Indische Publizisten-Legende MV Kamath:"Nixon hasste Indien und Indira Gandhi"

Madhav Vittal Kamath

Madhav Vittal Kamath in seinem Büro in Manipal.

(Foto: Manipal University)

Als einer der ersten internationalen Korrespondenten des unabhängigen Indien hat Madhav Vittal Kamath prägende Figuren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt. Im Interview spricht der 91-Jährige über Willy Brandt, die Nixon-Regierung und wie er den Tag des Mauerbaus im Osten von Berlin verbrachte.

Von Josh Groeneveld

Madhav Vittal Kamath hat in den 91 Jahren seines Lebens 48 Bücher und unzählige Artikel geschrieben - er ist einer von Indiens bekanntesten Journalisten, die lebende Legende seines Fachs und heute Ehrendirektor der School of Communication an der University of Manipal.

Kamath wurde am 7. September 1921 als Sohn eines bekannten Anwalts in der Küstenstadt Udupi geboren. Er studierte Chemie und Physik in Mumbai, wollte Arzt werden, wurde aber zunächst Pharmazeut - und schließlich, ab 1946, Reporter bei seiner ersten Station als Journalist, dem anti-britischen Free Press Journal. Nach der Unabhängigkeit Indiens zog es ihn zur Times of India, die ihn zum Berichterstatter im Westen machte. Was folgte, war eine beispiellose Karriere als Korrespondent in Europa und den USA.

Herr Kamath, Sie haben während ihrer Karriere zahlreiche Politiker getroffen, die viele Menschen heute nur noch aus den Geschichsbüchern kennen. Nur, um die Dimension klar zu machen: Wo waren Sie überall?

Madhav Vittal Kamath: Ich kam Mitte der Fünfziger nach Europa und berichtete dort für die Times of India über die internationalen Entwicklungen, ich war von 1959 bis 1969 praktisch auf allen wichtigen Konferenzen des Kontinents. Später, zwischen 1969 und 1978 war ich in Washington. Ich hatte das Vergnügen, praktisch jeden wichtigen Präsidenten, Premierminister oder Außenminister in diesen Jahren zu treffen, dazu noch Nobelpreisträger, Schauspieler, Schriftsteller und - vor allem - normale Menschen.

Sie trafen auch deutsche Politiker der Zeit, unter anderem den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer. Wie haben Sie ihn wahrgenommen?

Ich kam nur zu einem Interview, weil der Geschäftsführer meines Verlags 1956 in Deutschland zu Besuch war und Herrn Adenauer unbedingt treffen wollte. Das Außenministerium war einverstanden und schlug vor, dass ich als Reporter eine Reihe von Fragen einreichte, damit das Treffen zwischen dem Kanzler und meinem Geschäftsführer die Natur eines Interviews hätte.

Während des "Interviews" war es uns gestattet, zusätzlich Fragen zu stellen. Gegen Ende fragte mein Geschäftsführer Herr Adenauer, wie es käme, dass er selbst im Alter von über Achtzig noch so aktiv und aufgeweckt sei. Darauf antwortete Herr Adenauer, ebenso in einer leichten Laune: "Ich stehe nicht auf meinem Kopf, wie es euer Premierminister tut!" und sorgte für großes Gelächter. Er spielte mit seiner Aussage auf die Yoga-Übungen des damaligen indischen Premiers Jawaharlal Nehru an.

"Am Ende sind wir Journalisten Pseudohistoriker"

Etwas später lernten Sie auch noch einen zukünftigen Bundeskanzler kennen: Willy Brandt. Daraus entstand sogar eine Freundschaft.

Ich war 1959 bei einem wichtigen Treffen der SPD in Bad Godesberg, wo die Partei viel von ihren sozialistischen Ambitionen aufgab. Herr Brandt saß auf der Bühne und ich sandte ihm meine Visitenkarte. Er kam sofort herunter, um mich zu sehen und schenkte mir fast eine Stunde seiner Zeit.

