Homosexualität in der Filmbranche:Die Angst des Schauspielers beim Coming-Out

Bettgeflüster 1959 Jan Morrow DORIS DAY ahnt nicht daß sich hinter dem charmanten Rex ROCK HUD

Filme wie "Bettgeflüster" machten Rock Hudson und Doris Day in den 50er und 60er Jahren zum Hollywood-Traumpaar. Dass Hudson eigentlich Männer liebte, erfuhr die Öffentlichkeit damals nicht.

(Foto: United Archives / imago)

Die Namen prominenter Schauspieler, die offen homosexuell sind, kann man in Deutschland an einer Hand abzählen. Woran liegt das? Eine Recherche

Von Luise Checchin

Til Schindler ist 24 Jahre alt, er ist blond, hochgewachsen, hat sehr symmetrische Gesichtszüge, große blaue Augen und er ist offen schwul. Letzteres wird hier erwähnt, weil Schindler noch etwas anderes ist: Schauspieler. Im Augenblick studiert er Darstellende Kunst an der Berliner UdK, er ist in mal kleineren, mal größeren Filmrollen zu sehen. Schindler hat kurz gezögert, bevor er ein Interview zusagte. Könnte es seiner Karriere schaden, fragte er sich, wenn nicht nur sein Umfeld, sondern die ganze Branche wüsste, dass er schwul ist?

Schindler hat kaum Anhaltspunkte, die ihm helfen könnten, diese Frage zu beantworten. Die Namen wirklich prominenter Schauspieler und Schauspielerinnen, die offen homosexuell sind, kann man in Deutschland an einer Hand abzählen. Ulrike Folkerts fällt einem ein, Maren Kroymann, Gustav Peter Wöhler und Clemens Schick.

Ist das nun Zufall? Gibt es einfach nicht mehr Homosexuelle unter den deutschen Filmschauspielern? Oder reden sie nur nicht darüber, weil es Privatsache ist? Til Schindler, dem man diese Frage in einem dieser Berliner Cafés stellt, die einen glauben machen, das Schlimmste, was der Welt passieren könnte, wäre ein Mangel an Sojamilch, lässt sich Zeit mit der Antwort. Er buttert seinen Toast, schaufelt eine Portion Rührei drauf und sagt dann sehr sachlich: "Ich könnte mindestens fünf Namen von Leuten nennen, die sehr bekannt sind, von denen es niemand weiß. Ich mache es natürlich nicht. Aber das ist doch ein sehr eindeutiges Zeichen dafür, dass etwas falsch läuft."

Anruf bei Gustav Peter Wöhler, der seit vierzig Jahren offen schwul ist. Auch Wöhler kennt eine Reihe von Kollegen, die ihre Homosexualität nicht öffentlich machen wollen. So wie fast jeder aus der Filmbranche, den man auf das Thema anspricht. "Da liegt ein Problem und selbst wir untereinander sprechen nicht darüber", sagt Wöhler. Nun ist es keine Besonderheit, dass Homosexuelle am Arbeitsplatz vor einem Coming-Out zurückschrecken. Untersuchungen zeigen, dass noch immer viele von ihnen Diskriminierung erleben. Möglich also, dass sich in der Schauspielbranche nur zeigt, was auch alle anderen Bereiche der Gesellschaft durchzieht. Wöhler hat sich, erzählt er, im Laufe seiner Karriere auch dumme Kommentare anhören müssen, insgesamt aber spürt der 61-Jährige im Arbeitsalltag keine großen Ressentiments. Ist da also noch etwas anderes, etwas, das speziell Schauspieler daran hindert, sich zu outen?

Wöhler erinnert sich an ein Gespräch vor etwa zehn Jahren. Ein nicht geouteter Kollege sprach ihn an: "Gustav, warum machst du das?" Er sei eben schwul, habe Wöhler geantwortet, also rede er auch darüber. "Ich will das nicht", habe der Kollege gesagt, "ich habe Angst, dass ich dann keine Rollen mehr finde." Die Angst vor dem Karriereknick, vor weniger oder anderen Rollen, das ist ein Motiv, das in allen Gesprächen für diese Recherche irgendwann auftaucht. Ist diese Angst begründet? Wöhler tut sich schwer, das zu beantworten. Er ist geoutet seit er ein Schauspielschüler ist, seine gesamte Karriere über war die Homosexualität Teil seiner öffentlichen Person. Wöhler kann also nicht sagen, ob ihm andere Rollen angeboten worden wären, wenn niemand von seiner Homosexualität gewusst hätte.

