Süddeutsche Zeitung

Homosexualität in der "Bravo":Total normal

Steht Hape Kerkeling wirklich auf Schwarze und liebte einst einen katholischen Priester? Nicht immer fiel es der "Bravo" so leicht, mit Schwulen umzugehen. Eine Ausstellung über Homosexualität in der "Bravo".

Jens Bisky

Am 11. Dezember 1991 rief die Redaktion des Teeniemagazins Bravo Hape Kerkeling in dessen Düsseldorfer Wohnung an. Es meldete sich "eine junge Stimme mit 'Büro Kerkeling'". Bravo fragte: "Gestern wurde von Rosa von Praunheim in der RTL plus-Sendung Explosiv - Der heiße Stuhl behauptet, Hape sei schwul. Gibt es dazu einen Kommentar von Hape oder Ihnen?" Antwort: "Aber natürlich ist Herr Kerkeling schwul. Warum soll er das nicht zugeben? Das ist doch nichts Außergewöhnliches ..." Nun wollte man doch genauer wissen, wen man da an der Strippe hatte. Die Antwort kam prompt: "Hier ist das Büro Kerkeling. Mein Name ist Gisbert Geikenbaum. Ich bin Transvestit, also ...Ich habe mich operieren lassen und heiße jetzt Gisela. Ich arbeite hier bei und für Herrn Kerkeling."

Der sei, erfährt man im Fortgang des Gesprächs schwul, von Praunheim habe ihm lange Zeit nachgestellt, ihn nicht kriegen können und dann aus Frust geoutet, aber Hape stehe mehr auf Schwarze und außerdem habe er seit Jahren ein glückliches Verhältnis mit einem katholischen Priester. Die Bravo-Redakteure trauten dem Ironieverständnis ihrer Leser nicht ganz, also schrieben sie neben ein Foto des einzigartig begabten Kerkeling: "Es war vollkommen klar, dass am Telefon Hape selbst war. Er hatte seine Stimme extrem verstellt, klang sehr weiblich und fast tuntig." Damals machte die Bravo, die seit 1956 erschien, zum ersten Mal eine Titelgeschichte über ein schwules Thema: "Soll man schwule Stars enttarnen?"

Etwa 2700 Hefte hat der Bibliothekar Erwin In het Panhuis, Jahrgang 1965, gesichtet, gut 1000 Beiträge über gleichgeschlechtliche Liebe gelesen und analysiert. In dem Buch "Aufklärung und Aufregung" kann man nun nachlesen, wie in der Generationen prägenden Jugendzeitschrift Schwule und Lesben dargestellt wurden. ("50 Jahre Schwule und Lesben in der Bravo", Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin 2010. 194 Seiten, 28 Euro). Eine Wanderausstellung zum Thema ist bis zum 2. Oktober in der Christuskirche in Köln zu sehen.

"Angst vor der Liebe eines Mannes"

Anfangs waren die Bravo-Leser mit 20 bis 25 Jahren etwas älter als in den Hochzeiten der achtziger und neunziger Jahre. Seit 1963 stand ihnen in Sexualdingen Dr. Vollmer zur Seite. Dahinter verbarg sich die Unterhaltungsschriftstellerin Marie Louise Fischer (1922 - 2005). In Fragen zur sexuellen Orientierung hatte sie klare Ansichten: Zärtlichkeiten unter Jungen seien "keineswegs ein Zeichen von Verweichlichung, von Verdorbenheit oder gar von einer abartigen Veranlagung. Das alles gehört zu einer Entwicklung, die umso schneller überwunden sein wird, je weniger sie von Erwachsenen beeinflusst wird." Die Liebe eines Mädchens zu einem Mädchen freilich nahm Dr. Vollmer nicht ernst: "Du hast einfach Angst vor der Liebe eines Mannes".

Die unqualifizierten Ratschläge sind kein Ruhmesblatt, aber es war ja noch immer der im Dritten Reich verschärfte Paragraf 175 in Kraft, dessen Geltung das Bundesverfassungsgericht in einem schändlichen Entschluss 1957 unter Verweis auf die "sittlichen Anschauungen des Volkes" noch einmal bekräftigt hatte. Bei der Bravo ging es aufwärts, seit der Psychotherapeut Dr. Martin Goldstein 1969 als Dr. Jochen Sommer das Aufklärungsgeschäft übernahm. Wie die "sittlichen Anschauungen" des Volkes sich wandelten, kann man dessen allmählich sachkundiger und verständnisvoller werdenden Antworten auf Leserfragen entnehmen.

Eine Speerspitze der Schwulenemanzipation und der sexuellen Selbstbestimmung wurde Bravo nicht. Man folgte hier dem Gang des Zeitgeistes. Aber das half schon. Die Einsichten und Argumente für die Gleichstellung von Homosexuellen und das Ende der engstirnigen und kaltherzigen Diskriminierung lagen spätestens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts vor. Ihre Durchschlagskraft gewannen sie dank dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren. Dass der Einfluss der christlichen Kirchen nachließ, trug ebenso dazu bei wie der Wissenschaftsglaube, die Neubewertung von Lust und die Machogesinnungen lächerlich machende Frauenbewegung.

Entscheidend aber dürfte das Bündnis zwischen Polit-Aktivisten und Unterhaltungsindustrie gewesen sein. Aufklärung und Voyeurismus, Liberalisierung und Geschäftssinn wirkten auch auf diesem Feld in eine Richtung und verstärkten einander in ihren Wirkungen. Die Geschichte der Bravo ist dafür ein Musterbeispiel. In den siebziger Jahren riskierte man sogar Konflikte mit der Obrigkeit. "Wenn Mädchen Mann und Frau spielen" und "Wenn zärtliche Hände den Liebespartner ersetzen" hießen zwei 1972 erschienene Reportagen, die auf Antrag des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung als jugendgefährdend indiziert wurden.

Blättert man heute in den alten Heften, wird man immer wieder auf vorurteilsgesättigte, halbwahre und verlogene Sätze stoßen, aber dennoch und trotz oft mäßiger Qualität wirkte die Bravo insgesamt segensreich. Der taz-Redakteur Jan Feddersen, Jahrgang 1957, erinnert: "Nichts vom damals Träumbaren war ein Tabu." Bravo habe für alle den "wichtigsten Tipp schlechthin" bereitgehalten: "Das Leben als sexuelles kann kompliziert sein, aber man muss sich austoben dürfen, jedoch nicht auf Kosten anderer."

Nie mehr ohne

Mit Rosa von Praunheims Enttarnungskampagne Anfang der neunziger Jahre erreichte das lange erfolgreiche Bündnis von Emanzipationsbewegung und Unterhaltungsindustrie einen Höhe- und Wendepunkt. Homosexualität wurde nun in rasantem Tempo etwas Normales. Keine Daily Soap, keine Star-Show kommt mehr ohne aus. Die Gesellschaft hat sich an schwule Bürgermeister und lesbische Paare auf dem Standesamt gewöhnt.

Die am besten gemachte schwul-lesbische Zeitschrift des Landes, die in Berlin erscheinende Siegessäule, fragt angesichts der Erfolge und neuen Selbstverständlichkeiten im jüngsten Heft, ob schwul-lesbisch ausgedient habe. Wie 1991 Hape Kerkeling erprobt man heute verschiedene Rollen statt der einen "Identität". Den Teenagern dabei zu helfen, auf dass es ihnen leichter und glücklicher gelinge als einst den Lesern von Dr.Vollmer oder Dr. Sommer, das wäre doch eine "schwul-lesbische Aufgabe".

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Quelle:
SZ vom 10.09.2010/leja
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