Hotels im Fernsehen:Allzu tiefe Blicke durchs Schlüsselloch

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Im ZDF-Zweiteiler "Das Sacher" kreuzen sich wieder mal Schicksale in der Lobby eines Hotels. Das macht so schnell satt wie die berühmte Torte. Vergnüglich ist die Story trotzdem.

Von Gerhard Matzig

History sells: Julia Koschitz, Florian Stetter, Ursula Strauss, Laurence Rupp und Josefine Preuss in "Das Sacher". (Foto: dpa)

Das neue Jahrhundert, es ist das 20. Jahrhundert der Moderne, das im Jahr 1900 eingeläutet wird, ist erst ein paar Sekunden alt. Aber es ist schon viel Champagner geflossen. Und es sind schon viele tiefe, sehr tiefe, ja dank einer gnädigen Regie auch allzu tiefe Blicke getauscht worden. Inmitten von Korkenknall und Tanzmusik. Wir sind im Hotel Sacher in Wien.

Verbotene Blicke sind das. Einerseits zwischen der aus Ungarn stammenden Prinzessin Konstanze von Traunstein, dem "Stanzerl", die eigentlich eine erfolgreiche Schriftstellerin ist, und dem Berliner Verleger Maximilian Aderhold, der eigentlich ein erfolg- bis talentloser Schriftsteller ist. Und andererseits sind es nicht minder verbotene Blicke zwischen des Verlegers Gattin, Martha Aderhold, die eigentlich ein guter Mensch ist, und der Prinzessin Gatten Hans-Georg, der eigentlich auch ein guter Mensch, wenn nicht sogar Sozialist ist. Die einen, die Traunsteins, sind seit drei Monaten verheiratet. Die anderen, die Aderholds, seit ein paar Tagen. Tja, denkt man, dumm gelaufen: Alle sind nun irgendwie falsch verheiratet. Und natürlich ist ein Hotel gar kein schlechter Ort, um das herauszufinden.

Die Sachertorte muss herumwandern. Immerzu.

Zu diesem Zeitpunkt, zwischen Vergangenheit und Zukunft, gerade schlägt es 1900, weiß man eigentlich schon alles. Die Literaten hatten wunderbar skandalösen und somit transehelichen Sex. Und die guten Menschen werden ihn in einer postehelichen Version auch noch haben. Denn ihre Zeit kommt noch. Und wenn ganz am Schluss die anfänglichen Ehebrecher schon tapfer verstorben sind und die Gehörnten sich zärtlich-scheu einander auf dem Sofa im immer noch prunkvollen, wenn auch demnächst elenden Zwischenkriegs-Sacher zuwenden, dann ist man den Tränen nahe. Dazwischen muss halt nur erst die Moderne anbrechen und das Habsburgerreich des k. u. k. Küssdiehand-Vielvölkerstaates untergehen. Und ein Verbrechen muss in den Katakomben der Oper aufgeklärt werden. Und die Sachertorte muss herumwandern. Immerzu. Und der Portier, der fabelhafte Mayr ist es, muss ein Philosoph, mindestens aber "ein Feldherr" sein.

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Aber das weiß man alles längst. Wie auch nicht. Denn wir befinden uns nicht nur in der ersten Minute des Jahres 1900, sondern auch in der 40. Minute der zweiten Folge von Das Sacher. In bester Gesellschaft. Das zweiteilige - ja was? - Historienspiel über den Niedergang einer Epoche, das zugleich ein Biopic ist (über Anna Sacher), ist zugleich auch eine Ménage-à-quatre-Liebesgeschichte und zugleich auch, abgesehen davon, dass es zugleich ein Thriller sein will, die Geschichte eines berühmten Hotels. Dreieinhalb Stunden Fernsehzeit gehen dabei locker drauf.

Würde man jetzt sagen, man hätte sich nicht sahneprima dabei unterhalten, dann wäre man den Schlagobers auf dem Verlängerten nicht wert. Hilfreich ist es aber schon, wenn man das Sacher für eines der besten Hotels der Welt hält, wenn man generell Hotels für literarische, ja magische Orte hält, wenn man auf dem Grunde seines Herzens ein Sissi-Fan und Kaisertreuer ist - und wenn man die Farben dieses Zweiteilers mag: Schönbrunner Gelb, Samtrot, das Violett der Pagen, weiße Schürzchen und Häubchen, sehr viel Schatten und noch mehr Sepia. Unterlegt von so manchem Streichersatz. Ist das Kitsch? Ja, aber auch dabei gilt: Kitsch as kitsch can. Und Oliver Berben, einer der Produzenten, der kann es. Wien kann es sowieso. Manche Kamerafahrt, betretene bis vielsagende Blicke im Blick, dauert dann halt ungefähr so lange wie eine Fiakerfahrt durch den Zentralfriedhof.

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(Foto: ZDF und Petro Domenigg)

Stets zu Diensten: Sacher-Portier Mayr (Robert Palfrader) hat den Überblick,...

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(Foto: Stephanie Kulbach)

...das Personal im Hotel Adlon blütenweiße Handschuhe...

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(Foto: dpa)

...und Roy Black hochgekrempelte Ärmel sowie ein Schloss am Wörthersee.

