Süddeutsche Zeitung

Internetstars:Besuch im Youtube-Bootcamp

Mit einem eigenen Ausbildungsprogramm will Youtube neue Stars aufbauen. Der erste Lehrgang in Deutschland zeigt, wie hart hippe Arbeit sein kann.

Reportage von Michael Moorstedt, Berlin

Seinen Berliner Sitz hat Youtube in einem für die Kreativbranche angemessen heruntergekommenen Gewerbegebiet. In der Nachbarschaft werden Gebrauchtwagen verkauft, Butterkekse und Rasierklingen produziert. Und nun eben auch die Zukunft der Unterhaltung. Man hat sich auf dem Gelände der Berliner Union-Film einquartiert, ganz früher wurde hier Der blaue Engel produziert. Die alte Medienwelt trifft auf die neue.

Für eine Woche im Juni hat die Videoplattform 16 Nutzer zum ersten Next-Up-Programm in Deutschland eingeladen. Hunderte User hatten sich beworben, um Teil einer neuen Generation von Youtube-Stars zu werden. Als die Teilnehmer eintreffen, halten sie ihre Smartphones auf Armlänge vor sich her, die Selfiekamera läuft. Ein Video darüber, wie man bessere Videos dreht - das bisschen Selbstreferenzialität ist heutzutage halb so schlimm.

Irgendwo zwischen Crashkurs und Eliteförderung

Bootcamp nennt Youtube den Lehrgang intern, in Anlehnung an den Drill, der in militärischen Ausbildungslagern herrscht. An fünf Tagen gibt es von neun bis 19 Uhr Lektionen in Audience Development, Selbstpromotion, Kameraführung und Beleuchtung. Das Niveau liegt irgendwo zwischen Crashkurs und Eliteförderung.

Im "Space", so die offizielle Bezeichnung der Berliner Youtube-Niederlassung, sind einige Kulissen aufgebaut. Blickt man in eines der Zimmer, ist dort ein U-Bahn-Querschnitt zu sehen, im nächsten die Plastikversion eines typischen, gemütlich-verranzten Berliner Hinterhofs. Es gibt einige High-End-Schnittplätze, 360-Grad-Kameras und Virtual-Reality-Ausrüstung. Im Untergeschoss ist ein Fernsehstudio eingerichtet. Auch abseits des Next-Up-Programms können Youtuber den Space nutzen. Aus dem Wohnzimmer senden war gestern.

Alles werde eben professioneller, sagt Mounira Latrache, die Leiterin der Berliner Dependance. Das Ökosystem namens Youtube werde erwachsen. Inzwischen haben viele der Filmemacher einen Manager oder schließen sich sogenannten Multi-Channel-Networks an, die ihre Vermarktung übernehmen und dafür einen Teil der Werbeeinnahmen einbehalten.

Wer mitmachen will, braucht mehr als 10 000 Abonnenten

Am Vormittag steht das Drehen vor dem Green Screen auf dem Lehrplan. Die Dozenten sind Industrieveteranen, die noch bei Sendern arbeiteten, die längst von Youtube verdrängt worden sind. MTV und Viva sind so gut wie tot, das Handwerk lebt fort. Dass Filme produzieren nicht nur hippe, sondern auch harte Arbeit ist, dass man nicht einfach nur losdrehen kann, sondern auch schon mal eine halbe Stunde das richtige Licht setzen muss, ist für manchen Next-Up-Teilnehmer sichtlich eine neue Erfahrung. Dabei sind die 16 "Creators", wie sie von Youtube genannt werden, alles andere als Anfänger. Um bei der Fördermaßnahme mitmachen zu dürfen, müssen gewisse Kriterien erfüllt sein. Der eigene Kanal muss bereits Teil des Youtube-Partner-Programms sein und mehr als 10 000 Abonnenten haben.

Das Teilnehmerfeld ist dennoch recht divers. Da sendet ein junger Mann Indie-Poesie mit einer Menge Weltschmerz hinaus ins Web, während er sich bei Waldspaziergängen filmt, zwei andere setzen eher auf Kiffer- und Pimmelwitze und haben es damit immerhin schon ins junge Programm des ZDF geschafft. Klickt man sich durch die Kanäle der anderen Teilnehmer, findet man eine gut ausgewogene Mischung aus Comedy-, Musik-, und Lebenshilfevideos.