Danach rief ich ihn gelegentlich an und er hat mich niemals enttäuscht. Ich erzählte ihm, dass ich ausgewählt worden sei, als Times-Korrespondent aus Amerika über die Vereinten Nationen zu berichten. Als Herr Brandt die UN besuchte, lud er mich zu ein paar Drinks mit ihm ein. Das passierte zweimal.

Sie beschreiben Journalismus immer wieder als Ihre Leidenschaft. Was ist für Sie der Kern Ihres Berufs?

Egal, wen man trifft, es kommt auf Bescheidenheit an. Am Ende sind wir Journalisten Pseudohistoriker und wir müssen wahrhaftig sein in unserem Beruf, der beinhaltet ehrlich, objektiv, akkurat und unvoreingenommen zu sein.

Wie war es, als "Pseudohistoriker" von einem anderen Kontinent, den Bau der Mauer 1961 hautnah zu erleben?

Damals hatte ich in den Tagen zuvor viele Geschichten von Tausenden von Ostberlinern gehört, die nach Westberlin kämen, um von da nach Westdeutschland zu reisen. Ich dachte mir, da passiert etwas Großes und flog an einem Freitagabend von Bonn nach Westberlin. Den Samstag verbrachte ich fast komplett damit, viele der immigrierten Ostberliner zu interviewen und hatte dadurch exzellente Geschichten. Das war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich vier Artikel auf der Titelseite meiner Zeitung hatte!

Und am Sonntag begann der Mauerbau.

Ich erfuhr morgens zu meinem Schock aus dem Radio, dass Ostberlin von Westberlin "abgeschnitten" worden war. Ich nahm die Bahn, um nach Ostberlin zu gelangen. Aber der Zug stoppte an einem Platz, der Karlsbrücke hieß und ich konnte nicht weiter. Ich stieg aus und da standen auf beiden Seiten des Flusses Tausende von Menschen. Ich zeigte der Ostberliner Polizei meinen Presseausweis - aber sie wollten mich nicht einreisen lassen. Nach fast zwei Stunden sagte ich der Wache, dass ich gerne mit dem ostdeutschem Außenminister (Lothar Bolz, Anm. d. Red.) sprechen würde. Das war ein bisschen impertinent, aber meine Arroganz half mir.

Was passierte?

Der Außenminister befahl der Polizei, mich nach Ostberlin gehen zu lassen, unter der Bedingung, dass ich mich schriftlich verpflichtete, niemanden verantwortlich zu machen, wenn mir etwas zustoße. Ich war sicher, dass mir niemand etwas antun würde, also unterschrieb ich das alles und muss wohl der einzige Mensch auf der ganzen Welt gewesen sein, der an diesem wichtigen Tag von West- nach Ostberlin ging. Nichts passierte. Die Straßen waren leer. Ich wanderte mehr als anderthalb Stunden durch die Stadt. Meine große Story am Ende war, dass nichts passierte!

Auch im Lichte dieser deutschen Teilung: Wie haben Sie damals als Außenstehender den Weg zu einem vereinten Europa wahrgenommen?

Ich schrieb über praktisch jedes Treffen der Europäischen Union, damals noch bekannt als die Europäische Kohle- und Stahlgemeinschaft. Es gab bei vielen Themen scharfe Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland und für mich war es ein Wunder, dass die Union überhaupt zustande kam. Doch es war ein gemeinsamer Wille spürbar. Die Formierung einer Europäischen Gemeinschaft schien einfach unvermeidbar. Streitigkeiten und Zusammenstöße kalkulierte man mit ein.

"Es gab eine Zeit in der wir auf den Westen blickten. Das ist vorbei"

Bei den Schwierigkeiten spielte vor allem in Deutschland auch der unterschiedliche Einfluss der beiden Großmächte des Kalten Kriegs eine Rolle...

Was die Atmosphäre im Kalten Krieg angeht, war da kein anderer Weg für Westdeutschland, als die Führerschaft der Vereinigten Staaten zu akzeptieren. Und das wurde deutlich. Aber wie könnte man Westdeutschland daran die Schuld geben? Ohne den Marshall Plan hätte das Land viele Jahre gebraucht, um sich zu erholen.

