Journalismus:Der Wert der Interview-Autorisierung

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Viele Fragen, keine Antworten: Steingart-Interview im Journalist. (Foto: Jörg Buschmann)

Der Journalist Gabor Steingart zieht ein Interview zurück, das Branchenblatt "Journalist" kritisiert den Missbrauch der Autorisierung. Warum die umstrittene Praxis trotzdem wertvoll ist.

Von Harald Hordych

Im Journalist hat der Journalist Gabor Steingart ein großes Interview gegeben. Steingart hat im Mai die Media Pioneer Publishing gegründet, eine Nachrichtenplattform, die sich ohne Werbung tragen soll, und an der sich Springer mit angeblich 15 Millionen Euro beteiligt. Steingart hat einen Neustart für unabhängigen Journalismus angekündigt. Steingart war Spiegel-Hauptstadtchef, er war erst Chefredakteur und dann Herausgeber des Handelsblatts, bevor sich Verleger Dieter von Holtzbrinck von ihm getrennt hat. Steingart, 57, ist ein scharfzüngiger Meinungsmacher. Es verspricht also ein besonderes Interview zu werden, und das wird es auch, weil alle Antworten Gabor Steingarts von fetten schwarzen Linien geschwärzt wurden.

Damit rückt wieder mal die umstrittene Praxis der Autorisierung von Interviews in den Fokus. Für viele Printjournalisten ist sie die Pest, sie fühlen sich gegängelt und den Launen des Interviewten ausgeliefert. Die Frage ist, ob über diesen mitunter berechtigten Klagen die Vorteile, welche die Autorisierung für beide Seiten haben kann, nicht allzu leicht übersehen werden.

Der Journalist wird vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) herausgegeben, das ist neben der Deutschen Journalistinnen und Journalisten-Union (dju) eine der beiden wichtigen Gewerkschaftsvertretungen fest angestellter wie freiberuflicher Journalisten. Der Journalist führt gern mit wichtigen Vertretern der Branche Interviews, die sich mitunter zu Fachgesprächen ausweiten, aber das ist bei jedem Branchenblatt so.

Diesmal aber fiel das Fachsimpeln aus. Dem Journalist ist ausgerechnet mit einem Kollegen etwas passiert, was Journalisten sonst mit prominenteren, nicht aus dem eigenen Fach stammenden Gesprächspartnern widerfahren kann: "Da schickte Gabor Steingart", schreibt Journalist-Chefredakteur Matthias Daniel im Editorial, "plötzlich eine Version zurück, die mit dem tatsächlich geführten Interview an vielen Stellen nichts mehr zu tun hatte. Als wir seine Änderungen ablehnten, zog er das Interview komplett zurück." Die SZ-Anfrage nach den Gründen für den Rückzug des Interviews ließ Gabor Steingart unbeantwortet.

Die von Steingart zurückgesandte autorisierte Fassung, sprich die versuchten Eingriffe, hatten für Daniel nichts mit Autorisierung zu tun, "sondern waren aus unserer Sicht schlichtes Um- und Neuschreiben". Das alles unter der Überschrift "(K)ein Interview mit Gabor Steingart". 34 Fragen stehen jetzt im Journalist. Lange und kurze. Einfühlsame und provokante. Gute Fragen, die Antworten hätte man gern gelesen.

Die Autorisierung von Wortlaut-Interviews in Deutschland ist im internationalen Vergleich ein ziemlich einmaliges Prozedere. In kaum einem anderen Land der Welt darf sich der Interviewte Änderungen vorbehalten. Was einfach klingt, kann mit jeder Menge Ärger einhergehen: Der Interviewte schreibt jede seiner Antworten um, versucht zu glätten, wo er eine rauere Ausdrucksweise gewählt hat, lässt sich was Witziges einfallen, wo er eigentlich recht schlicht geantwortet hat, oder er streicht einfach, wenn er etwas Provokantes, Neues oder Konfrontatives von sich gegeben hat, also ausgerechnet die interessanten Stellen. Das sind die bekannten Schwachpunkte der Wortlaut-Autorisierung.

Der DJV hat deshalb Richtlinien herausgegeben, die darauf abzielen, solchen Missbrauch zu vermeiden. Eigentlich dienen Autorisierungen für den DJV "der sachlichen Korrektheit, der Sinnwahrung und sprachlichen Klarheit. Änderungen müssen sich darauf beschränken". Wichtig: Die Authentizität eines mündlich geführten Gesprächs muss gewahrt bleiben. Schließlich erweckt das Wortlaut-Interview, dieses Wechselspiel von Frage und Antwort, ja auch den Eindruck, dass der Leser einem authentischen, spontanen Gespräch beiwohnt. Das Ganze ist eine Art Spiel, auf das sich Frager und Befragter einlassen.

Und dann spielt sogar einer aus der eigenen Zunft nicht mit, das ist bitter.

