Süddeutsche Zeitung

Hörspiel "Tot im Leben":Und immer ist Krieg

Gewalt als Grunderfahrung, von Generation zu Generation weitergereicht: Mona Winter schildert in ihrem Hörspiel anhand dreier Frauen ein Menschheitstrauma.

Von Stefan Fischer

Irgendwann fährt die Mutter das mieseste aller Argumente auf: "Den Krieg haben Papi und Mami für dich überstanden. Durch uns hast du alle Kriege hinter dir." Ja, danke auch. Was diese Mutter sich da zusammenreimt, ist eine emotionale Erpressung ersten Grades und auch noch doppelt falsch. Denn warum sollte ausgerechnet der Krieg, der die Eltern so traumatisiert hat, tatsächlich der letzte sein und die Tochter also zwangsläufig vor einem weiteren, gewissermaßen eigenen verschonen? Außerdem hat die Tochter diesen Krieg, den sie selbst gar nicht unmittelbar miterlebt hat, keineswegs hinter sich. Er ist vielmehr extrem präsent, in den Erzählungen und Klagen und Beklemmungen der Mutter.

Tot im Leben ist ein Hörspiel der Autorin Mona Winter, die selbst auch Regie geführt hat, über drei Frauen, durch deren Leben sich der Krieg als bestimmendes äußeres und damit auch inneres Ereignis zieht. Die Mutter hat den Zweiten Weltkrieg als Kind durchlitten, ihre Tochter wiederum ist geprägt vom Leiden der Mutter. Und dann gibt es noch eine Frau, die dem syrischen Bürgerkrieg entronnen ist. Winter mixt in ihrem Stück sehr poetische Überlegungen mit den dokumentarischen Aussagen dieser Syrerin. Verwebt Philosophie und Mythologie mit der Lebensrealität.

Auch ein Klagegesang, der nicht frei ist von Selbstanklagen

Auf einer zentralen Erzählebene geht es um die Rolle der Frauen im Krieg, nicht lebenspraktisch gedacht, sondern ideell. Um die Frage, ob Frauen, die tendenziell des Kriegsheroentums unverdächtig sind, eher Kassandrarufe oder Sirenengesänge erschallen lassen. Ob sie also Stimmen der Vernunft sind, deren Warnungen vor Elend und Schrecken eines Krieges allzu oft unerhört verhallen. Oder ob sie nicht vielmehr Betörerinnen und Beschwörerinnen des Unheils sind.

Insofern ist Tot im Leben ein Klagegesang, der nicht frei ist von Selbstanklagen und ein paar ketzerischen Gedanken. Im Kern drückt sich in dem Hörspiel jedoch die Ohnmacht vor allem von AuchFrauen aus und die Vergeblichkeit darauf zu hoffen, dass sich irgendwann etwas ändern wird. Ganz am Anfang steht die Frage der Mutter: "Ist das nicht längst vorbei: unsere Geschichte?" Weil das, was jede Generation aufs Neue erlebt, nun einmal nur die Wiederholung dessen sei, was seit Anbeginn zu Ende erzählt ist: "Die Gesellschaft kontrolliert die Familie, die Familie kontrolliert die Kinder. So geht es immer weiter." Und das Mittel der Kontrolle ist eben die organisierte Gewalt.

Tot im Leben, ARD Audiothek

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