsformen sind immun gegenüber Kritik. Manchmal liest man auch: "Sei anders" - impliziert wird "Und steh zu deinem Anderssein". Oder: "Triff deine Entscheidung" - natürlich ist damit gemeint "Du kannst auch die Entscheidung treffen, zu rauchen". Es bleibt also bei der Freiheit, aber es ist eine Freiheit der Wahl.

Solche versteckten Botschaften wirken?

Es sind linguistische Finessen, aber sie sind sehr effizient. Ich halte sie insbesondere in Bezug auf junge Menschen für hochproblematisch. Jugendliche, die gerade angefangen haben zu rauchen oder anfangen wollen, befinden sich in einer defensiven Position: Sie müssen ihren Eltern, Großeltern, vielleicht auch Freunden erklären, warum sie das tun. Die Tabakwerbung gibt ihnen kleine, aber hocheffektive argumentative Waffen an die Hand, mit denen sie sich abschotten können. Und natürlich ist Tabakwerbung nach wie vor Lifestyle-Werbung: Es wird ein Lebensgefühl von Freiheit, Abenteuer und Gemeinschaft transportiert.

Freiheit und Abenteuer - dafür stand lange der Marlboro-Mann, der niemandem außer sich selbst Rechenschaft schuldig war.

Ja. Interessanterweise war der Marlboro-Mann nicht immer vor allem eine Identifikationsfigur für männliche Bürohengste. Ursprünglich, also Mitte der Fünfzigerjahre, sollte er zunächst einmal Frauen ansprechen. Ganze Generationen von Frauen wollten sich damals eine neue Position in der Gesellschaft erkämpfen. Für sie wurde eine Form von Männlichkeit geschaffen, die ihnen als Vorbild dienen konnte.

Ein Cowboy als Vorkämpfer für die gleichberechtigte Frau?

Der freiheitsliebende, auf seine Unabhängigkeit bedachte Marlboro-Mann war eine rauchende Alice Schwarzer auf einem Pferd. Edward Bernays, der als Erfinder der Public Relations gilt, schickte damals rauchende Frauen auf den Broadway und schrieb darüber: "Torches of Freedom". Also: Zigaretten als "Fackeln der Freiheit".

Und das funktionierte?

Gucken Sie sich doch nur mal an, wie groß die Empörung bei vielen Rauchern war, als das Rauchverbot in Gaststätten kam - die fühlten sich in ihrer persönlichen Freiheit beschnitten. Werbung wirkt nur dann, wenn sie uns Bilder zeigt, die tatsächlich ein gesellschaftliches Bedürfnis treffen, also etwas ansprechen, das für große Teile der Zielgruppe wichtig ist. Deshalb war der Marlboro-Mann über Jahrzehnte erfolgreich: weil er immer wieder das Versprechen von größtmöglicher persönlicher Freiheit gab, das sich allein bei all den Verpflichtungen, die wie haben, nie ganz erfüllen lässt.

"Raucher blenden Schockfotos einfach aus"

Comic-Held Lucky Luke war Raucher, bevor ihm statt einer Zigarette ein Grashalm in den Mund gezeichnet wurde. Wie wichtig ist die Popkultur für den Erfolg der Tabakwerbung?

Tabakwerbung steht seit Jahrzehnten in der Kritik und wurde immer weiter eingeschränkt. Die Tabakkonzerne bemühen sich deshalb seit längerem intensiv darum, den Rahmen der klassischen Werbung zu verlassen und ein integraler Bestandteil der Populärkultur zu werden. Große Teile der Populärkultur sind, ich neige dazu zu sagen: infiltriert von der Tabakindustrie.

Haben Sie ein Beispiel?

Ich glaube, es ist kein Zufall, dass man im Laufe der fortschreitenden Kritik an Tabakprodukten seit den Siebzigerjahren immer mehr rauchende Menschen in Filmen sah. Oder Promo-Aktionen für Zigarettenmarken auf Konzerten und Stadtfesten stattfanden. Das ist eine Ausweichbewegung. Nehmen Sie den Motorsport: Bis vor einigen Jahren war Marlboro für viele Menschen ganz eng mit dem Erlebnis Formel 1 verknüpft - obwohl Marlboro kein Autohersteller ist, sondern eine Zigarettenmarke.

Trotzdem wird der Raucher immer weiter aus dem öffentlichen Bild zurückgedrängt. Ist das allein ein Erfolg der Nichtraucherlobby, oder steckt mehr dahinter?

Es gibt zum Glück mittlerweile eine starke Gegenbewegung. Die Tabakindustrie hat über Jahrzehnte massiv in Forschungsdiskurse eingegriffen, Druck auf Wissenschaftler ausgeübt und immer wieder infrage gestellt: Ist das eigentlich wirklich gefährlich? Ich kann mich noch an Reklame erinnern, die für "gesündere Zigaretten" warb. Die Risiken des Rauches abzustreiten, hat lange gut funktioniert für die Tabakindustrie - aber das klappt heute nicht mehr. Es hat ein ganz enormer Zuwachs an Wissen stattgefunden - und damit einhergehend ein Bewusstseinswandel auf Seiten der Bevölkerung. Der hat mit Zigaretten erst mal gar nichts zu tun, aber mit einer anderen Einstellung zum Thema Gesundheit und Fitness.

Dazu passt, dass demnächst auf Zigarettenpackungen Schockfotos abgedruckt sein werden, die vor den Folgen des Rauchens warnen.

Die Wirkung solcher Angstappelle ist wissenschaftlich umstritten.

Warum?

Angstappelle wirken nur, wenn ihnen ein Lösungsszenario gegenübergestellt wird - das ist auf dem begrenzten Platz einer Zigarettenschachtel nicht möglich. Raucher verlagern sich also womöglich auf eine Vermeidungsstrategie: Sie blenden die Fotos einfach aus oder machen sich darüber lustig. Die Tabakindustrie will solche Schockaufnahmen natürlich trotzdem verhindern. Mitunter heißt es dann, auch in vermeintlich wissenschaftlichen Studien: Angstappelle bewirkten genau das Gegenteil, weil sich die Raucher in ihrer Lebensführung angegriffen fühlten und sich gegenseitig in ihrem Verhalten bestätigten. Fakt ist aber: Angstappelle schaden auch nicht - Zigaretten tun es.

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