Süddeutsche Zeitung

Hörspiel "Silence Deluxe":Die Sonne verschwindet

Die Autoren und Musiker Wittmann und Zeitblom wollen Berge versenken und mit dem Weltall kämpfen. Kurz: die Welt aus den Angeln heben.

Von Stefan Fischer

Die Lichter gehen aus. Welch ein Segen. Schon deshalb, weil speziell im Hörspiel seit geraumer Zeit viel vom Immergleichen ins Rampenlicht gezerrt wird: Entweder bekommt man die Romanadaption wahlweise eines Bestsellers oder eines Klassikers zu hören oder aber einen selbstbezüglichen Identitätsdiskurs. Manchmal fällt beides in eins. Hin und wieder ist das spannend, anregend, auf positive Weise irritierend. Häufiger aber: erwartbar, verstümmelt (im Fall der literarischen Anverwandlungen) und gedankenflach (im Fall der Selbstfindungsstücke).

Im Hörspiel Silence Deluxe des Autoren- und Musikerduos wittmann/zeitblom verhandeln die im Dunkeln tappenden Figuren diese künstlerische Selbstkastration des Hörspiels mit: "Ich finde, man muss immer kompliziert bleiben", fordert eine Stimme. Etwas später indessen fragt eine andere, bezogen aufs eigene Stück: "Ist das nicht zu komplex?" Und nimmt damit vorweg, was bei den Öffentlich-Rechtlichen den Kreativen offenkundig, so jedenfalls der Höreindruck, allenthalben von den Zahlenmenschen empfohlen wird: lieber nicht anecken, besser noch gefälliger werden als ohnehin schon.

Können wir uns eine bessere Welt vorstellen als die, in der wir leben?

Wittmann und Zeitblom hingegen nehmen das Medium und das Publikum ernst. Sie erzählen in ihrem Stück Silence Deluxe, das sie eine Radio-Oper nennen, eine Geschichte, wie man sie nur im Hörspiel erzählen kann. Wo es kein Licht gibt und auch keines braucht. Wo das meiste Imagination ist und nur wenig ausgestaltet. Wo es nur Sound und Stimme gibt. Und keine Kunst-mit-Haltung-aber-dafür-ohne-Kunst-Kunst.

Die Sonne verschwindet. Für längere Zeit. Mit dieser Disruption beginnt Silence Deluxe. Der Himmel färbt sich indigoblau, das Gras schimmert grau. "Alles scheint wie aus einem künftigen Jahrhundert erinnert." Jemand sieht Schienen und behauptet, sie würden zu Bahnhöfen führen. Woher er das wisse, wird er gefragt. Weshalb sonst sollten die Schienen verlegt worden sein, entgegnet der Jemand.

"Ständig wird das Althergebrachte gepredigt", heißt es später, als es längst nicht mehr um Schienen geht. Sondern um das große Ganze. Braucht es eine Revolution, damit nicht immer bloß das Erwart- und Planbare eintritt? Nahrung, Schlaf, Mobilität, Sexualität, Ordnung, Freizeit, Selbstwert, Freiheit - müsse man all das nicht Spekulanten und Investoren entziehen, damit die Welt eine bessere wird? Denn, so schlimm ist es gekommen: "Wir haben die Utopie beerdigt, weil wir uns keine bessere Welt vorstellen können als die, in der wir leben."

Müssen wir nicht vielmehr kollektiv, wie es der Maler Kasimir Malewitsch vor hundert Jahren getan hat, die Sonne durch ein schwarzes Quadrat ersetzen? Um unsere Fantasien freizusetzen. Malewitsch ist eine Inspiration für Silence Deluxe, vor allem die futuristische Oper Sieg über die Sonne, die er 1913 gemeinsam mit Alexei Krutschonych, Welimir Chlebnikow und Michail Matjuschin realisiert hat. Die Radio-Oper Silence Deluxe unterläuft insofern Erwartungen, als sie musikalisch weder opulent noch orchestral ist. wittmann/zeitblom komponiert haben einen feinen elektronischen Sound komponiert, ohne nennenswerte Melodieführung. Das Hörspiel ist der Aufbruch zu einer Reise ohne konkretes Ziel, jedoch mit immensen Herausforderungen: "Wir beginnen den Kampf gegen das Weltall. Wir versenken die Berge."

Silence Deluxe, DLF, 15. April 2023, 20.05 Uhr.

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