Wie war Ihr Eindruck von den USA, als Sie in den Sechzigern dorthin gingen?

Ich war in Washington während der Zeit von Nixons Präsidentschaft. Nixon hasste Indien und Indira Gandhi; weder er noch sein Außenminister beachteten uns vier indische Korrespondenten auf Pressekonferenzen. Dem Stab in der Botschaft Indiens wurde befohlen, unverschämt zu uns zu sein! Wir hatten daran unseren Spaß. Als Auslandskorrespondent wusste ich etwa, dass mein Telefon abgehört werden würde und wann immer jemand anrief, setzte ich ihn zuerst davon in Kenntnis.

Das hört sich nicht nach einer besonders positiven Erfahrung an.

Ich habe in Amerika viele Freunde gefunden, ich lud sie oft zum Essen ein - ich bin ein guter Koch und meine Curries kamen gut an bei meinen Gästen. Ich hatte eine liebenswürdige Vermieterin, mit der ich selbst 35 Jahre nach meiner Abreise aus Washington noch Kontakt habe. Und auch das Verhältnis zum Weißen Haus wurde später besser. Als Mr. Carter Präsident wurde, war sein Außenminister Cyrus Vance höchst zuvorkommend und empfing mich mit großen Ehren.

Sie trafen auch Martin Luther King.

Ja, ich hatte Gelegenheit, ihn zu interviewen. Ich gab ihm eine Menge Informationen zu Mahatma Gandhi. Ich war ja bereits Reporter gewesen, als Indien in der Nacht vom 14. auf den 15. August 1947 unabhängig wurde und bin einer der wenigen noch Lebenden, die von diesem Ereignis berichteten. Das war einer der stolzesten Momente meines Lebens.

Wie stark hat Gandhi Sie geprägt?

Sein gewaltloser Kampf bedeutete damals für uns beispielsweisee, dass wir weben lernen mussten und nur handgewebte Kleidung trugen. Es bedeutete, englische Produkte zu boykottieren, an öffentlichen Protesten teilzunehmen und den Armen auf jede erdenkliche Art zu helfen. Ich arbeitete etwa fünf Jahre in Slums, unterrichtete die Bedürftigen und lehrte an einer Schule für arme Kinder.

Wie sehen Sie Ihr Heimatland Indien heute, sowohl im Lichte der Unabhängigkeit, als auch im Zeitalter der Moderne?

Ich war ein junger Mann, als Indien noch immer eine britische Kolonie war und 26 Jahre alt, als wir freikamen. Heute leben wir in einer anderen Welt. Wir haben unseren Selbstrespekt wiedergewonnen und auf manche Art haben wir viel erreicht, aber da liegt immer noch ein weiter Weg vor uns. Ich bin stolz, Inder zu sein und zu einer der ältesten Zivilisationen der Erde zu gehören; wir haben unsere Unzulänglichkeiten, wir haben als Demokratie in vielen Sachen geirrt. Aber wir wissen, dass vor uns eine große Zukunft liegt.

Auch global betrachtet?

Wie gesagt, die Welt hat sich verändert. Asien findet zurück zu sich selbst. China ist auf dem Weg, eine große Macht zu werden, wenn nicht eine Supermacht. Es gab eine Zeit, in der wir auf den Westen blickten. Das ist vorbei. Wir sind selbstbewusster. Als Zeitzeuge der Kolonialzeit kann ich die heutige indische Generation nicht wirklich verstehen, sie ist von einer anderen Machart. Wir machen heute rasante Fortschritte in der Wissenschaft und Technologie.

Was wünschen Sie sich für Ihr Land?

Ich sage denen, die mir zuhören wollen, dass Indien eine gute Macht werden muss, keine große Macht. Ich glaube in unseren Beziehungen mit allen anderen an das, was wir Hindus "Dharma" - Rechtschaffenheit - nennen. Ich mag mich irren, aber die nächsten zwei Jahrhunderte könnten die Jahrhunderte des Ostens werden.

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