Inszenierte Dramatik bei Doku-Soaps:Schlag gegen die "mediale Hinrichtung"

Formate wie "Bauer sucht Frau" und "Frauentausch" leben davon, Menschen lächerlich zu machen. Ein Gericht hat nun einer Betroffenen Recht gegeben, die sich gegen die extreme Nachbearbeitung ihrer Doku-Soap gewehrt hatte. Ein Urteil, das für TV-Produzenten Folgen haben könnte.

Anna Bok

Im deutschen Privatfernsehen werden für Bauern Ehefrauen gesucht, Mütter aus zwei Familien werden getauscht, und überforderten Eltern wird bei der Kindererziehung geholfen. Doku-Soaps wie Bauer sucht Frau oder Die Super Nanny wollen die Realität zeigen - im Gegensatz zu Formaten wie Die Schulermittler oder Familien im Brennpunkt, bei denen Laiendarsteller eine sogenannte Scripted Reality darstellen.

Inszenierte Dramatik bei Doku-Soaps: Mal mehr oder weniger inszeniert, auch in Aiglsham:  RTL-Sendung Bauer sucht Frau.

Mal mehr oder weniger inszeniert, auch in Aiglsham:  RTL-Sendung Bauer sucht Frau.

(Foto: SZ)

Dass auch bei Doku-Soaps mal mehr und mal weniger inszeniert wird, wenn der Alltag der dargestellten Personen zu wenig Dramatik hergibt, ist bekannt. Ungewöhnlich ist, dass sich Betroffene gerichtlich gegen die filmische Darstellung wehren. Ende Juli hat das Berliner Landgericht im Fall einer Folge der RTL 2-Sendung Frauentausch der Unterlassungsklage gegen die Produktionsfirma Constantin Entertainment (München) stattgegeben - ein Urteil, das für Produzenten von Doku-Soaps grundsätzliche Bedeutung haben könnte.

Die Klägerin hatte mit ihrer Familie in einer Folge von Frauentausch mitgewirkt, die Anfang 2008 bei RTL2 ausgestrahlt wurde. Frauentausch gibt es seit 2003 und wurde in den vergangenen Jahren von durchschnittlich 1,4 Millionen Zuschauern gesehen. Es geht darin um Familien, die eine Weile von der Mutter oder Hausfrau der jeweils anderen Familie betreut und versorgt werden - zwei möglichst unterschiedliche Milieus sollen dabei aufeinander prallen.

Im konkreten Fall geht es um eine Mutter von fünf Kindern, der ein psychologisches Gutachten weit unterdurchschnittliche sprachlogische Fähigkeiten bescheinigt: Die Wohnung ihrer Familie sah unordentlich aus, im Garten lag Müll, und bei der Erziehung ihrer Kinder schien sie Probleme zu haben.

Womit müssen Kandidaten rechnen?

Der idealer Fall für RTL 2 für Frauentausch? Die Klägerin, ihr Mann und ihre Kinder unterzeichneten einen Mitwirkungsvertrag, der, so urteilten die Richter jetzt, den Eindruck erweckte, die Sendung habe "vorrangig einen Dokumentationscharakter".

Auch auf den Zuschauer mussten die Aufnahmen so wirken - tatsächlich wurden sie, wie wohl üblich, stark nachbearbeitet. Mehrere Einstellungen sind durch graphische Elemente, Musik und spöttische Kommentare des Off-Erzählers verfremdet worden, offenbar zu dem Zweck, die Klägerin lächerlich zu machen. Darf eine Show wie Frauentausch, wenn sie den Eindruck erweckt, vornehmlich dokumentarisch zu arbeiten, den Alltag einer Familie so inszenieren, dass die dargestellten Personen vorgeführt werden? Womit muss ein Kandidat rechnen, der freiwillig und gegen eine Aufwandsentschädigung an einer Doku-Soap mitwirkte?

Spott und Hänseleien nach "Frauentausch"

Damit befasste sich das Berliner Landgericht seit März diesen Jahres. Ende 2011 hatte es den Antrag auf Prozesskostenhilfe der Klägerin bewilligt, die von der Kanzlei Schertz Bergmann (Berlin) vertreten wird. "Wer in die Anfertigung von Filmaufnahmen für ein Fernsehformat mit Dokumentationscharakter einwilligt", stellten die Richter nun klar, "muss mit derartigen nachträglich erfolgenden Bearbeitungen, die nur das Ziel der Verspottung haben, nicht rechnen."

Den Einwand der Produktionsfirma Constantin Entertainment, der Klägerin sei das Format bekannt gewesen, wies das Gericht ab: Den Mitarbeitern der Firma könne "nicht verborgen geblieben sein, dass die Klägerin intellektuell schnell überfordert ist und offensichtlich keinerlei Erfahrung im Umgang mit Medien hatte. Gerade deshalb hätte sie ausdrücklich darauf hingewiesen werden müssen, dass sich die Beklagte die nachträgliche Bearbeitung der Aufnahmen vorbehält und dies dazu führen kann, dass Familienmitglieder lächerlich gemacht und verspottet werden."

Es geht also um eine Aufklärungspflicht. Die Folge darf nach dem Urteil der Richter nicht mehr ausgestrahlt beziehungsweise wiederholt werden. Ein Anspruch auf Geldentschädigung wurde jedoch abgewiesen: Die Klägerin sei zwar in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden, eine besonders schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches für eine Geldentschädigung erforderlich gewesen wäre, liege nicht vor.

Onno Müller, Geschäftsführer bei Constantin Entertainment, sagte auf Anfrage, die betreffende Folge sei Anfang Januar 2008 ein einziges Mal bei RTL 2 ausgestrahlt worden. Man bedauere, dass sich die Klägerin in einigen Situationen "nicht richtig wiedergegeben fühlt. Von der absoluten Mehrheit der teilnehmenden Familien in bisher über 300 gezeigten Folgen bekommen wir hingegen ein positives Feedback über ihre Mitwirkung bei Frauentausch".

Recht auf Menschenwürde

Aber stimmt das? Für die Familie der Klägerin waren die Konsequenzen weitreichend: Sie zog nach Ausstrahlung der Sendung aus ihrem Heimatort weg - der Ehemann war von seinen Arbeitskollegen verspottet, die Kinder in der Schule gehänselt worden. Ähnliches erlebte eine Frauentausch-Familie aus Sachsen-Anhalt, die 2009 nach der Ausstrahlung die Wut der Dorfbewohner auf sich zog: Ihr Ort sei durch die Familie herabwürdigend und klischeehaft dargestellt worden. Es häuften sich Sachbeschädigungen, die Familie zog schließlich fort.

Constantin-Manager Müller verweist darauf, dass das Gericht den geltend gemachten Entschädigungsanspruch nicht anerkannt und damit "auch deutlich gemacht habe, "dass eine etwaige Beeinträchtigungen der Klägerin als nicht schwerwiegend zu beurteilen" sei. RTL 2 schloss sich der Stellungnahme von Constantin Entertainment an.

Thomas Langheinrich, Präsident der Landesmedienanstalt Baden-Württemberg (LFK), sagte einst zu dem Fall von 2009, auch wenn Teilnehmer sich freiwillig für eine Doku-Soap bewürben und umfangreiche Verträge unterschrieben, berechtige das die Sender nicht, sie medial hinzurichten. Jeder habe ein Recht auf Menschenwürde.

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