Nur ein paar Tage später machte die Thüringer Allgemeine etwas Ähnliches, diesmal lautet die Überschrift: "Kein Interview mit Björn Höcke". Der Landessprecher der AfD Thüringen hatte kurzfristig einen vereinbarten Interviewtermin abgesagt, den die Tageszeitung fest eingeplant hatte - so wie für alle Spitzenkandidaten aller Landtagsparteien vor der Wahl am 27. Oktober. Dort wo das Interview gedruckt werden sollte, blieb die Seite 2 der Tageszeitung leer. Man erinnert sich: Erst kürzlich hatte Höcke ein Gespräch mit dem ZDF abgebrochen, weil ihm die Fragen nicht gepasst hatten.

Journalisten machen sich den Wert des Zitates zunutze und glänzen mit direkten Aussagen

Aus den Aktionen beim Journalist und der Thüringer Allgemeinen spricht zweierlei: Erstens will man dokumentieren, dass man sehr wohl ein Gespräch führen wollte, weil es professionell geboten ist, Gabor Steingart zu seinem ungewöhnlichen neuen journalistischen Projekt zu befragen. Bei Höcke, um zu zeigen, dass man die AfD nicht außen vor lassen wollte. Zweitens schwingt unterschwellig - ob man nun will oder nicht - auch ein gewisses Beleidigtsein mit, weil man die Arbeit von Journalisten nicht genügend respektiert wähnt, es hat etwas von Ätschibätschi.

Dieser theaterhaft anmutende Auftritt mit geschwärzten Antworten und weißen Seiten - vor allem im Fall Steingart - stellt aber ganz nebenbei wieder mal auch die eingeübte Praxis der Autorisierung infrage. Und bestätigt damit, ob gewollt oder ungewollt, viele Kritiker, welche die Autorisierung als Zensur von Seiten des Interviewten geißeln. Gerade Fernsehjournalisten mokieren sich über diese Praxis, weil bei einer Fernsehaufzeichnung das gesprochene Wort gilt. Und niemand hinterher streichen kann, was er einmal gesagt hat.

Besser formulierte Fragen kann sich der TV-Interviewer auch nicht einfallen lassen. Wenn die Kamera läuft, ist Showtime.

Dass sich jemand den Fragen eines Journalisten stellt und zu seinen Antworten im Kern der Aussage auch im Printinterview stehen muss, sollte jedem Gesprächspartner klar sein. Aber das Schwärzen von Interviews oder der Abdruck leerer Seiten sollte keine neue Mode werden, weil mit solchen Spielereien die positiven Seiten der Autorisierung leichtfertig in Misskredit gebracht werden. Ja, Print ist nicht Fernsehen. Das ist ein Manko, aber auch ein Vorteil: Das Gespräch kann offener verlaufen, vertraulicher, der Gesprächspartner weiß, dass er danach noch mal gegenlesen darf, um überprüfen zu können, wie seine Worte wirken. Er muss sich nicht professionell zurückhalten.

Dieses Wissen hat schon vielen gedruckten Interviews zu einem enormen Reichtum verholfen, auch Reichtum an Ehrlichkeit und pointierten Erkenntnissen, die selbst das Gegenlesen und Freigeben ohne Abstriche überstanden haben.

Die Autorisierung gibt davon abgesehen dem Journalisten die Chance, Fragen umzustellen, Antworten zu raffen, manches einfacher, auch besser auszudrücken, als es dem Gesprächspartner im Eifer des Gefechts über die Lippen gekommen ist. Der Gefahr, das Gespräch zu verfälschen, beugt man vor, weil der Befragte dieses in Form gebrachte Interview selbst absegnet.

Schließlich geht es um seine direkt wiedergegebenen Worte. Es schadet nicht, das Interview mal aus Sicht des Interviewten zu betrachten: Es besteht nur aus Zitaten, also aus wörtlichen Aussagen, auf die der Befragte immer wieder angesprochen werden kann, nach dem Motto: Sie haben doch damals in der Zeitung wortwörtlich gesagt! Diesen hohen Wert des Zitats machen sich Journalisten zunutze. Sie glänzen mit unverfälschten, direkten Aussagen. Da ist es nur fair, dass der Interviewte die Wirkung seiner Worte nach dem Gespräch überprüfen darf. Die Autorisierung hat sicherlich mehr offen geführte Gespräche ermöglicht als verhindert.

Lehrreich ist es allerdings schon für alle Journalisten: Sie sollten den Mut haben, ihrerseits Interviews nicht abzudrucken, wenn der Gesprächspartner seine Aussagen massiv verändert, verwässert und gerade die Antworten nach kritischen Fragen um ihren Erkenntniswert bringt. Kurios, dass ausgerechnet ein Profi wie Steingart nun für ein Exempel herhalten muss, das dem Journalist offenkundig wichtig war.

Die gefälschten Interviews von Tom Kummer, erschienen in den 1990er-Jahren im SZ-Magazin, und jenes eine von Claas Relotius 2018 im Spiegel waren übrigens allesamt vom Gesprächspartner nicht autorisiert. Auch das macht die oft mühselige Praxis der Autorisierung bei allem Ärger, den sie auslösen kann, zu einem im Kern wertvollen Instrument. Niemand kann hinterher sagen: Das habe ich so nie gesagt.

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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