Maren Kroymann dagegen weiß, wie es sich anfühlt, sich als Prominente zu outen. 1993 sprach sie im Stern zum ersten Mal über ihr Lesbischsein. Da war sie 43 Jahre alt, hatte Hauptrollen in erfolgreichen Serien gespielt und gerade mit Nachtschwester Kroymann ihre eigene Satiresendung in der ARD bekommen, als erste Frau überhaupt. "Die Senderoberen waren damals definitiv nicht amused", erzählt Kroymann, als man sie zum Gespräch trifft. Es klingt, wie fast alles, was sie zu diesem Thema zu sagen hat, halb aufgebracht und halb belustigt. Ihre Sendung durfte Kroymann damals behalten, aber Rollenangebote blieben erst einmal aus. "Ein Jahr war gar nichts, dann ging es langsam weiter", erinnert sie sich. Inwiefern das mit ihrem Outing zusammenhing, war Kroymann damals nicht klar. "Ich war wirklich grundoptimistisch und dachte: Kann ja an mir liegen, vielleicht habe ich nicht gut genug gespielt. Viel später haben mir Kollegen dann gesteckt, dass sie damals mehrfach meinen Namen haben fallen lassen, aber da war nichts zu machen."

"Das war völlig absurd, denn ich kann einfach gut Heterosexuelle spielen"

Kroymann spielt seit Längerem wieder in großen Produktionen. Trotzdem hat es etwa zwanzig Jahre gedauert, sagt sie, bis sie das Gefühl hatte, ihr würden wieder Rollen mit einer glaubhaften heterosexuelle Liebesgeschichte angeboten. "Das war völlig absurd, denn ich kann einfach gut Heterosexuelle spielen. Das ist ja auch eine Typfrage. Ich kann gut Geliebte, Ehefrauen und so etwas verkörpern."

Nun sind seit Kroymanns Coming-Out 25 Jahre vergangen. Würde in Deutschland 2018 jemand einen Schauspieler tatsächlich nicht besetzen, weil er homosexuell ist? Vielleicht kann Daniela Tolkien darauf eine Antwort geben. Tolkien ist Casterin; es ist ihr Job, bei Produktionen Vorschläge für die Besetzung zu machen. Und sie hat, völlig ohne es zu beabsichtigen, im vorigen Sommer bei einigen in der Branche für Unmut gesorgt. Während einer Podiumsdiskussion des Bundesverbandes Casting zum Thema Besetzung und Diversität wurde sie gefragt, ob es für offen homosexuelle Schauspieler heute noch ein Problem sei, heterosexuell besetzt zu werden. Ja, das sei ein Problem, antwortete Tolkien darauf. Sie habe es selbst schon drei Mal erlebt, dass ein schwuler Schauspieler für eine Rolle abgelehnt wurde, weil man ihm nicht zutraute, glaubhaft eine heterosexuelle Liebesgeschichte zu spielen. Und dann sagte sie folgenden Satz: "Ich würde einem Schauspieler nie raten, sich zu outen."

So würde sie das heute nicht mehr formulieren, stellt Tolkien klar, als man sie in ihrem Büro in einem Münchner Hinterhof besucht. Sie habe wahnsinnig viele Reaktionen darauf bekommen, einige begeistert, wegen ihrer Offenheit, einige empört. In den Wochen nach der Podiumsdiskussion hat Tolkien viele Gespräche geführt, heute sagt sie: "Ich finde, dass jeder sein Leben so leben sollte, dass er mit sich im Reinen ist." Trotzdem sei in ihrer Arbeit mit Regisseuren und Produzenten die sexuelle Orientierung eines Schauspielers leider ein Thema. "Es hat einen Einfluss. Wenn mich jemand fragt, ob ein Schauspieler schwul ist, sage ich immer: 'Das weiß ich nicht'. Auch wenn ich es weiß."

Je länger man allerdings mit Tolkien redet, desto nachdenklicher wird sie. Ihrer Erfahrung nach seien vor allem homosexuelle Männer betroffen, Frauen hätten bei der Rollenvergabe weniger Probleme. Und einen pauschalen Karrierenachteil hätten auch schwule Männer nicht. "Es geht", konstatiert sie, "nur um eine bestimmte Art von Rollen. Und das sind die Love-Interest-Rollen." Und auch da schränkt sie noch ein: "Ich glaube, sich als schwuler Schauspieler zu outen, ist nur problematisch auf dem ganz obersten Level."

