Süddeutsche Zeitung

Hörspiel:Reise zur Unzeit

Die Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach ging kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf eine abenteuerliche Reise - die Entwicklungen in Europa begleiteten sie bis nach Indien. Sie waren global das Thema.

Von Stefan Fischer

Ob sie nur die Vorhut sei, wird Annemarie Schwarzenbach auf dem Balkan gefragt. Ob also eines nicht fernen Tages auch Hitler bis hier her kommen werde. Nun war Schwarzenbach Schweizerin, und die Schriftstellerin hat sich im Widerstand gegen die Nazis engagiert. Aber für Menschen auf dem Balkan war sie eben eine Deutschsprachige, die im Sommer 1939 argwöhnisch beäugt wurde. Es waren die Wochen vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, als Annemarie Schwarzenbach mit Ella Maillart auf eine abenteuerliche Reise aufgebrochen ist, über Jugoslawien, die Türkei und Afghanistan bis nach Indien. Die Frauen haben sich von den unheilvollen Entwicklungen in Europa also immer weiter entfernt. Und doch rückte ihnen das Geschehen auf der Reise immer näher, es war global das Thema.

Schwarzenbach hat zeitlebens - 1942 starb sie mit 34 an den Folgen eines Fahrradunfalls - viel veröffentlicht. Die Aufzeichnungen über diese Reise zur vermeintlichen Unzeit sind jedoch erst 2000 unter dem Titel Alle Wege sind offen publiziert worden. Stefanie Ramb hat daraus ein Hörspiel destilliert. Wiebke Puls, Laura Maire und Paul Herwig zeichnen die Reise nach, vor dem Hintergrund einer von traditioneller Musik beeinflussten, dabei äußerst artifiziellen Komposition Saam Schlammingers. Ähnlich verhält es sich mit der Geräuschatmosphäre, die nur am Anfang real klingt. Es geht auf vielfältige Weise um Freiheit - und um Wahrheit. Und darum, dass nicht nur der erste Augenschein, sondern auch der erste Höreindruck täuschen kann. Insofern fand die Reise zur rechten Zeit statt: als Ideologie wichtiger war als Tatsachen.

Alle Wege sind offen, Bayern 2, Samstag, 15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2018
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