In den Pausen herrscht eine Mischung aus Schulhofpalaver und Social-Media-Manöverkritik. Man zeigt sich gegenseitig seine Lieblingsvideos. "Dein Content ist echt nice" ist ein typisches Kompliment. "Es ist schön, nicht mehr Einzelkämpferin zu sein", sagt Ella. Die junge Frau mit dem akkurat geschnittenen Pony bespielt seit zwei Jahren den Kanal "Ella TheBee", eine Mischung aus Frauenzeitschrift, Kaffeeklatsch und Ratgeberformat, wie sie selbst sagt. Mehr als 80 000 Menschen bekommen eine Benachrichtigung, wenn sie ein neues Video hochlädt, mehr als zehn Millionen mal wurden ihre Videos angesehen. Der erste Buchvertrag ist unterschrieben. Wie viele ihrer Mitschüler steht Ella an der Schwelle, ab der aus einem Hobby eine Karriere werden könnte.

Teilnehmer von mehr als 300 Kanälen durchlaufen in diesem Jahr weltweit das Förderprogramm, von Los Angeles über London nach Mumbai und Tokio, in neun Städten hat Youtube mittlerweile seine Spaces eröffnet. Auch im Web selbst kann man in der sogenannten Creator Academy lernen, wie man bessere Videos dreht. Eine Art Fernuniversität für die Videoentertainer von morgen.

Der Fernseher, nur ein Display unter vielen

Die Bildungsoffensive, die Youtube seinen Mitgliedern zugute kommen lässt, ist dabei nicht ganz uneigennützig. Die Nutzer tendieren schließlich zu dem Angebot auf dem die besten Inhalte zu sehen sind. Gerade drängt etwa Facebook mit voller Wucht in den Online-Videomarkt. Das soziale Netzwerk bezahlt Medienunternehmen und Stars Millionenbeträge, damit sie exklusiv auf der Plattform senden.

Die Liste deutscher Youtuber, die in den vergangenen Jahren im Ausland an Next Up teilgenommen haben, liest sich jedenfalls wie ein Who's who der hiesigen Webvideoszene. Viele haben inzwischen ein Millionenpublikum, Buchverträge und Merchandisingprodukte, die in Drogerien verkauft werden. Da wären etwa "daarruum, iBlali" oder die Jungs von "Bullshit TV".

Man muss diese Leute nicht kennen. Eine neue Form von Partikularberühmtheit ist im Netz entstanden. Es gibt Youtuber, die so erfolgreich sind, dass es bei ihren öffentlichen Auftritten zu Rudelbildung und Tumulten unter den Fans kommt, zum Beispiel LeFloid, der die Bundeskanzlerin interviewen durfte, weil er knapp drei Millionen Youtube-Abonnenten hat: jene jungen Menschen, für die der Fernseher nur ein Display unter vielen ist, denen das Konzept eines linearen TV-Programms gar nicht mehr begreiflich zu machen ist.

Youtube-Karriere als Berufswunsch

Zum Abschluss des Tages gibt es noch einen Grundkurs in der Youtube-eigenen Analytics-Software - ein Einblick in den großen Maschinenraum. Die Vorgänge dort entscheiden, was die Leute zu sehen bekommen, und so natürlich auch, wer Erfolg hat - oder eben nicht. Wer klickt mich? Und wann? Die Suchalgorithmen ändern sich ständig. Längst sind nicht mehr nur bloße Klickzahlen ausschlaggebend, sondern ebenso die Frage, ob sich die Nutzer ein Video auch zu Ende ansehen oder in welcher Regelmäßigkeit neue Inhalte hochgeladen werden. Das führt dazu, dass sich das Wesen von Youtube ändert. Aufwendig produzierte Videos sind nicht mehr so häufig wie noch vor ein paar Jahren. Das Schnelle, das Virale geht vor. Die Next-Up-Teilnehmer machen sich eifrig Notizen.

6000 - ja was eigentlich: Besucher? Nutzer? Filmemacher? - hat der Space in Berlin im ersten Jahr angezogen. Youtuber werden ist unter Jugendlichen inzwischen ein legitimer Berufswunsch. Wie populär das Dasein auf der Videoplattform ist, verdeutlicht vielleicht die Tatsache, dass es mittlerweile sogar Computerspiele gibt, die eine Youtube-Karriere simulieren. Früher konnte man in den Spielen zum Fußballer oder Feldherr werden, warum dann nicht heute auch zum Videoproduzenten?

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Quelle:
SZ vom 28.06.2016/doer
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