Illner-Talk zu Terrorangst bei der EM 2016:Angst essen Sendung auf

Andre Schulz Bundesvorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter BDK Thomas Oppermann Fraktionsv

Maybrit Illner und ihre Gäste (von links): André Schulz, Thomas Oppermann, Jochen Breyer, Guido Steinberg, Gila Lustiger und Ulrich Wickert

(Foto: imago/Müller-Stauffenberg)

Bei Maybrit Illner übertrumpfen sich die Gäste gegenseitig mit Schauergeschichten zu möglichen Anschlägen während der EM in Frankreich - nur ein SPD-Mann hat da nichts beizutragen.

TV-Kritik von Jana Stegemann

Die Franzosen verstehen etwas von Macarons und Mode, von Savoir-vivre und Champagner - aber nichts von Sicherheitspolitik. So jedenfalls der Eindruck der Talkrunde. Maybrit Illners Haus- und Hof-Terrorismusexperte und Islamwissenschaftler Guido Steinberg fasste den Kern des EM-Dilemmas in einem Satz zusammen: "Die Franzosen sind in Sicherheitsfragen beratungsresistent - zumindest aus Deutschland."

Die Zusammenarbeit mit den französischen Behörden sei schwierig, die deutsche Regierung werde in der Sicherheitspolitik nicht ernstgenommen. Die Schuldigen hat Steinberg schnell benannt: "Viele Dinge, die eigentlich in den Neunzigern hätten besprochen werden müssen, als Schengen und Dublin verabschiedet wurden, sind einfach nicht gemacht worden. Da haben Politiker sich um die große Vision gekümmert, aber die Hausaufgaben, die das mit sich bringt, nicht gemacht. Das ist jetzt alles viel zu spät."

Ist Frankreich also nicht in der Lage, einen Anschlag während der EM zu verhindern?

Es ist wie am Lagerfeuer - nur ohne Wald und Stockbrot

Getalkt wurde bei Illner zu dem Thema: "Frankreich im Ausnahmezustand: Zwischen EM-Fieber und Terror-Angst". Geladen waren TV-Journalist Ulrich Wickert, ZDF-Sportmoderator Jochen Breyer, Kriminalhauptkommissar André Schulz (Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter), die Schriftstellerin und Frankreich-Expertin Gila Lustiger und der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann.

Waren zu Beginn viele noch der Meinung, dass "man sich von den Terroristen nicht den Spaß an der EM verderben lassen sollte", wurden schnell Schreckensszenarien ausgemalt und detailverliebt beschrieben. Eigentlich die typische Lagerfeuer-Situation - nur ohne Wald und Stockbrot. Jedenfalls versuchten sich alle gegenseitig mit Schauergeschichten zu übertrumpfen. Anschlagspläne und Attentate von früher und heute, Drohungen von IS-Sprechern, Warnungen vor unentdeckten Komplizen, die Unfähigkeit Frankreichs im Umgang mit seinen Dschihadisten, die Düsseldorfer Terrorzelle, die Kouachi-Brüder, britische Mittelstands-Terroristen und französische Banlieue-Problemkinder ... Wer der Runde länger zuhörte, dachte sich trotz bereits in der Kindheit gefestigtem Optimismus: Am besten bleibe ich jetzt vier Wochen zu Hause - versteckt unterm Bett.

Die Sicherheitslage habe sich durch "den unkontrollierten Flüchtlingsstrom" verschlechtert, wusste Steinberg, "der IS hat die Gunst der Stunde genutzt, als Westeuropa praktisch schutzlos war". Die Terrorgefahr sei akut, "gerade im Ramadan", so Steinberg. Oppermann ergänzte: "Der IS hat nicht nur die EM ins Visier genommen, er hat den ganzen Westen ins Visier genommen."

Der Sicherheitschef der WM 2006 in Deutschland, Helmut Spahn, hatte vor einigen Tagen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die mangelhafte Vorbereitung der Behörden vor Ort kritisiert: "In Frankreich herrscht noch immer das Verständnis der Grande Nation vor. Das heißt, man hat alles im Griff, braucht keinen Rat - das ist auch eine Mentalitätsfrage."

André Schulz, Sprachrohr von Deutschlands Kriminalbeamten, sah die Situation differenzierter als Steinberg und Spahn: "Der Austausch ist schwierig. Aber es steht mir nicht zu, den Franzosen Sicherheitsratschläge zu geben." Den 90 000 Sicherheitskräften stehen Schulz zufolge für die EM zwölf deutsche Polizisten zur Seite, mehr habe Frankreich nicht angefordert. "Bis Freitag durften die nicht mal eine Pistole mitnehmen, kein Deutscher darf bewaffnet in Paris sein."

"Terrorprävention fängt viel früher an, mit der Erziehung"

Dem Einwand von Gila Lustiger, dass niemand als Dschihadist geboren werde ("Terrorprävention fängt viel früher an, mit der Erziehung,") und erst die gescheiterte Integration die Terroristen zu dem gemacht habe, was sie sind, wurde von der Moderatorin wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Sportmoderator Beyer war vor allem da, um Werbung für seine EM-Reportage zu machen. SPD-Politiker Oppermann wurde von Illner mehrmals ermuntert, Erhellendes beizutragen, versteckte sich aber hinter AfD-Bashing, Parteiwerbung und der Anti-Terror-Datei.

Der glitzernde Eiffelturm durfte kurz ins Bild, als Illner die Außenreporterin auf der Fanmeile in Paris befragte. Auf 100 Besucher komme dort ein Sicherheitsmitarbeiter, erfuhren die Zuschauer. Was leider nicht vorkam: Wie die Fanmeilen und Stadien geschützt werden, was jeder Einzelne tun kann, um zu einer gewaltfreien und entspannten EM beizutragen, aktuelle Eindrücke aus dem Fan-Frankreich. Dem EM-Fieber spürte die Runde nicht nach, dafür schaffte sie es thematisch von Marine Le Pen über die Integration von Muslimen bis zu Gauland und Boateng.

Es gebe Aufrufe zum Terror - aber nichts Konkretes

Der Zuschauer erfährt, dass es in Deutschland in den kommenden vier Wochen etwa 60 Fanmeilen mit jeweils Kapazitäten für bis zu 700 000 Menschen gibt. "Es wurde aus verschiedenen Ecken zu einem Anschlag aufgerufen." Die Warnungen seien aber gleich laut, es gebe "nichts Konkretes", beruhigt Kriminalhauptkommissar Schulz dann doch noch.

Neben Terroristen beschäftigten die Polizei aber auch Links- und Rechtsradikale sowie Hooligans, die die Sportgroßveranstaltung als Plattform nutzen könnten. Um die 500 sogenannten Gefährder in Deutschland, also potenzielle Terroristen, kümmerten sich die Polizisten daher "in Maßen", sagt Schulz. An dieser Stelle wacht dann sogar Oppermann aus seiner Talk-Lethargie auf und beteuert energisch: "Terroristen werden in Deutschland rund um die Uhr bewacht."

Ulrich Wickert fühlte sich noch bemüßigt, an die Anschlagsserie des Jahres 1995 zu erinnern, als eine algerische Terrorgruppe in Paris mehrere Sprengsätze in U-Bahnen und Zügen zündete und insgesamt acht Menschen tötete: "Zur EM kann genau dasselbe überall wieder passieren. Attentate, die über Wochen gehen." Und Gila Lustiger hatte zwischenzeitlich noch ein ganz anderes Schreckensszenario recherchiert: "Ich habe mir die Wettervorhersage angeschaut, es wird in zwei Tagen regnen."

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