Ingo Zamperoni als "Tagesthemen"-Moderator:"Ich bin nicht als Jugendbeauftragter verpflichtet worden"

Ingo Zamperoni als "Tagesthemen"-Moderator: Ingo Zamperoni

Ingo Zamperoni

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Ingo Zamperoni ist als Moderator der "Tagesthemen" von Montag an der Erste im Ersten. Ein Gespräch.

Interview von David Denk und Sebastian Jannasch

Es ist später Nachmittag, und für Ingo Zamperoni, 42, ist der Tag noch lange nicht vorbei. Er trifft später noch ein NDR-Kamerateam, dann ist er Studiogast im Hamburg Journal, und er muss einen Kurztext für ein Fotomagazin schreiben. Zamperoni ist so begehrt, weil er von Montag an Erster Moderator der Tagesthemen ist, so heißt das in der ARD. Wenn ihn der neue Job, mit dem vor ihm schon legendäre Fernsehjournalisten wie Hanns Joachim Friedrichs oder Ulrich Wickert ihre Karriere gekrönt haben, einschüchtern sollte, so lässt er es sich zumindest nicht anmerken.

SZ: Herr Zamperoni, Sie waren seit Anfang 2014 in den USA. Mit welchen Gefühlen sind Sie nun, so kurz vor der Präsidentschaftswahl, nach Deutschland zurückgekommen?

Ingo Zamperoni: Mit einem sehr lachenden und einem sehr weinenden Auge. Ich freue mich wahnsinnig auf diesen Job, es ist ein Privileg, gemeinsam mit Caren Miosga das Gesicht der Tagesthemen zu sein. Aber natürlich war das persönlich und beruflich eine so wertvolle Zeit, dass meine erste Reaktion war: Leute, ihr könnt mich so kurz vor dem Ende dieses Wahlkampfs, der in seiner Intensität für jeden Korrespondenten ein Geschenk war, hier doch nicht wegholen. Aber es gibt letztlich eine gute Lösung, weil die Tagesthemen - wie bei früheren Wahlen - ohnehin aus Washington gesendet werden.

Ach. Wie?

Nächste Woche habe ich meine erste Sendewoche in Hamburg und dann fliege ich am 31. rechtzeitig zu Halloween rüber, damit ich an diesem in den USA wichtigen Feiertag bei meiner Familie sein kann, die noch ein paar Monate in den USA bleibt. Wir werden dann am 8. und 9. November aus Washington senden. Die Beiträge werden aus Hamburg abgefahren, und auch der Nachrichtensprecher sitzt im Studio, aber ich werde vor dem Weißen Haus stehen. In den USA ist es gang und gäbe, dass der Anchor etwa vor dem Nachtclub in Orlando steht, nachdem dort 50 Menschen erschossen wurden.

Sie haben gerade Ihr Buch "Fremdes Land Amerika" veröffentlicht, nach Ihrer Rückkehr könnten Sie nun "Fremdes Land Deutschland" nachlegen.

Ja, stimmt, es ist erstaunlich, wie viel in dieser kurzen Zeitspanne passiert ist. Die Flüchtlingskrise hat Dinge zu Tage gebracht, die nicht nur ich für überwunden hielt. Auch der Begriff "Lügenpresse" war vor meiner Abreise nicht verbreitet und auch die Wahlerfolge der AfD, die es geschafft hat, sich neu zu erfinden, indem sie vom Euro-Ticket auf diffuse Ängste umgeschwenkt ist, gehören für mich zur veränderten deutschen Realität.

Die immer mehr zur Normalität wird: Die Nachrichtenredaktion ARD aktuell, in der Tagesschau und Tagesthemen entstehen, hat gerade erst angekündigt, die AfD nicht mehr bei jeder Nennung als "rechtspopulistisch" zu bezeichnen. Eine richtige Entscheidung?

ARD Aktuell handhabt dies schon seit Monaten so, ohne dass dies ein Diskussionsthema war. Mir ist egal, ob wir jedes Mal das Adjektiv "rechtspopulistisch" vor die AfD setzen; es kommt darauf an, dass wir zeigen, wofür sie steht. Und dass das rechtspopulistische Mechanismen sind, steht außer Frage. Aufzuklären ist unsere Aufgabe, und nicht, die AfD zu verdammen. Das wäre kontraproduktiv. Wie wir bei Trump in den USA sehen, gibt es eine große Sehnsucht nach dem starken Mann, der mit hartem Besen durchfegt, simple Lösungen anbietet. Aber die Welt ist eben nicht schwarz und weiß, sondern besteht aus Grautönen, die sich immer stärker ausdifferenzieren. Es gibt keine einfachen Lösungen.

Mangelt es den Medien in Zeiten politischer Erregung an Besonnenheit?

Ich will keine Medienschelte betreiben, aber wenn eine Sau durchs Dorf getrieben wird und alle laufen hinterher, scheint es für manche schwierig zurückzubleiben und zu sagen, macht ihr mal, weil es nun mal eine Story ist. Nehmen wir Trump: Wenn ihn nicht so viele wählen und unterstützen würden, würden Journalisten nicht so viel über ihn berichten. Das steigert im Zweifelsfall dann wieder seinen Zulauf. Eine knifflige Frage: Was ist Henne, was ist Ei?

Auch der Ton gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen ist rauer geworden. Was bedeutet das für Ihren neuen Job?

