Illner-Talk zur Silvesternacht:Teile dieser Talkshow könnten die Bevölkerung verunsichern

maybrit illner

Freut sich, jetzt offener sein zu dürfen: Thomas de Maizière (links) im Gespräch mit Maybrit Illner.

(Foto: ZDF/Svea Pietschmann)

De Maizière darf endlich Klartext reden und die Deutschen haben Angst vor sich selbst: Illner ist zurück aus dem Winterschlaf und hat die Silvesternacht zu verdauen.

Von Ruth Schneeberger

Nachdem die Exzesse in der Silvesternacht zunächst aus Unkenntnis und Angst verschwiegen wurden, können die Medien jetzt nicht genug davon bekommen. Erst Plasberg, dann Maischberger, nun Illner: Kaum sind die Moderatoren aus ihrer Feiertagspause zurück, muss es bei allen um das Thema gehen, das so schwerlich zu verdauen ist und so schlecht in die gewünschte Willkommenskultur passt.

Weil Illner noch ein bisschen später dran ist als die anderen und zwischendurch außerdem noch zehn Deutsche bei einem Terroranschlag in der Türkei getötet wurden, geht es ihr um das Grundsätzliche: Müssen sich die Deutschen an ein Leben mit Gewalt und Terror gewöhnen?

Beantwortet wird die Hauptfrage der Sendung, wie immer, kaum. Immerhin: Prominenter Gast ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der schon kurz nach Silvester Schuldige gefunden hatte: die Polizei. Auch jetzt weiß er, wer in der Türkei der Schuldige war: ein Syrer. Illner geht das zu schnell, sie holt sich Rückendeckung für ihre Meinung bei ihren Gästen - und verplempert damit viel Sendezeit.

Die deutschen Eliten seien zu misstrauisch gegenüber dem eigenen Volk

Das ist symptomatisch für die Diskussion, die seit Silvester Deutschland in Atem hält: Immer wird aufs Neue nach den Schuldigen gefragt und negiert, dass die Antwort durch Zeugenaussagen und polizeiliche Ermittlungen klar auf der Hand liegt.

Nur einer in der Runde ist bereit, das Problem klar zu benennen und nicht für sich zu instrumentalisieren: Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der Zeit. Die deutschen Eliten seien zu misstrauisch gegenüber dem eigenen Volk. Sie hätten Angst, die Dinge deutlich anzusprechen - aus Sorge, die Stimmung gegen Flüchtlinge könne kippen und wieder "etwas Schlimmes passieren". Dabei sei doch klar gewesen, dass wir nicht ein "Best of" der Flüchtlinge bekämen, sondern dass neben Zahnärzten und Handwerkern auch Groß- und Kleinkriminelle mit einwanderten.

Terrorismusexperte Guido Steinberg hat trotzdem zu berichten, dass Syrer unterdurchschnittlich oft kriminell auffällig würden. Im Gegensatz zu Marokkanern und Tunesiern, die überdurchschnittlich oft in der Kriminalitätsstatistik auftauchten. Und zwar nicht nur im Kleinkriminellenmilieu, sondern auch bei politischen Attentaten.

Dem Thema Kriminalstatistiken hatte Sebastian Fiedler, der NRW-Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Interessantes zuzufügen: Dass in Deutschland die Statistiken geschönt würden, indem man verkünde, die Kriminalität verringere sich in bestimmten Bereichen. Was allerdings daran liege, dass diese Bereiche personell ausgedünnt würden - also schlicht nicht bearbeitet.

Auf Cem Özdemir hätte man in dieser Sendung verzichten können

De Maizière hatte dazu ausnahmsweise nichts zu sagen, freute sich aber darüber, dass zumindest in der Sendung Konsens darüber bestand, dass man Dinge öffentlich aussprechen dürfe. Da sei er vor Wochen noch ganz anders angegangen worden, als er Zustände in Asylbewerberheimen öffentlich benannt habe. Nach Silvester habe sich diese Stimmung gewandelt, das fände er gut.

Auf den Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir hätte man in dieser Sendung verzichten können. Auch Frauenrechtlerin und Anwältin Seyran Ateş beschränkte sich auf Nachfragen - konnte aber erzählen, wie in der Türkei täglich dem Tod ins Auge geblickt wird: Die Toten würden in den Nachrichten nur noch als Nummern verlesen, die Leichen am Strand kaum noch wahrgenommen, so sehr habe man sich an den Anblick gewöhnt.

Immerhin davon ist Deutschland noch weit entfernt, wenn es sich leisten kann, darüber zu diskutieren, ob die reihenweise sexuelle Belästigung von Frauen nicht als silvesterliches "Grapschen" angesehen werden kann, wo ein paar mit dem Alkohol nicht vertraute Männer sich ein bisschen daneben benommen hätten. Der in der Sendung verlesene Polizeibericht spricht eine andere Sprache. Ob Deutschland sich davon massenweise einschüchtern lässt, hängt auch davon ab, ob es bereit ist, sich den eigenen Ängsten zu stellen, die auch mit unserer Vergangenheit zu tun haben.

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