Süddeutsche Zeitung

Hörspiel "Funken der Liebe":Sprachgewitter

Das erste erhaltene deutsche Hörspiel hat 1929 die Rolle des jungen Rundfunks reflektiert. "Funken der Liebe" adaptiert dieses Stück klug und klangvoll für die Gegenwart.

Von Stefan Fischer

Ein eisiger Wind pfeift. Er übertönt beinahe diesen stetig wiederholten Funkspruch, der ein verzweifelter Hilferuf aus der Arktis ist. 1928 war das Luftschiff Italia auf der zum Spitzbergenarchipel gehörigen Insel Foynøya havariert, die Besatzung hoffte auf Rettung. Sie glückte, im Zuge einer beispiellosen internationalen Hilfsaktion.

Friedrich Wolf hat diese unter großem Einsatz abgemilderte Katastrophe ein Jahr später zum Gegenstand seines Hörspiels SOS...rao rao...Foyn gemacht - es ist das älteste erhaltene in der deutschen Rundfunkgeschichte. Darin spielt das seinerzeit junge Medium selbst eine Rolle, akustisch und figurativ. Ohne Funker und Radiostationen hätte die Besatzung der Italia nicht auf ihre Notlage aufmerksam machen und die Rettungsaktion nicht koordiniert werden können.

Heiko Michels und das Ensemble Limited Blindness adaptieren SOS...rao rao...Foyn nun in ihrem Hörspiel Funken der Liebe. Ihr Stück ist weitaus mehr als ein bloßes Remake. Zwar folgt es dem Manuskript Wolfs, ergänzt es inhaltlich und akustisch aber noch um etliche Aspekte. Die Atmosphäre aus Geräuschen ist weitaus komplexer, Funken der Liebe zitiert überdies weitere Meilensteine des Rundfunks, darunter eine Rede Albert Einsteins zur Eröffnung der Berliner Funkausstellung 1930, die Funkoper Der Ozeanflug von Bertolt Brecht und eine frühe Radiowerbung. Der mediale Kontext wird auf diese Weise größer.

Die Utopie vom Rundfunk als basisdemokratisches Medium

Die Beschleunigung medialer Kommunikation, die mit der Nutzung der Funkwellen einsetzte, denkt Heiko Michels in seinem Stück weiter bis in die Gegenwart. Speziell den Aspekt, wer diese Kommunikation beherrscht, wer die Mittel und die Befähigung dazu hat; und was mit jenen ist, die ausgeschlossen bleiben (wollen). Auch hat Michels etliche Störgeräusche eingebaut, nicht nur die technikbedingten des Jahres 1928.

Funken der Liebe enthält demnach eine Reihe von Widerhaken. Dennoch hält das Hörspiel fest an dem utopischen Versprechen, dass der Rundfunk ein Medium mit einem großen demokratischen, sogar basisdemokratischen Potenzial ist, trotz gegenteiliger Erfahrungen im "Dritten Reich". Und deshalb sendet es RBB Kultur auch wie seit Längerem geplant jetzt, auf die Gefahr hin anzuecken: Es war ein russischer Amateurfunker, der den Notruf der Italia auffing, und maßgeblich war die junge sowjetische Marine bei der Durchführung der Rettungsaktion. Entsprechende Heldenrollen nehmen sie ein. Funken der Liebe wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine abzusetzen wäre "zu kurz gedacht", argumentiert das Ensemble Limited Blindness: führe das Drama doch gerade "den Wert des Lebens und der gegenseitigen Hilfe gegen alle Formen von Ideologie, Abstraktion und medialer Verblendung vor Augen". Das Hörspiel handelt von Solidarität.

Funken der Liebe, RBB Kultur, Freitag, 19 Uhr.

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