Serie "Hunters":Bitte recht real

Streamingserie ´Hunters"

Die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz hat die neue Streamingserie "Hunters" für die fiktive Darstellung von Nazi-Brutalität scharf angegriffen.

(Foto: dpa)
  • Die Serie Hunters mit Al Pacino und Logan Lerman wird derzeit heftig kritisiert, unter anderem wegen einer fiktiven KZ-Szene.
  • Sie überführt die Aufarbeitung des Holocaust in eine Trash-und Pulpserie - dabei hätte die Idee der Serie durchaus Potential.

Von Hans Hütt

Zu all dem Schrecklichen, das in Konzentrationslagern geschehen ist und das historisch dokumentiert ist, hat die kürzlich gestartete US-Serie Hunters einige Szenen hinzugefügt. Frei erfundene Szenen. Ein Schachspiel mit menschlichen Figuren zum Beispiel, die sich gegenseitig die Kehlen aufschlitzen müssen. Das hat der Serie, die auf Amazon Prime läuft, massive Kritik eingebracht.

Die Empörung ist nachvollziehbar. Aber um den Aufruhr zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf den historischen Kontext. Denn es gibt ein fiktionales Pendant zu dieser Serie, das aus den Siebzigern stammt. Die Kenntnis davon ist nötig, um das ideelle Potenzial zu verstehen, das in Hunters durchaus angelegt ist.

Diese TV-Serie erzählt die Geschichte der verfolgten jüdischen Arztfamilie Weiss zur Zeit des Nationalsozialismus: Holocaust, gedreht zum Teil in echten Gaskammern und uraufgeführt im April 1978, kam im Januar 1979 nach Deutschland. Gedreht wurde sie 1977 - in dem Jahr, in dem die Handlung von Hunters ihren Ausgang nimmt. Der WDR kaufte die deutschen Fernsehrechte, Holocaust lief wegen Uneinigkeit in der ARD zuerst in den dritten Programmen. In der Öffentlichkeit kam es zu Drohungen, Sendemasten des WDR wurden von Rechtsradikalen in die Luft gesprengt. Holocaust transformiere Auschwitz in die sinnvolle Struktur eines Albtraums, schrieb der Soziologe Detlev Claussen. Nobelpreisträger Elie Wiesel kritisierte die Serie als Seifenoper. Und immer wieder gab es auch den Vorwurf, Juden würden in dem Film als willige Opfer inszeniert.

Hunters gibt zudem nun auch ein Echo auf Hannah Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess in Jerusalem. Die deutsche Ausgabe des Buches von 1964 wurde im Piper-Verlag von Hans Rößner betreut, einem ehemaligen SS-Obersturmbannführer, was der Autorin nicht bekannt war. Arendt porträtierte Adolf Eichmann als Rädchen im Getriebe der industriellen Mordmaschine und übersah, wie Adolf Eichmann im Strafprozess seine tatsächliche Verantwortung kleinzureden versucht hatte. Die folgende Kritik an Arendt bezog sich auch auf das Versäumnis, keine jüdische Quellen konsultiert zu haben. Schließlich überzeichnete sie in ihrer Kritik die Kollaboration der Judenräte mit den Nazis. All das ist die Ausgangslage für Hunters.

Die Serie stellt die Geschichte auf den Kopf: Sie inszeniert wehrhafte Juden. Der Widerstand, dessen Fehlen Arendt beklagt hatte, wird fiktionalisiert nachgeliefert. Überlebende der Shoah jagen in den USA untergetauchte Nazis, die ihrerseits ihren Verfolgern nachstellen. Hunters-Autor David Weil verändert also die Opfer-Erzählung von Holocaust. Seine Helden ergeben sich nicht widerstandslos in ihr Schicksal wie die Familie Weiss. Die Großmutter des Autors dient ihm als Kronzeugin. Auch sie ist eine Überlebende der Shoah.

Screenshot aus der Amazon Serie "Hunters"; Credit: "Screenshot Amazon Studios"

Die umstrittene erfundene Szene aus Hunters: ein Schachbrett mit menschlichen Figuren in einem Konzentrationslager.

(Foto: Screenshot Amazon Studios)

Ein traumatisches Element der jüdischen Familiengeschichte: Viele Eltern und Großeltern haben fast nie mit ihren Kindern und Enkeln über ihre Leidensgeschichte gesprochen. Wenn doch, dann geschah das oft erst am Vorabend von Zeugenaussagen in den Strafprozessen.