Verstecken einige Schauspieler ihre sexuelle Orientierung also, obwohl sie gar nichts zu befürchten hätten? Und was ist mit den anderen? Würde die Branche, würde das Publikum sich wirklich von einem beliebten Schauspieler abwenden, nur weil er schwul ist? In der Konsequenz hieße das, dass Zuschauer einem Schauspieler Figuren nur abnehmen könnten, wenn die mit seinem Privatleben übereinstimmen - egal, wie gut er spielt. Sollte man dem deutschen Publikum tatsächlich einen solchen Mangel an Abstraktionsfähigkeit unterstellen? Heterosexuelle Schauspieler übernehmen schließlich immer wieder homosexuelle Rollen, ohne dass es ihnen schadet. Im Gegenteil, häufig werden sie gerade dafür besonders gefeiert.

Das Dilemma ist: Solange kaum jemand ein Outing riskiert, ist es schwierig, zu sagen, wie hoch das Risiko tatsächlich ist. Das Beispiel von Clemens Schick allerdings, des einzigen prominenten deutschen Schauspielers, der sich in den vergangenen Jahren geoutet hat, scheint Tolkiens differenziertere Analyse zu stützen. Schick hat seit seinem Coming-Out im Jahr 2014 viel gedreht, national und international. Er ist auch als Vater und als heterosexueller Liebhaber besetzt worden, selten zwar, aber das waren schon vor seinem Coming-Out nicht die Figuren, die er häufig spielte. Kürzlich spielte Schick im "Barcelona-Krimi" der ARD den bisexuellen Kommissar Xavi Benot. In Interviews zum Fernsehstart auf sein eigenes Coming-Out angesprochen, blieb er einsilbig. Auch für diesen Text wollte sich Schick nicht äußern. Es scheint, als habe er zu dem Thema alles gesagt, was ihm wichtig ist.

Doch auch wenn Schick heute bewusst beiläufig mit seiner Homosexualität umgeht, war sein Coming-Out 2014 explizit als gesellschaftliches Statement deklariert. Schick ist, genauso wie Kroymann, Wöhler und auch Schindler, ein sehr politischer Mensch. Alle vier treibt der Wunsch an, etwas zu verändern, und sie nehmen es in Kauf, sich dafür zu exponieren. Kann, darf man das von anderen homosexuellen Schauspielern erwarten? Haben sie nicht ein Recht darauf, ihr Privatleben privat zu halten? Das Recht habe natürlich jeder, stimmt Schindler zu. Aber das Ziel müsse doch sein, Homosexualität genauso offen leben zu können wie Heterosexualität. Schindler hat einen nicht-geouteten Schauspieler-Bekannten, der schon gut im Geschäft ist. "Der kann noch nicht mal seinen Freund in der U-Bahn küssen", erzählt er. "Wenn du bekannt bist, heißt das ja, dass du dich und dein Begehren wirklich aktiv verstecken musst. Und das bedeutet eine hohe psychische Belastung."

Doch braucht es nicht andererseits auch eine gehörige Portion Mut, sich in einer Gesellschaft öffentlich zu outen, in der Homophobie immer noch alltäglich ist? Sicher, räumt Gustav Peter Wöhler ein, aber diesen Mut könne man heute aufbringen. "Das Entsetzliche ist ja", sagt er und klingt dabei wirklich verzweifelt, "man muss keine schwierigen Rätsel lösen, man muss nur sagen: 'Ich bin schwul'. Oder: 'Ich bin lesbisch'. Das muss man aber sagen, in das Gesicht der Gesellschaft. Und das tut weh. Weil die Gesellschaft haut zurück."

Til Schindler ist 1993 geboren, im selben Jahr, in dem Maren Kroymann ihr mediales Coming-Out hatte. Schindler hat schon alles Mögliche gespielt, die allermeisten seiner Figuren waren heterosexuell. Er hofft, dass es so weitergeht mit den Rollenangeboten. Er kann sich nicht erinnern, jemals etwas anderes gewollt zu haben, als zu spielen. Als er als Jugendlicher damit anfing, hätte er sich gewünscht, dass da ein Vorbild gewesen wäre. Ein Nachwuchsschauspieler, der schwul gewesen wäre und ganz offen darüber geredet hätte. Jetzt redet halt Schindler darüber. "Wenn", sagt er, als das Rührei längst aufgegessen ist, "nur ein homosexueller Jugendlicher, der darüber nachdenkt, Schauspiel zu machen, sieht, dass das möglich ist, dann hat es sich ja schon gelohnt."

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