Hörspiel:Prügel für das Wiesel

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Stimme aus einer befremdlichen Welt: David Bennent. (Foto: Südwestrundfunk/Thomas Ernst/obs)

Heiner Goebbels komponiert aus Texten von Henri Michaux das Hörspiel "Gegenwärtig lebe ich allein ...". Es fesselt mit surrealen Szenen und akkustischem Horror

Von Stefan Fischer

"Die Nacht ist ein großer kubischer Raum, äußerst widerstandsfähig", raunt und knarzt die helle Stimme von David Bennent. Wir sind ganz am Anfang, in der ersten von neun surrealen Szenerien des Hörspiels Gegenwärtig lebe ich allein ... Der Ich-Erzähler will Grenzen partout nicht akzeptieren. Auch wenn er weiß, dass er letztlich nicht über sie hinaus kommt, jedenfalls nicht über alle. Unbeirrt bearbeitet er demnach diesen Raum, der anscheinend Mauern hat und doch vor allem ein Zustand ist. Ganz dingfest geht er vor, mit einer Spitzhacke. Von Keller zu Keller pickelt er sich voran, steigt er hinab. In Abgründe der Welt, in Abgründe seiner selbst. Tief hinein in die Nacht.

Die Texte für dieses befremdliche, ungemein fesselnde Stück stammen von dem französischen Autor und Künstler Henri Michaux, der von 1899-1984 gelebt hat. Der Komponist Heiner Goebbels, der immer wieder auch großartige, stilbildende Hörspiele realisiert hat, etwa Die Befreiung des Prometheus und Eislermaterial, hat sie ausgewählt für seine neue Radioproduktion. Eine Kompositionsarbeit in doppeltem Sinn ist das, weil Goebbels dafür die Musik erdacht und eingespielt hat, und weil er sich die fremden Texte angeeignet und in eine neue Ordnung, einen neuen Zusammenhang gebracht hat.

Die Komposition kratzt und wetzt und schabt, ist metallisch scharfkantig und kalt klirrend

Die musikalische Komposition ist eine für Klavier, das Spiel, wenn es denn auf den Tasten ausgeführt wird, ist meist dissonant. Oft werden die Klaviersaiten jedoch gezupft. Es gibt viele Kratz- und Wetz- und Schabegeräusche, metallisches Klirren, oft scharf und kantig - mechanisch erzeugt, elektronisch abgenommen und oft noch nachträglich bearbeitet. An einer Stelle vermischen sich Geräusche des Blätterns und des Regens, bis nicht mehr zu unterscheiden ist, ob es ein Knistern oder Plätschern ist, ob absolute Nässe oder absolute Trockenheit herrscht.

David Bennents Stimme korrespondiert mit diesem Sound. Kann selbst schneidend sein, eckig, aber auch flirrend. Am Ende des Stücks verzerrt Goebbels sie so stark, dass sie endgültig zu einem Instrument wird, dessen menschlicher Ursprung kaum noch erkennbar ist. Ein großes Solo dieses großartigen Schauspielers.

"Michaux betreibt eine Art Exorzismus gegen sich und den Rest der Welt"

Inhaltlich ist Gegenwärtig lebe ich allein ... eine Rebellion - ohne konkretes Ziel. Klar ist nur: Die Dinge, wie sie sind, müssen bekämpft werden. Goebbels selbst sagt, Michaux betreibe "mit seinen poetischen, nachdenklichen, beschwörenden und explosiven Texten eine Art Exorzismus gegen sich und den Rest der Welt". An einer Stelle will der Ich-Erzähler sogar Berge errichten, und zwar "wann es mir passt und wo es mir passt". Er freut sich an einer Menschenschleuder, die er angeblich besitzt: "Damit kann man die Menschen in sehr weite Ferne schleudern." Und doch bleibt ein Sisyphos-Problem: "Man schleudert sie nie weit genug." Spätestens nach 40 Jahren würden sie zurückkehren. Genau dann, wenn man glaube, endgültig seine Ruhe vor ihnen zu haben. An einer anderen Stelle malt er sich das Vergnügen aus, das es ihm bereiten würde, ein Wiesel zusammenzuschlagen.

Immer wieder gibt es zwischendurch auch stille, sanfte, beinahe friedfertige Momente. Wenn zwei Wolken in ein Zimmer eintreten, um die Möbel streichen - "aber ohne Nachdruck" -, sich zerstreuen zwischen Tür und Fenster. Wenn Linien sich begegnen, einander ausweichen, sich erheben, aufblicken, keimen, träumen ...

Ein eigenwilliger, subtiler Horror geht von dem Hörspiel aus, ein Grauen, das zugleich eine Verlockung ist. Als Hörer wird man neugierig auf diese Michaux'sche Nacht, will sich gemeinsam mit dem Ich-Erzähler in ihr herumtreiben, einen Blick von ihr erhaschen - auf der Suche nach Wundern und Wahrheiten, die sich den Realitäten des Tages entziehen. Will sich in Gefahr begeben.

Gegenwärtig lebe ich allein ... , SWR 2, 22.03 Uhr. Auch DLF Kultur, 13. Januar, 22.03 Uhr.

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