Hörspiel:Das Raum-Zeit-Durcheinander

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(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Jetzt, da alles Russische unter Generalverdacht steht, ist ein Hörspiel nach den grotesken Erzählungen des Komponisten Prokofjew ein kleiner Lichtblick.

Von Stefan Fischer

Immerhin spielt der Mann nicht Block- oder - schlimmer noch - Panflöte. Aber schon die Idee, die Kompositionen von Sergej Sergejewitsch Prokofjew für Gitarre zu adaptieren und mit diesen Ein-Instrument-Bearbeitungen dann auf eine Konzertreise zu gehen, klingt reichlich absurd. "Die Liebe zu den drei Orangen", schramm-schramm, "Peter und der Wolf", schrumm-schrumm. Herrje.

Wie gut, dass wir diesen Menschen in einem Zug und nicht in einem Konzertsaal antreffen im Hörspiel Die Irrfahrten des Sergej Sergejewitsch. Dort spielt er nicht, sondern erzählt, was er scheinbar noch lieber macht, als Akkorde zu greifen im Geiste Prokofjews. Auch in seinen Plaudereien kann er nicht von dem russischen Komponisten lassen und bezieht sich dabei auf Erzählungen, die Prokofjew selbst geschrieben hat.

Der Eiffelturm marschiert zum Baden an die Côte d'Azur

Und so wird diese Zug- zu einer Irrfahrt. Der Gitarrist erzählt seinem Sitznachbarn, zu dem man als Hörer wird, von der abenteuerlichen Weltreise, die Prokofjew 1917 unternommen hat, als in Europa der Erste Welt- und in seiner Heimat obendrein der Bürgerkrieg tobte. Der Gelegenheitsautor und - ja doch: Gitarrist Lucian Plessner hat diese Rahmenhandlung erfunden, den Prokofjew-Fan darf man sich durchaus als sein Alter Ego vorstellen. Plessner hat für sein zweiteiliges Hörspiel tatsächlich auch Kompositionen Prokofjews für seine Gitarre arrangiert. Sie sind nicht unbedingt das, was Die Irrfahrten des Sergej Sergejewitsch hörenswert macht.

Spannender sind vielmehr die Erzählungen von Prokofjew, der Komponist hat auch geschrieben. Plessner hat diese Texte zufällig entdeckt in der vormaligen Wohnung des Filmemachers Sergej Eisenstein. Er hat sie ins Deutsche übersetzt, von diesen Geschichten wird im Zug berichtet. Zum einen geht es darin um die konkrete Reiseerfahrung: Prokofjew ist gen Osten aufgebrochen, weg von Krieg und Revolution, er wollte Russland verlassen, gelangte nach Japan und schließlich in die USA - ein spannendes Zeitdokument. Zum zweiten handelt es sich um Grotesken. In einer verlässt der Eiffelturm seinen angestammten Platz und wandert gen Süden, um ein Bad an der Côte d'Azur zu nehmen. In einer anderen kommt es zu einer Raum-Zeit-Verschiebung, die Jahrhunderte geraten durcheinander, eine ägyptische Pyramide rutscht nach Amerika. Ihr entsteigt ein lebendiger Pharao, der sich von einem Mr. Mackintosh belehren lassen muss, dass die Zeit des Despotismus und demzufolge von Herrscherfiguren wie ihm vorbei sei.

In diesen Tagen, in denen alles Russische unter Generalverdacht steht, sind diese Preziosen Prokofjews ein kleiner Lichtblick. Wegen ihres Witzes und der in ihnen enthaltenen Selbstironie.

Die Irrfahrten des Sergej Sergejewitsch, WDR 3, 12. März 2022, 19.04 Uhr. Teil 2 am 19. März 2022.

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