Es geht hier nicht um einen Überbietungswettbewerb

Hunters ist eine Realfiktion. Sie überführt die mühselige Strafverfolgung - die Arbeit der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, die Bemühungen des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer und die Ermittlungen des Simon Wiesenthal Centers etwa - in eine Trash-und Pulp-Krimiserie. In der nehmen die überlebenden Opfer der Shoah die Rache an den Mördern ihrer Angehörigen in die eigene Hand, während ihre Gegenspieler als glühende Nazis den Plan verfolgen, die Vereinigten Staaten in ein "Viertes Reich" zu verwandeln.

Der Schauplatz ist New York City, das in den späten Siebzigerjahren so ranzig, so verseucht, so libertär, so zugekifft war, dass allein diese Reinszenierung der verfallenden Metropole einen eigenen Nostalgiepreis wert wäre. Die jugendlichen Helden um Jonah Heidelbaum erzählen, als Rahmen der blutigen Story, eine Coming-of-age-Geschichte. Sie reden über Star Wars, über Batman und Robin. Ihre Comic-Begeisterung ist das dramaturgische Leitmotiv der Serie, die Weil überbordend in Szene setzt. Wer liebt Oma mehr als ihr Enkel? Das ist das Leitmotiv für Jonah, sich an der Seite von Meyer Offerman, gespielt von Al Pacino, an der Verfolgung der Nazis zu beteiligen. Erzählerisch bedient sich Weil an der TV-Serie The Blacklist, in der auch üble Bösewichter einander nachstellen und sich dabei der Hilfe oberster Bundesbehörden bedienen.

Arte zeigt TV-Serie 'Holocaust'

Meryl Streep als Inga Helms Weiss in der Serie Holocaust.

(Foto: dpa)

Hinweise auf Quentin Tarantinos Film Inglourious Basterds und Mel Brooks' Komödie Frühling für Hitler verfehlen die Idee von Hunters. Denn es geht hier nicht um einen Überbietungswettbewerb, wer die grässlichsten Schurken in Szene setzt und damit das Publikum entsetzt, auch wenn Tarantino ebenfalls eine Rachefantasie erfüllt, die auf Grundlage der vorher gezeigten grässlichen Verbrechen ihre Rechtfertigung erlangt. Es geht um das Trauma der Überlebenden der Shoah und ihre Erinnerungen. Die Auschwitz-Gedenkstätte kritisiert an Hunters, Filmszenen wie das tödliche Schachspiel zwischen dem jüdischen Häftling Markus Brodt und dem SS-Mann Heinz Richter hätten nie stattgefunden. Und tut damit so, als gäbe es eine Authentizitätsregel, an die sich bei diesem Thema jeder zu halten hat. Die Industrie des Massenmords ermöglichte damals aber sadistische Willkür der Lagermannschaften als infame Zugabe.

Szenen wie das tödliche Schachspiel verleihen diesem Aspekt des Massenmordes Evidenz, nur eben nicht mit dem Anspruch eines Wahrheitsbeweises. Die Serie spielt mit dem Unfassbaren. Das kann man ihr vorwerfen, aber sie tut es mit Konsequenz. Allerdings: Blöde Witze, flache Dialoge und eine grauenvolle deutsche Synchronisation beschädigen die Idee.

Meyer Offerman, der Inspirator und Geldgeber der Nazijäger, wohnt in einer pompösen Villa in der Park Avenue und verfügt über die nötigen Mittel, die Ermittlungen seiner Truppe zu finanzieren. Jonahs Großmutter Ruth verdankt er das Überleben. Sie organisiert die Fahndung, bis sie, gleich zu Beginn der Serie, von einem von ihr verfolgten Nazi ermordet wird. Offerman hat sie geliebt. Er sagt, sein Rachefeldzug erfolge im Namen von sechs Millionen Klienten. Im Unterschied zu seiner Truppe wirken die Nazis wie Abziehbilder des Bösen. Die Serie inszeniert in bedrückend eleganten Bildern einen Teufelskreislauf von Gewalt im Stil eines Pulp-Comics. So verwandelt sie Abscheu bis zum Verdruss in Faszination. Aber auch die stimmigsten Bilder, die opulente Ausstattung und die brillante Besetzung können an dem Handicap der Serie nichts ändern, an ihrer trivialen Botschaft, dass Rache, und nicht ein gutes Leben, die beste Rache sei.

Hunters weckt einen verspäteten Schrei des Entsetzens, der das Publikum der Serie in Spießgesellen der abgefeimten Story verwandelt. Auch Nazis können ihr einen Stern verleihen.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise vom "Leo Wiesenthal Center" geschrieben. Richtig ist natürlich "Simon Wiesenthal Center".

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