Hörspiel:Für den Frieden streiten

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: SZ)

In dem Hörspiel "Kein Haus auf Sand" halten überzeugte Europäer die Idee dieser Wertegemeinschaft hoch.

Von Stefan Fischer

Das Hörspiel Kein Haus aus Sand bedarf eines Vorworts. Darin erklärt die Autorin Anja Kampmann, wie der russische Angriff auf die Ukraine ihre Pläne über den Haufen geworfen hat. Wie das, was sie erzählen wollte, plötzlich nicht mehr den Tatsachen entsprach. Glücklicherweise hat Kampmann ihre Arbeit nicht abgebrochen, sondern den Fokus neu justiert. So ist Kein Haus aus Sand - das war bereits das ursprüngliche Vorhaben - eine künstlerische Auseinandersetzung geworden mit dem, was Europa ausmacht. Im Angesicht einer Gegenwart jedoch, in der sich viele Fragen vollkommen neu stellen.

Kampmann greift für ihr Hörspiel, das Ulrich Lampen so versiert wie eindringlich mit den Schauspielern Katja Bürkle, Barbara Nüsse und Friedhelm Ptok für den SWR inszeniert hat, auf das European Archive of Voices der Gruppe Arbeit an Europa zurück. Dieses Netzwerk hat mehr als 50 Personen interviewt, die mehrheitlich in den Dreißigerjahren geboren sind, stellvertretend für beinahe jedes europäische Land.

Zu Wort kommen also Vertreter jener Generation, der es zukam, Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufzubauen. Wobei es nicht um die (volks-)wirtschaftlichen Aspekte geht, sondern um Europa als Idee, als Kultur- und Wertegemeinschaft mit - vermeintlich - hohem Identifikationspotenzial und nicht zuletzt: als Garant des Friedens. Der Friede wird unterdessen durch den russischen Angriffskrieg bedroht und muss vom Rest des Kontinents neu behauptet werden.

Die Autorin nimmt ganz Europa in den Blick, nicht nur den Westen

Kein Haus aus Sand verwebt vor allem Schilderungen jeweils eigener Kriegserlebnisse der (teilweise inzwischen verstorbenen) Interviewten. Wobei die Passagen klug gewählt sind, weil sie über reine Zeitzeugenaussagen hinausgehen. Die Intellektuellen, die hier Stellung beziehen, reflektieren im Nacherzählen ihre frühen Erinnerungen. Sie sehen sie immer auch im Spiegel dessen, was daraus folgte in den Jahrzehnten, die Europa eine lange Friedensperiode eingebracht hat.

So kommen neben etlichen anderen der französische Drehbuchautor Jean-Claude Carrière, der deutsche Althistoriker Christian Meier, die ehemalige isländische Staatschefin Vigdis Finnbogadóttir sowie die Schriftsteller Ludmilla Ulitskaya aus Russland, Dragoslav Mihailović aus Serbien und Besik Kharanauli aus Georgien zu Wort. Spannend ist, dass sich die Betrachtungen nicht wie so oft auf die Entwicklungen in Westeuropa beschränken. Sondern im Besonderen der ehemaligen Sowjetrepubliken, der Warschauer-Pakt-Staaten und der Balkanländer genauso das Verbindende gesucht wird wie in den österreichischen oder belgischen Perspektiven.

Auf einer zweiten Ebene erzählt das Hörspiel, basierend auf Gedichten des ukrainischen Dichters Ilya Kaminsky, von einer fiktiven Stadt im Kriegszustand. Auch steuert Anja Kampmann eigene Texte bei, in denen sie auf ihre Reisen in die Ukraine Bezug nimmt. Eine große Qualität von Kein Haus aus Sand ist, dass das Stück, ohne im Geringsten naiv zu sein, geprägt ist von einer positiven Grundstimmung: Bei allem Ernst und aller Sorge überwiegt die Zuversicht.

Kein Haus aus Sand , SWR 2, 14.5.2022, 23.03 Uhr.

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