Süddeutsche Zeitung

Interview: Amazon Video:Platz für alle?

Jay Marine, Europachef von Amazon Video, über den Serien-Boom, Fußball und harte Konkurrenz.

Interview von Nicolas Freund

Vor etwas mehr als drei Jahren schloss der Online-Händler Amazon sein Prime-Angebot für schnellere Lieferungen mit seiner Onlinevideothek Lovefilm zusammen; seither ist Amazon Video der aggressivste Konkurrent von Netflix auf dem Markt der Streaminganbieter, produziert eigene Serien wie Transparent oder The Man in the High Castle. Mit der Autoshow The Grand Tour, Nachfolger der BBC-Show Top Gear, oder der deutschen Serie You Are Wanted versucht man sich auch auf dem europäischen Produktionsmarkt. Seit einigen Tagen gibt es ein weiteres Angebot, mit dem die US-Firma den deutschen Sendern Konkurrenz machen will: Bei Amazon kann man nicht mehr nur einzelne Serien streamen, sondern auch ganze Kanäle abonnieren.

SZ: Herr Marine, seit einigen Tagen bietet Amazon in Deutschland einen neuen Service an, Amazon Channels, über den man einzelne Pay-TV-Kanäle anderer Anbieter abonnieren kann. Wozu braucht es diesen neuen Service?

Jay Marine: Bei "Channels" geht es darum, dem Zuschauer mehr Auswahl zu geben. Man muss sich nicht festlegen, kann es kostenlos ausprobieren und monatlich kündigen. Alles ist sehr kundenfreundlich in der Amazon-Video-App verfügbar. Wir bei Amazon haben festgestellt, dass eine größere Auswahl und weniger Hürden für den Zuschauer die Nutzung erhöhen.

Der Pay-TV-Markt in Deutschland gilt nach wie vor als schwierig. Denken Sie, Amazon könnte erfolgreich sein, wo andere seit Jahren Probleme haben?

Die Deutschen wollen für Fernsehen nicht bezahlen, heißt es immer. Wir haben genau die gegenteilige Erfahrung gemacht. Die Akzeptanz von Prime Video in Deutschland hat unsere Erwartungen weit übertroffen, wir sind in allen großen Erhebungen die Nummer eins in Deutschland. Das hätte auch ganz anders laufen können.

Woher wollen Sie wissen, dass Kunden Amazon Prime wegen der Videos abonnieren und nicht, weil sie ihre Päckchen schneller haben möchten?

Wir wissen ja, was die Kunden streamen. Wir haben festgestellt, dass Kunden, die in ihrem Probemonat Videos ansehen, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ihr Abo verlängern. Prime-Video-Abonnenten nutzen den Service regelmäßig. Das zeigt für uns, dass unser Konzept funktioniert und dass es sich lohnt, in den deutschen Markt zu investieren.

Amazon ist dafür bekannt, sich mit aggressiven Strategien Marktanteile zu erkämpfen. Ist Channels ein Angriff auf andere Pay-TV-Anbieter wie Sky?

Nein, wir bieten Channels den Kunden an, nicht den Mitbewerbern.

Bei Sky sieht man das wahrscheinlich anders.

Das weiß ich nicht. In den Medien wird gerne dieses Bild von Unternehmen A gegen Unternehmen B beschworen. Aber unsere Marktsegmente, wie zum Beispiel das Videostreaming, sind sehr groß. Da ist Platz für mehr als einen Gewinner. Und wir mögen das so, denn ansonsten ist es unwahrscheinlich, dass man selbst zu den Gewinnern gehört.

Welcher Markt ist am schwierigsten in Europa?

Ich kann nur für Amazon Video sprechen, nicht den ganzen Konzern, aber wir sind in den verschiedenen Ländern unterschiedlich weit. Großbritannien ist ein großer Markt und für uns sehr wichtig. Die Autosendung The Grand Tour war dort ausschlaggebend. Die Show ist ein Phänomen! Deutschland ist ein weiterer wichtiger Markt. Wir haben hier eine traumhafte Kundenbasis, die Amazon vertraut. Wenn die Deutschen ein Abo abschließen, dann nutzen sie es auch, was wir super finden. Frankreich, Italien und Spanien sind TV-Märkte, in denen wir noch nicht so lange aktiv sind, erst seit Dezember, und die wir immer besser kennenlernen.

Wichtig sind dafür auch jeweilige nationale Stoffe, in Deutschland haben Sie gerade erst die Serie You are Wanted mit Matthias Schweighöfer gezeigt. Der deutsche Produzent Nico Hofmann versucht gerade eine Serie über Hitler unterzubringen. Wäre das was für Amazon?

Vielleicht. Ich weiß nicht, ob wir schon angesprochen wurden, aber klar. Gerne können deutsche Produktionsfirmen jederzeit mit Vorschlägen zu uns kommen.

Amazon hat sich die Audio-Bundesligarechte gesichert. Könnten Sie sich vorstellen, dass sich Amazon zum Beispiel um die Fernsehrechte an der Champions League bewirbt?

Ich würde niemals nie sagen, aber das ist gerade kein Thema, worauf wir uns konzentrieren.

Streamingdienste ersetzen immer mehr das lineare Fernsehen, bieten aber zum Beispiel keine Nachrichten. Wann kommen die abendlichen Amazon-News?

Nachrichten und Livesport sind wichtig für das lineare Fernsehen. Manche unserer Kanäle bieten auch Livesendungen, aber was eigene Nachrichtensendungen betrifft, haben wir keine Pläne. Wenn es eine gute Idee gibt, machen wir vielleicht eine. Aber wir würden keine Nachrichtensendung machen, nur um eine im Programm zu haben.

Netflix, der direkte Konkurrent zu Amazon Video, setzt neben Serien stark auf Dokumentationen, Stand-up-Comedy und Spielshows. Amazon konzentriert sich noch auf Filme und Serien. Gibt es Pläne, das Angebot in diese Richtung zu verbreitern?

Wir wollen das produzieren, was Zuschauer sehen wollen. Wir haben ein paar Doku-serien in Planung und wir sind offen für alles, aber unser Schwerpunkt sind im Augenblick Serieneigenproduktionen.

Auf Eigenproduktionen setzen aber viele Streamingdienste, es gibt so viele Serien wie nie. Manche Beobachter glauben, dass die Blase bald platzen wird.

Es wird derzeit mehr gutes Fernsehen produziert als jemals zuvor, aber aus Rechtegründen wird kein einzelner Anbieter all diese Produktionen im Programm haben können. Die Anbieter sind preislich sehr attraktiv, Amazon Video eingeschlossen. Unsere Erfahrung ist, dass die Kunden meistens mehrere Services abonniert haben. Ich mache mir keine Sorgen, solange wir tolle Sendungen und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2017
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