Süddeutsche Zeitung

Hörspiel:Gefühlsstau

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Das schwierige Verhältnis Hölderlins zu seiner Mutter ist bekannt. Doch durch einen Kunstgriff gelingt es Regisseur Klaus Buhlert, die Lebens- und Identitätskrise des Dichters in die Gegenwart zu holen, dem Stoff eine aktuelle Ebene hinzuzufügen.

Von Stefan Fischer

Friedrich Hölderlin hat hellsichtige Verse geschrieben wie wenige andere Autoren. Und hat sich dennoch schwer damit getan, sich selbst und die Welt zu verstehen. Wer sich heute auf Hölderlin einlässt, dringt tief ein ins deutsche Gemüt - und begibt sich zugleich in die Gefahr, sich darin zu verheddern.

Der Regisseur und Komponist Klaus Buhlert hat auf der Basis der Briefe, die der Dichter an seine Mutter geschrieben hat, das Hörspiel Hölderlin. Geschichte einer Abschiebung entwickelt. Es sind traurige Dokumente einer distanzierten Beziehung. Friedrich Hölderlin hat in sehr förmlichen Worten um die Anerkennung der Mutter gerungen, vor allem in seiner zweiten Lebenshälfte, die geprägt war von geistigen Umnachtungen. Die Mutter schrieb ähnlich steif zurück; immer wieder jedoch platzen in den Briefen die zurückgehaltenen Gefühle kurz hervor. Besucht hat sie ihren leidenden Sohn jedoch nicht. Hölderlin kam sich wie ein Abgeschobener vor.

Diese Geschichte ist weidlich erforscht; würde sich Buhlert darauf beschränken, wäre Hölderlin. Geschichte einer Abschiebung formal ein kompositorisch klug rhythmisiertes Stück, inhaltlich aber kaum überraschend. Buhlert zieht jedoch eine weitere Ebene ein, indem er einen Rapper erfindet, der im Deutschtest für Zuwanderer Hölderlin als Prüfungsthema wählt und mit diesem Stoff um sein Bleiberecht kämpft. Ein Kniff, geschickt in das Stück gewoben, durch den Hölderlin und seine Sprache wieder fremd werden und neu zu entdecken sind aus unbefangener, naiver Warte. So gelingt die Vergegenwärtigung einer Lebens- und Identitätskrise, die durchaus als Resonanzboden taugt für die Gegenwart, wo sich Fragen der Zugehörigkeit zu einer Kultur und einer Gesellschaft ganz neu stellen.

Hölderlin. Geschichte einer Abschiebung , Bayern 2, 21.05 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2018
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