Influencer-Prozess in Ägypten:Von Rezo weit entfernt

Influencer-Prozess in Ägypten: Albernheiten im Hai-Kostüm, eine Verkleidungsshow mit Ethno-Klamotten: Deswegen sollen Mawada el-Adham und Haneen Hossam ins Gefängnis.

Albernheiten im Hai-Kostüm, eine Verkleidungsshow mit Ethno-Klamotten: Deswegen sollen Mawada el-Adham und Haneen Hossam ins Gefängnis.

(Foto: Tiktok)

Zwei Influencerinnen sollen ins Gefängnis, weil sie angeblich auf TikTok gegen ägyptische "Familienwerte" verstoßen haben. Eine Vorsichtsmaßnahme der Regierung?

Von Moritz Baumstieger

Albernheiten im Hai-Kostüm, eine Verkleidungsshow mit Ethno-Klamotten, Posieren mit blau gefärbten Harren in einem Luxusauto: Die Videos, für die mehr als drei Millionen Internetnutzer die Ägypterin Mawada el-Adham liebten, sind kaum als politisch einzustufen. Von Aktivismus, wie ihn etwa el-Adhams blauhaariger Kollege Rezo aus Deutschland von Zeit zu Zeit betreibt, wenn er die CDU zerstören will, war die 22-Jährige weit entfernt. Trotzdem soll die Studentin nun für zwei Jahre ins Gefängnis, zudem eine Strafe von 300000 Pfund zahlen, etwa 16000 Euro. Gemeinsam mit einer anderen Influencerin und drei namentlich nicht genannten "Helfern" verurteilte sie am Montag ein Gericht in Kairo. Mitte August soll es eine Berufungsverhandlung geben.

Das nun ergangene Urteil gegen sie und die 20-jährige Haneen Hossam, die anders als el-Adham Kopftuch trägt und Userinnen erklärt hatte, wie man mit Videos Geld in sozialen Netzwerken verdienen kann und die deshalb des Aufrufs zur Prostitution beschuldigt wurde, steht am Ende des sogenannten "Tiktok-Prozesses". Das offiziell wegen des Coronavirus unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführte Verfahren ist nach der Netzplattform benannt, auf der die Frauen aktiv waren. Das aus China stammende Portal ist in den vergangenen Jahren rasant gewachsen, die Nutzer der mittlerweile über zwei Milliarden mal heruntergeladenen App erfreuen sich vor allem an Videos, in denen andere User Playback singen oder sich bei der Bewältigung sogenannter "Challenges" filmen - kleine Aufgaben, die ihren Reiz aus dem feinen Grat zwischen Geschicklichkeit und Slapstik beziehen.

Während die ägyptischen Behörden bisher vor allem Aktivisten und unliebsame Onlinepublikationen ins Visier genommen haben - das Investigativportal Mada Masr etwa wurde wiederholt geblockt, seine Redakteure festgenommen -, hat das Vorgehen gegen die weiblichen Tiktok-Stars einen anderen Hintergrund: Beide wurden wegen der "Verletzung von Familienwerten und -prinzipen" verurteilt, ein so vager wie dehnbarer Tatbestand, der jedoch seit 2018 in einem ägyptischen Gesetz gegen Cyberkriminalität und den Missbrauch von Informationstechnologien verankert, aber nicht näher definiert ist. "Können wir wenigstens wissen, was diese Werte sind?" fragt deshalb eine Petition, die sich gegen die Kriminalisierung der Influencerinnen richtet.

Der Prozess steht in einer Reihe mit anderen in der jüngeren Vergangenheit

Urteile gegen Sängerinnen, Schauspieler und auch Bauchtänzerinnen wegen zu freizügiger Darstellungen oder Texten hat es in Ägypten zuletzt wiederholt gegeben. Meist wurden Gerichte aktiv, weil Bürger Anzeige erstatteten, die sich in ihren Moralvorstellungen gekränkt sahen. Inzwischen aber werden die Behörden am Nil verstärkt von sich aus tätig, wie etwa in den Fällen von Mawada al-Adham und Haneen Hossam sowie sieben weiteren jungen Frauen, die auf ihre Prozesse warten. Berichten ägyptischer Medien zufolge hat das Innenministerium die Sittendezernate angewiesen, Verstöße gegen das Gesetz proaktiver zu verfolgen, ein 2019 berufener Generalstaatsanwalt hat zudem eine weitere Einheit zur Überwachung der sozialen Medien geschaffen.

Die Bedeutung sozialer Medien für die Protestbewegung in Ägypten, die 2011 den Sturz von Hosni Mubarak einläutete, ist viel beschrieben und wohl teils überschätzt worden - große Teile der unzufriedenen Massen fanden den Weg zum Tahrirplatz auch ohne Facebook-Einladung. Für den wieder voll im autoritären Modus agierenden Regierungsapparat sind schwer kontrollierbare Räume im Netz aber weiterhin ein Alptraum. Das zeigte sich zuletzt etwa im Herbst 2019, als der in Spanien lebende Schauspieler und Ex-Unternehmer Mohamed Ali in Videos in rüdem Ton Korruption bloßstellte und den Sturz des Präsidenten forderte: Millionen Ägypter sahen die Clips und gingen teils sogar auf die Straßen, als Ali dazu aufrief.

Auch um zu verhindern, dass bislang unpolitische Figuren wie der Soap-Star Mohamed Ali auf ihren Online-Präsenzen plötzlich politisches Profil entwickeln, versuchen die Regierung und die dem Präsidenten Abdelfattah al-Sisi ergebene Parlamentsmehrheit, den Bewegungsspielraum im Netz zu beschneiden: Dasselbe Gesetz, das sich 2018 dem Schutz von Familienwerten verpflichtete, unterstellt Konten in den sozialen Medien mit mehr als 5000 Followern der Medienaufsicht. Inhalte, die nach Ansicht des Staates falsch oder irreführend sind, können so zensiert oder geblockt werden. Und nicht nur ihre Verfasser, sondern auch Konsumenten, die die Seiten angesteuert haben, können belangt werden - was im Fall des Millionenpublikums der beiden Influencerinnen aber selbst den gigantischen ägyptischen Polizeiapparat überfordern dürfte.

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