Süddeutsche Zeitung

Hörspiel:Hanau und die Folgen

Safiye Can erzählt im Hörspiel "Das Halbhalbe und das Ganzganze" von Identitätskrisen, die der rechtsextremistische Anschlag bei Menschen mit Migrationsgeschichte ausgelöst hat.

Von Stefan Fischer

Sie nennt ihn Friedrich. So deutsch ist er dann doch. Seinen richtigen Namen erfährt man nicht. Aber so viel: Seine Eltern stammen aus der Türkei. Und sagen zu ihrem Sohn definitiv nicht Friedrich. Nur sie nennt ihn so - sie, die lange Zeit selbst keinen Namen trägt in dem Hörspiel Das Halbhalbe und das Ganzganze und irgendwann dann doch Sophia heißt. Ist sie ein Alter Ego der Autorin Safiye Can, wie die Verwandtschaft der Vornamen womöglich vermuten lässt?

Eindeutige Antworten gibt es nicht in dieser Geschichte, kann es nicht geben. Die einzige gesicherte Erkenntnis der beiden miteinander eng befreundeten, aber mutmaßlich nicht liierten Figuren ist: Das rassistisch motivierte Attentat in Hanau vor zwei Jahren, bei dem neun Menschen ermordet worden sind, hat die Frage nach der eigenen Identität bei Menschen mit einer Migrationsgeschichte massiv zugespitzt. Sie war schon zuvor nicht einfach zu beantworten.

Eingangs streiten sich Friedrich und Sophia darüber, ob sie nun halb deutsch und halb das jeweils andere sind - so Friedrichs Position. Oder beides jeweils ganz, worauf Sophia beharrt. Friedrichs Haltung würde ja bedeuten, argumentiert Sophia, dass er sich nur halb freue, wenn Deutschland im Fußball gewinne. Wie solle das bitte schön funktionieren? Man könne, hält Friedrich ihr entgegen, eben nicht zweimal ein Ganzes sein.

Aber Identität ist keine mathematische Gleichung. Und schon gar nicht kommt man zu einer Lösung, wenn man sich im Fall des Attentats von Hanau der Gruppe der Opfer genauso zurechnet wie der Gruppe, aus der der Täter stammt, und versuchen wollte, das gegeneinander aufzurechnen oder in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Man kann sich vermutlich nur daran reiben oder kapitulieren.

Safiye Can, die tscherkessische Vorfahren hat, setzt sich auf eine sehr kluge, sehr anschauliche Weise mit Identitätsfragen auseinander in ihrem Hörspiel, das Andrea Geißler inszeniert hat mit Kristin Alia Hunold und Murat Dikenci in den Hauptrollen. Vor allem überfrachtet sie ihre Figuren nicht, macht Friedrich und Sophia nicht zu Stellvertretern für zu viele erdenkliche Positionen. Sondern billigt beiden eine Geschichte zu, die ihre jeweils ureigene ist und in der auch vermeintliche Nebensächlichkeiten eine gravierende Rolle spielen. Safiye Can nötigt Friedrich und Sophia außerdem nicht, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Weshalb sich in Das Halbhalbe und das Ganzganze auch eine ganze Menge Wut entlädt.

Das Halbhalbe und das Ganzganze, HR 2, 20. Februar 2022, 22 Uhr.

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