Die Frage ist: Fasst man Themen nicht mehr an, weil man weiß, da gibt's viele empörte, teils unflätige Zuschriften? Das kann nicht die Lösung sein. Wir dürfen keine Schere im Kopf haben. Den Mut, den ich von der Gesellschaft im Zusammenhang mit dem offensiven Auftreten von Vertretern sehr rechter Strömungen in Deutschland einfordere, den verlange ich natürlich auch von uns als Nachrichtenredaktion.

Vor vier Jahren mussten Sie für die Bemerkung "Möge der Bessere gewinnen" in der Halbzeitpause des EM-Halbfinales Deutschland - Italien viel Kritik einstecken. Es stand 2:0 für Italien, Ihr Vater ist Italiener. Wie wäre das heute?

Das ist ein interessantes Gedankenspiel. Wahrscheinlich wäre die Kritik noch mal deutlich schärfer. Wenn ich mir anschaue, wie beispielsweise die Kolleginnen Dunja Hayali und Anja Reschke angefeindet wurden, erscheint mir die Aufregung vor vier Jahren wie Kindergarten.

Gehört es mittlerweile zur Jobbeschreibung, Hass auszuhalten, wenn man für Nachrichten und Aufklärung steht?

Natürlich habe ich keine Lust auf Morddrohungen, aber als Tagesthemen-Moderator hat man definitiv eine hervorgehobene Position. Da darf man nicht einknicken, muss bei Hass dagegenhalten, sonst wird es irgendwann normal.

Das klingt so, als wäre das mehr als ein Job, regelrecht ein Amt.

So wird es von vielen wahrgenommen. Das merke ich an der großen Aufmerksamkeit, die meinem Start entgegengebracht wird. Ich habe das schon erwartet, aber es ist doch noch etwas mehr, als ich gedacht hatte. Teilweise ist das durch die Sendezeit in der Primetime berechtigt, teilweise aber auch übersteuert. Ich gehe jedenfalls nicht zu den Tagesthemen, weil ich berühmt werden will, sondern weil ich das verdammt beste Nachrichtenmagazin im deutschen Fernsehen machen will.

Oha. Ist das eine Kampfansage an Ihren früheren Mentor Claus Kleber?

Nein, aber den Anspruch haben wir sicher beide. Ich würde es eher freundschaftlichen Wettbewerb nennen, der beiden Sendungen gut tut. In Washington gab es ja auch einen Wettstreit mit den ZDF-Kollegen um das bessere Trump-Porträt und davon profitieren nicht zuletzt die Zuschauer. Aber ich verhehle nicht, dass es schon eine besondere Konstellation ist, weil ich Claus viel zu verdanken habe - er hat mich einst als Hospitant ins ARD-Studio Washington geholt und gefördert.

Sie waren es, der Ihre Kollegin Caren Miosga darin unterstützt hat, als Hommage an den verstorbenen Schauspieler Robin Williams aufs Moderatorenpult zu steigen. Brauchen die Tagesthemen solche Mätzchen?

Das darf es eben nicht sein, nicht zum Selbstzweck verkommen, sonst stumpft die Wirkung ab. Aber ich wünsche mir solche Hallo-wach-Effekte, dass wir Sehgewohnheiten auch brechen. Der Grundauftrag, die Essenz des Jobs allerdings hat sich seit Hanns Joachim Friedrichs' Zeiten nicht verändert: Wir sind eine seriöse Nachrichtensendung, Orientierungspunkt in einem immer größeren Meer an Informationen in einer immer komplexeren Welt.

Sie sind mit 42 Jahren beinahe unanständig jung für diesen Job. Wie möchten Sie die Tagesthemen für Jüngere attraktiver machen?

Ich bin nicht als Jugendbeauftrager verpflichtet worden, wir wollen und müssen nach wie vor alle erreichen, vom Abiturienten bis zum Rentner. Mir ist es allerdings herzlich egal, ob jemand die Tagesthemen im Fernsehen schaut oder beim Zähneputzen auf dem Smartphone. Und für "unanständig jung" sind meine Haare nun viel zu grau geworden. Ich glaube aber, Medien könnten noch besser zeigen und erklären, wie sie arbeiten, Transparenz herstellen, um diese Gerüchte zu entkräften, wir wären von fremden Mächten gesteuert. Mich hat jedenfalls bisher weder die Kanzlerin noch irgend ein Firmenboss angerufen, um Einfluss zu nehmen.

Sie haben 27 000 Twitter-Follower.

Social Media ist ein gutes Werkzeug, um Blicke hinter die Kulissen zu gewähren und sich mit den Zuschauern auszutauschen. Deshalb wollen Caren und ich gemeinsam mit den Social-Media- und Online-Kollegen mehr ausprobieren.

Von Ihrem Vorgänger Thomas Roth hat niemand Modernisierung erwartet. Sind die Erwartungen in Sie unfair?

Dem Druck setze ich mich nicht aus. Ich muss nicht über Wasser laufen. Ich trage meinen bestmöglichen Teil bei und wünsche mir, dass wir das Format weiterentwickeln. Aber letztlich ist es Fernsehen und nicht die Rettung des Abendlandes.

Tagesthemen-Moderatoren schicken ihre Zuschauer traditionell mit den immer gleichen Abschiedsworten ins Bett. Haben Sie sich eine Formel zurechtgelegt?

Nein.

Das glauben wir nicht.

Sorry, da muss ich Sie enttäuschen. Ich will nicht ausschließen, dass ich irgendwann eine Formulierung finde, die passt, aber mir etwas auf Krampf zurechtzulegen, widerstrebt mir. So ein Spruch ist ja wie ein Tattoo. Was ich jetzt vielleicht cool finde, für immer am Arm zu haben, ist keine schöne Vorstellung.

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