Hörspiel "Stille Nacht II":Familie fatal

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: SZ)

Fünf Menschen feiern Weihnachten im Videocall. Dem Hörspielautor Paul Plamper gelingt es, diese Geschichte so zu erzählen, dass man beim virtuellen Fest gerne dabei ist.

Von Stefan Fischer

"Wir werden das hoffentlich nie wieder erleben", barmt Amarillis in die Kamera ihres Computers. "Erleben? Ich erlebe hier nichts", ätzt ihre Mutter Iris zurück. Sie ist beleidigt, dass die Familie an Weihnachten nicht zusammenkommt, und wird das diese gesamte virtuelle Feier über auch bleiben. Irgendwie hätte es sich doch organisieren lassen, dass sich die Familie trifft, trotz der strengen Corona-Regeln, nörgelt sie in einem fort. Und gibt ihrer Tochter die Schuld daran, dass nun fünf Menschen getrennt voneinander an drei Orten vor Rechnern sitzen: sie und ihr Lebenspartner Stefan, die alleinerziehende Amarillis und deren Sohn Arthur sowie dessen Patenonkel Klaus.

Dem Autor und Regisseur Paul Plamper ist in seinem Hörspiel Stille Nacht II - Familien-Weihnacht im Videocall Erstaunliches gelungen. Er erzählt eine Geschichte, deren Thema man längst überdrüssig zu sein glaubt, auf eine Weise, dass man sie mit Gewinn und Vergnügen hört. Weil er sich nämlich nicht auf die oberflächlichen Effekte kapriziert und außerdem einen eleganten Weg findet, seine Komödie aus der Vergangenheit des Weihnachtsfestes 2020 in die Gegenwart und, in den letzten Minuten, sogar in die Zukunft zu verlängern.

Die Familienweihnacht wird dominiert von zwanghaften Verhaltensmustern

Vor acht Jahren bereits hat Plamper Stille Nacht (Ruhe 3) inszeniert, einen Höllentrip durch das Weihnachtsfest dieses Quintetts, das nun in Stille Nacht II wieder, wenn auch nur virtuell, zusammenkommt - im Übrigen auch mit demselben Sprecherensemble: Margarita Broich, Schorsch Kamerun, Caroline Peters, Franz Broich-Wuttke und Thomas Blisniewski. Bei dieser Familienweihnacht köchelt ein explosives Gemisch aus starren Traditionen und zwanghaften Verhaltensmustern vor sich hin. Jeder und jede meckert viel und ist schnell eingeschnappt. Die Geschenke bestimmen den Abend, weil sie alle einen Subtext haben - oder ihnen einer unterstellt wird -, der die Emotionen innerhalb dieses Fünfecks aufwallen lässt: Die Gefühle füreinander drücken sich in diesen Waren und ihrem (Nutz-)Wert aus.

In der Fortsetzung überdreht Plamper dieses fatale Gespinst noch weiter, wobei auch Stille Nacht II wieder viel mehr Komödie als Tragödie ist. Plamper ruht sich dabei nicht auf "Du musst den Ton anmachen"-Witzeleien aus, beobachtet jedoch sehr genau, wie sich eine Unterhaltung verschiebt, wenn fünf Menschen mittels Computern miteinander sprechen. Wie Rituale eine Gruppe einschnüren, zugleich aber auch stabilisieren, zeigt er in Wiederholungsschleifen. In seinem Hörspiel wird dreimal Weihnachten gefeiert: 2020, 2021 und 2022. Und man ahnt: Vieles davon lässt sich erbarmungslos ableiten auf die eigene Perspektive.

Stille Nacht II - Familien-Weihnacht im Videocall , WDR 3, 19. Dezember, 19.04 Uhr.

Stille Nacht (Ruhe 3) - Weihnachten wird ausgepackt , WDR 3, 18. Dezember, 19.04 Uhr; Bayern 2, 19. Dezember, 15.05 Uhr; DLF Kultur, 23. Dezember, 22.03 Uhr.

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