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Serie "Immer für dich da":Würdeverlust in zehn Folgen

Die Netflix-Serie "Immer für dich da" wirkt gleich auf mehreren Ebenen wie eine schlechte Parodie: auf die 80er, stereotype Frauenbilder und den Journalismus.

Von Julia Meidinger

Eine Frau im roten Scheinwerferlicht: Sie tanzt mit halb geschlossenen Augen zu Tainted Love, die Arme schlingen sich um den Mann vor ihr. Ihre beste Freundin, eine schmale Blondine mit steifer Föhnwelle, versucht erst mitzutanzen. Schließlich gibt sie auf und verlässt mit verletztem Blick den Club. Schnitt, 20 Jahre später: dieselbe Musik, dieselben Frauen, derselbe verletzte Blick.

Tully (Katherine Heigl) nimmt innerhalb von Sekunden Tanzflächen und TV-Studios ein. Für ihre Freundin Kate (Sarah Chalke) bleibt da oft kein Platz. Die beiden sind in der zehnteiligen Serie Immer für dich da Anfang vierzig und hadern mit ihren Lebensentwürfen. Seattle, Anfang der 2000er, Kate leidet unter der Entfremdung von ihrem Mann und der abweisenden Tochter. Tully ist bindungsunfähig, gezeichnet von der gestörten Beziehung zu ihrer Mutter. Die beiden sind beste Freundinnen, seit Tully fast 30 Jahre zuvor mit ihrer drogensüchtigen Mutter in Kates Nachbarschaft gezogen ist. In Rückblenden sieht man, wie sich die verträumte Kate (Freak-Brille, Holzfällerhemd) und die coole Tully (Lidschatten, Minirock) annähern.

Den echten Journalismus machen Männer

In der Figur der Tully blitzt das Potenzial der Serie auf. Als Erwachsene ist sie eine berühmte Talkshow-Moderatorin. Sie fischt aus fremden Badschränken Tabletten, die sie schluckt wie Smarties, und wirkt trotzdem kontrolliert. Heigls Darstellung dieser zunächst komplexen Figur trägt über die ersten Folgen. Aber leider lässt das Drehbuch Tully keine Luft. Die Figur wird immer eindimensionaler und erkennt dann zwingend doch, dass Familie alles ist, was zählt: Mann, Baby, Versöhnung mit der Mutter bei Schokotorte.

Auch die 20 Jahre jüngere Versionen der Tully und Kate werden von Heigl und Chalke gespielt, der Weichzeichner lässt die Gesichter puppenhaft wirken. Der gemeinsame Traumberuf: Journalistin. Nur sind Journalistinnen in dieser Serie leider entweder Tippsen oder Starmoderatorinnen. Kate bekommt ihren ersten Job beim lokalen TV-Sender nur, weil Tully dem Chef verspricht, dass ihre Freundin gut Akten sortiert und noch dazu billig ist. Mit Dauergrinsen und Stauneblick schmachtet Sarah Chalke als junge Kate ihren Chef an. Monatelang bringt sie ihm Kaffee und Suppe - bis der Chef irgendwann merkt, dass sie ja auch schreiben kann. Einige Suppen später wird er dann auch noch ihr Ehemann.

20 Jahre später ist Tully Host einer Talkshow, in der Frauen ihr Äußeres optimiert bekommen. Und sagt resigniert: "Ich war mal Journalistin." Kate steigt nach 15-jähriger Berufspause bei einem Magazin ein. Als Assistentin drückt sie für ihre Chefin, die vor allem über Online-Dating schreibt, die Analdrüsen des Hundes aus.

Den echten Journalismus machen Männer. Kates Noch-Ehemann verabschiedet sich - nachdem er im Wald fleißig schießen geübt hat - in den Irak, um als Kriegsberichterstatter zu arbeiten. Kate küsst inzwischen den neuen Kollegen - und bedankt sich am nächsten Tag im Büro für den Knutschfleck. Es sind solche Szenen, in denen die Figuren stückchenweise ihre Würde verlieren. Nur: Es wirkt nicht so, als hätten die Serienmacher das beabsichtigt.

Immer für dich da, bei Netflix.

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