Eine Art "Zauberberg", befreit von allzu literarischen Ambitionen

Vom "raunenden Imperfekt der Geschichte" hat Thomas Mann gesprochen, als er seinen "Zauberberg" als Statik in der Dynamik der Zeitenwende entwarf. Sepia, muss man sagen, die Hauptfarbe des sonst auch gern schokobraunen und marillegelben Zweiteilers rund um das Sacher, ist auch so ein raunendes Imperfekt. Und Das Sacher ist eine Art "Zauberberg", befreit von allzu literarischen Ambitionen. History sells. Vergnüglich ist die Story dennoch. Zeitenwende light sozusagen. Samt Darstellern, denen man gern zusieht: Peter Simonischek etwa, Dietmar Bär oder, großartig diabolisch, Robert Stadlober als "Meine Verehrung, Lechner, Polizeihospitant, Ihr untertänigster Diener". Schon an dieser Stelle wünscht man sich, das Habsburgerreich wäre nicht untergegangen. Übrigens: Das sind nur die (durchweg glücklich besetzten) Nebenrollen.

Wobei nichts allzu Übles über die Großakteure gesagt sein soll, vor allem über Ursula Strauss als Anna Sacher, Josefine Preuß als Konstanze und Julia Koschitz als Martha. Denen hätte es womöglich auch gefallen, müssten sie nicht so arg eindeutig spielen. Man hat dann schon bald kapiert, dass es hier um tapfere Frauen und neue Geschlechterrollen geht. Frau Sacher muss deshalb nicht immerzu Zigarren paffen und sagen: "Ich bin der Herr im Haus."

In Minute eins des Zweiteilers kreuzen sich überdies nicht nur die Schicksale in der Lobby des Sacher - die Regie will auch, dass es jeder sogleich versteht. Versteht. Versteht. Deshalb müssen sich die Protagonisten anstieren, vom großen Bimbam des Schicksals getroffen, wie man das einfach nicht macht, schon gar nicht im Sacher.

Hotels sind "Metaphern für die Lebensreise"

Dass Das Sacher höchstwahrscheinlich ein Publikumserfolg ist, dafür garantiert eigentlich schon die Drehbuchautorin und Schriftstellerin Rodica Doehnert. Von ihr stammte bereits die dreiteilige Familiensaga Das Adlon in der Regie von Uli Edel (2013). Die Quoten waren exzellent. Und der Sacher-Roman von Doehnert läuft jetzt schon so gut wie die Torte. Beide machen relativ schnell satt. Hochsympathisch ist übrigens, dass man Doehnert am Telefon in ihrer Küche in der Uckermark erwischt - und nicht in einem verblassten Grand-Hotel-Mythos. "Tatsächlich bin ich am liebsten zu Hause", sagt sie, "und wenn schon auf Reisen, dann übernachte ich gern im Motel One. In jeder Stadt der Welt weiß ich, was mich dort erwartet und worauf ich mich verlassen kann."

Trotzdem mag sie Hotels "als Metapher für die Lebensreise - man macht Station, ruht aus und betrachtet sich in fremden Spiegeln. Vielleicht entdeckt man sich darin neu. Das mag ich an Hotels. Es sind Orte der Transformation. Und im Fall von Adlon oder Sacher natürlich auch großartige Schauplätze der Geschichte, in denen sich nicht nur die individuellen Schicksale begegnen, sondern auch die Zeitläufte."

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Das ist wohl auch die Erklärung, warum das Hotel so ein ideales Setting ist für Fiktionen aller Art. "Hotels", sagt Doehnert, "sind die Rahmen für die Handlungen." Das reicht, auf Papier, von Vicki Baums Bestseller "Menschen im Hotel" über "Das Hotel New Hampshire " von John Irving bis, ganz aktuell, zu David Wagners "Ein Zimmer im Hotel". In den Worten von Joseph Roth, der 1929 schrieb: "Hier, in der Halle, bleibe ich sitzen, sie ist Heimat und die Welt, die Fremde und die Nähe ..."

So ergeht es auch Bill Murray in Lost in Translation, was übrigens der wohl traurigste Film ist, der je einem Hotel als Schauplatz der Ereignisse gewidmet wurde. Der spannendste? Den Titel teilen sich Norman Bates' Psycho-Motel und das verlassene Berghotel in Colorado ( Shining). Und das lustigste Hotel? Fraglos das Zuckerbäckerklamaukwunderwerk aus Manche mögen's heiß.

Kein Wunder also, dass Hotels auch zum festen Inventar der TV-Geschichte gehören: ob in Form der deutschen Serien Ein Schloss am Wörthersee und Das Traumhotel oder - ganz anders geartet - der neuen Serie der Downton -Abbey-Macher, The Halycon, die in einem Londoner Luxushotel zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt.

Zwei Dinge sind es, die aus einem Hotel einen magischen Ort machen. Erstens der Blick durch das Schlüsselloch auf die fernen Galaxien fremder Schichten und Biografien. Näher als der Page wird der anmutig nackten Prinzessin von Traunstein wohl niemand kommen. Unglückliche Literaten mal ausgenommen. Und zweitens geht es um die Möglichkeit, sich im Hotel für kurze Zeit jenen Sehnsüchten und Projektionen hinzugeben, die im Alltag verboten oder einfach zu alltäglich sind. Das Hotel ist genau das, was dem Alltag entrückt ist: eine Sphäre des vertrauten Befremdens. Deshalb sind die eigentlichen Helden des Sacher-Zweiteilers auch zwei Bedienstete. Der eine schaut immer weg - und der andere ganz genau hin. Nichts anders tun wir im Hotel. Daher lieben wir es. Und gucken uns sogar Filme darüber an.

Das Sacher. In bester Gesellschaft, ZDF, 16. und 18. Januar, 20.15 Uhr.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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